Jangtse-Unglück: Hilfeschreie noch nach 12 Stunden

(c) REUTERS (STRINGER/CHINA)
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Tragödie auf dem Jangtse: Bei einem Unwetter ist auf Chinas längstem Strom eine Touristenfähre mit mehr als 450 Passagieren untergegangen. Nur wenige konnen gerettet werden.

Peking. Der Rumpf ragt kaum einen Meter aus dem Wasser – das Schiff ist beinahe komplett gekentert. Noch immer regnet es in Strömen, Wind peitscht über den Fluss. Es herrscht dichter Nebel, und die Abenddämmerung hat eingesetzt. Einsatzkräfte in orangen Rettungswesten klopfen dennoch pausenlos mit Eisenhämmern auf das Metall des Rumpfs – in der Hoffnung, doch noch ein Lebenszeichen zu hören. Doch die Chancen stehen schlecht. Bei Wassertemperaturen unter zehn Grad ist es 20 Stunden nach dem Untergang der Oriental Star kaum wahrscheinlich, dass auch nur einer der noch 430 vermissten Passagiere die Havarie überlebt hat. „Wir geben trotzdem nicht auf“, sagt ein sichtlich erschöpfter Helfer in die Kamera des chinesischen Staatsfernsehens CCTV.

Bei Chinas schlimmstem Schiffsunglück der vergangenen 30 Jahre haben von den insgesamt 458 Insassen wahrscheinlich nur 18 Menschen überlebt. Das rund 77 Meter lange Kreuzfahrtschiff, das für maximal 534 Passagiere ausgelegt ist, war am späten Montagabend auf dem Fluss Jangtse auf dem Weg von der ostchinesischen Stadt Nanjing stromaufwärts in Richtung der 20-Millionen-Metropole Chongqing im Landesinnern. Der Jangtse ist der längste und wasserreichste Fluss Chinas und an der Stelle des Unglücksorts mehrere Kilometer breit. An dieser unter Touristen sehr beliebten Strecke liegen unter anderem die berühmten Drei Schluchten.

Vierstock-Schiff sank in zwei Minuten

Nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua war das vierstöckige Schiff auf der Höhe der Stadt Damazhou in der Provinz Hubei offenbar in ein Wirbelsturm geraten und gekentert. Nach nur zwei Minuten soll es gesunken sein. Anschließend wurde es rund drei Kilometer weiter getrieben. Dort liegt es nun kieloben an einer Stelle mit etwa 15 Meter Tiefe. Rumpf, Schiffsschraube und Ruder schauen halb aus dem Wasser.

Zwölf Personen soll es unmittelbar nach der Havarie gelungen sein an Land zu schwimmen, darunter dem Kapitän und einem Maschinisten. Sie wurden zwar festgenommen, doch ist von einer vorsätzlichen Unglücksflucht in den chinesischen Staatsmedien bislang nicht die Rede. An Bord befanden sich 406 chinesische Passagiere, fünf Mitarbeiter von einer Reiseagentur und 47 Besatzungsmitglieder. Die meisten Passagiere waren im Alter zwischen 50 und 80 Jahren. Sie dürften zu dieser Zeit bereits in ihren Kabinen gewesen und im Schlaf vom Unglück überrascht worden sein. Nicht einmal für einen Notruf reichte die Zeit.

Zunächst eilten Fischerboote an den Unglücksort. Bis zum frühen Morgen waren auch professionelle Rettungskräfte im Einsatz. Auch Militär der Volksbefreiungsarmee beteiligte sich an den Rettungsarbeiten. Mehr als 3.000 Helfer und 50 Boote waren bei Morgengrauen im Einsatz.
Am Vormittag setzten die Helfer ihre Hoffnung auf mögliche Luftblasen im Inneren des umgedrehten Schiffs. Und tatsächlich: Zwölf Stunden nach dem Kentern hörten sie noch Klopfzeichen und Hilferufe. Das chinesische Staatsfernsehen vermeldete wenig später die Rettung eines 65-jährigen Mannes, am Nachmittag zeigte es Bilder von einer 85-jährigen Frau, die weitgehend unversehrt aus dem Flusswasser gezogen wurde. Staatsmedien berichten, Taucher seien unter Wasser in die Kabine getaucht und hätten ihr beibringen müssen, die Sauerstoffflasche zu benutzen. Seit dem frühen Abend sind aus dem Schiff keine Hilferufe mehr zu hören. Bis zum Abend konnten erst fünf Leichen geborgen werden.

Angst der Behörden vor Volkszorn

Anders als bei vergangenen Unglücksfällen in China gibt es bis zum Abend im chinesischen Internet nur wenig Kritik an den zuständigen Behörden. Das kann unter anderem daran liegen, dass kurz vor dem Jahrestag der Niederschlagung der Demokratiebewegung am 4. Juni vor 26 Jahren das chinesische Internet derzeit ohnehin schwerer zugänglich ist.

Nichts fürchtet die chinesische Führung bei solchen Unglücken mehr, als dass in den sozialen Medien landesweit der Zorn hochkocht. Chinas Premierminister Li Keqiang flog noch am Vormittag zur Unglücksstelle. Chinas Staatspräsident Xi Jinping erklärte die Rettungsarbeiten zur Chefsache und ordnete eine sorgfältige Aufklärung der Tragödie an.

In chinesischen Medien wird von gewissenlosen Betrügern berichtet, die von den Angehörigen der Opfer Geld erschleichen. Sie sollen Kurznachrichten verschickt haben, mit denen sie Zahlungen von Krankenhauskosten der angeblich überlebenden Opfer verlangen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2015)

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