Conchita Wurst eröffnete das erste Halbfinale in der Wiener Stadthalle – auf einer zweifellos spektakulären Bühne. Finnlands Downsyndrom-Punker schieden leider aus.
Mitleid ist nicht das richtige Wort. Aber eine besorgte Frage drängte sich im Laufe des ersten ESC-Semifinales auf: Wie oft muss Conchita ihr Gewinnerlied „Rise like a Phoenix“ aus dem Vorjahr noch singen? Zum Auftakt des ersten Halbfinales am Dienstag tat sie es souveräner denn je, mit einem entspannten Lächeln auf den Lippen und zeigte dabei in ihrem hautengen, weißen Kleid (das sie später gegen einen ebenso engen, blauen Hosenanzug tauschte) ihre Wespentaille. Selbst abgebrühte Song-Contest-Zweifler mussten da gestehen, dass sich so etwas wie Gänsehaut einstellte. Buchstäblich die Show stahl ihr in diesen Anfangsminuten nur die zweifellos spektakuläre Bühne, im ORF-Sprech knapp „Sphere“ genannt. Die große, weiße Elipse, bestehend aus vielen kleinen, weißen Kugeln soll passend zum Motto „Building Bridges“ eine Brücke und die europäische Einheit symbolisieren.
>> Live aus der Stadthalle: Der Song Contest-Ticker zur Nachlese
Nachdem Conchita einmal die Showhalle durchgewandert war und auf der großen Treppe den 10.000 Zusehern in der Halle und den Millionen TV-Zusehern ein lautes „Welcome – in Vienna, Austria“ entgegengerufen hatte, durften die 16 Teilnehmer des ersten Semifinales zum Defilee antanzen. Trittsicher und im Englischen (und seltener: im Französischen) nicht nur erfreulich sattelfest, sondern auch charmant begrüßten zum ersten Mal in der Geschichte des Liederbewerbs drei Moderatorinnen. Wars der Zeitdruck oder die Internationalität, aber alle Beteiligten mussten ihre Bei- oder Nachnamen opfern. Conchita gab es an diesem Abend ganz ohne Wurst, und Mirjam (Weichselbraun), Arabella (Kiesbauer) und Alice (Tumler) ohne ihre Nachnamen. Viel bekamen die österreichischen TV-Zuseher nicht von den drei Moderatorinnen in ihren nicht ganz stimmigen Kleidern zu hören – meist war nämlich ESC-Langzeit-Kommentator Andi Knoll zu hören. Amüsant war die Sightseeing-Tour der Haustiere der Moderatorinnen durch Wien.
„Serbiens Adele“ steht im Finale
Die Bühne war es auch, die so gut wie allen Teilnehmern schmeichelte. Ob mit oder ohne Windmaschine, mit oder kaum Einsatz von Licht, mit oder ohne aufwendige Visuals im Hintergrund. Selbst eher langatmige, um nicht zu sagen langweilige Auftritte wie die ungarische Ballade der Sängerin Boggie „Wars For Nothing“ oder des eintönigen „The Way You Are“ der dänischen Band Anti Social Media. Erwartbar viel Applaus kassierte dafür die finnische Downsyndrom-Punkband Pertti Kurikan Nimipäivät für ihr Lied „Aina mun pitää“ („Ich muss immer“) – doch die Enttäuschung war am Ende groß, als das Voting feststand: Das Finale findet ohne die finnischen Favoriten statt.
Ein Höhepunkt der Show war der Auftritt der „serbischen Adele“, Bojana Stamenov, die mit ihrem rhythmischen Popsong „Here I am“ und das eingängige Poplied „Rythm Inside“ des Favoriten aus Belgien – beide konnten ins Finale einziehen. Der erste Durchgang blieb insgesamt glatt und gänzlich Trash-frei. Weiter sind auch die multikulturelle Sängergruppe aus Armenien, der Pop-Rock-Routinier aus Rumänier, die aparte Griechin und die Bands aus Albanien, Russland, Estland, Ungarn und Georgien.
Gewitter bei Public Viewing in Wien
Hätte man für das Show-Präludium des ORF Punkte vergeben können, es wäre leer ausgegangen. In einer bemühten Revue durften TV-Sternchen wie Dolly Buster, Nachmittags-Talkerin Barbara Karlich und Sopranisitin Birgit Sarata Länder-Klischees trommeln. Die Armenier führen bei plastischer Nasen-Chirurgie, die Rumänier sind in erster Linie „höflich“ und bei den Niederländern fiel das Stichwort „Haschkekse“. Der passende Kommentar kam zwischendurch von der Stimme aus dem Off: „Im Ernst?“.
Glaubt man der Wettervorschau, war der Dienstag – zumindest bis zur ersten Hälfte – der feinste, weil wärmste Abend für kollektives Outdoor-Schauen am Rathausplatz. Doch kurz nach 22 Uhr fegte das Gewitter den zuerst gut gefüllten Platz teilweise leer. Die meisten anderen Public-Viewing-Orte, wie das Euro Fan Café im dritten Bezirk oder das Radio-Wien-Café in Wien Mitte waren das schon von Anfang. Vielleicht wird es dort voller, wenn es kalt wird, am Donnerstag und Samstag.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2015)