Ökonom: „Es drohen interne Machtkämpfe“

Chenggang Xu
Chenggang XuStanislav Jenis
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Der Ökonom Chenggang Xu warnt vor einer Machtkonzentration in Peking, vor einem drohenden Bankencrash in China und der Kriegsgefahr im Pazifik.

Die Presse: Xi Jinping ist der mächtigste Staatschef Chinas seit Mao. Was sind seine Ziele?

Chenggang Xu: Viele China-Beobachter aus dem Westen hoffen, dass Xi derzeit parteiintern seine Macht festigt, um den Weg für spätere Reformen zu ebnen. Das ist eine gefährliche Illusion. Wenn Macht auf eine einzige Person konzentriert ist, werden die Dinge schiefgehen – das hat unsere Geschichte bereits mehrmals bewiesen. Denn Gewaltenteilung sowie eine gewisse Einschränkung der Macht der Exekutive sind Voraussetzungen für Stabilität. Xi bedient sich derzeit der Antikorruptionskampagnen, um seine Gegner auszuschalten, da geht es um mehr als nur um bestechliche Kader. Die Gefahr ist, dass die Kampagnen die parteiinternen Machtkämpfe verschärfen werden.

Wie groß ist der interne Widerstand?

Wir wissen es nicht, es gibt nur Gerüchte. Aber aus der Vergangenheit können wir einige Lehren ziehen: Eine solche Machtkonzentration hat stets zu Instabilität geführt. Immer, wenn die Unterdrückung zunahm, eskalierte der interne Konflikt – sogar während der Kulturrevolution war das so: Wegen des wachsenden internen Widerstands musste sich Mao stärker auf seinen Parteifreund Lin Biao verlassen, den er zu seinem Vize machte. Doch sogar Lin Biao entpuppte sich als gefährlicher Gegner, er versuchte Mao zu stürzen.

Wie stabil ist die Wirtschaft?

Wirtschaft und Politik sind die zwei größten Bedrohungen für das derzeitige System: Explosiv ist die hohe Verschuldung der lokalen Regierungen – denn die könnte einen gefährlichen Dominoeffekt auslösen. Die Lokalregierungen haben ihre Bankkredite mit Grundstücken abgesichert. Doch die Immobilienpreise sinken stetig, die Banken geraten immer mehr unter Druck. Es droht ein Crash. Der könnte Hunderte von Städten, Millionen von Menschen treffen. Die Partei versucht derzeit die Lage zu entschärfen, indem sie den Kommunen erlaubt, Anleihen auszugeben. Doch dies ist keine Lösung des Problems, nur ein Aufschub.


Was sollte geschehen?

Chinas Wirtschaft leidet an mangelnder interner Nachfrage. In den vergangenen 20 Jahren ist zwar das BIP stark gewachsen – gleichzeitig aber der Anteil des privaten Haushaltseinkommens am BIP gesunken: Die Torte ist größer geworden, nicht aber die Tortenstücke. Nötig wäre, dass sich die Politik aus der Wirtschaft heraushält: Denn es ist die Partei, die einen wahren Wettbewerb in China verhindert. Das wird aber nie passieren. Deutlich wird das bei der sogenannten Reform der Staatsbetriebe: Die logische Lösung ist die Privatisierung dieser maroden Betriebe, die ja in einem Wettbewerbsmarkt agieren. Das ist aber tabu, der Widerstand vieler Kader ist enorm. Der aktuelle Kompromiss sieht vor, dass sich private Unternehmen an den Betrieben beteiligen können. Der Staat behält das Sagen.

Kann es in einem Einparteienstaat überhaupt einen freien Markt geben?

Singapur ist das Vorbild für die chinesische KP. Dort koexistiert ein autoritärer Staat mit dem freien Markt. Doch die Unterschiede zwischen den beiden Staaten sind enorm, und ich spreche gar nicht nur von der Größe: Singapur hat auch nach dem Ende der Kolonialzeit Teile des britischen Rechtssystems beibehalten. Für den Handelsbereich etwa galt das britische Common Law – die Justiz war tatsächlich in diesem Bereich weitgehend unabhängig. In China hingegen ist das gesamte Rechtssystem der Partei unterstellt. Und: In Singapur werden Oppositionsparteien und ihre Veröffentlichungen zumindest geduldet. In China nicht einmal das.

China tritt außenpolitisch zunehmend aggressiv auf. Besteht die Gefahr eines militärischen Konfliktes im Pazifik?

Chinas zunehmend aggressive und expansionistische Außenpolitik hat innenpolitische Gründe. Die KP legitimiert sich längst nicht mehr durch den Kommunismus, sondern hat ihn durch Nationalismus ersetzt. Und ein resolutes internationales Auftreten signalisiert der eigenen Bevölkerung, dass nur die Partei Garant für ein starkes China sein kann. Die Regierung wird allerdings alles tun, um einen Konflikt mit den USA zu vermeiden. Man weiß, dass das US-Militär überlegen ist. Trotzdem bleibt die Lage gefährlich: Eine interne oder eine wirtschaftliche Krise könnte die KP-Spitze zur noch aggressiveren Politik motivieren – bis hin zur militärischen Auseinandersetzung, als Ablenkung sozusagen.

China betreibt zunehmend Außenpolitik auch über die Wirtschaft – etwa durch Investitionen in ausländische Infrastruktur.

Auch diese Strategie hat innenpolitische Gründe: Chinas Wirtschaft leidet an Überkapazität. Durch Auslandsinvestitionen wird künstlich Nachfrage geschaffen. Die Branchen, die sich in China in der Krise befinden, sind bezeichnenderweise Zement, Stahl, Metall, Werkzeugmaschinen. Und genau diese Produkte werden bei Chinas Megaprojekten im Ausland gebraucht.

Wieso will China eine eigene Weltbank, die Asiatische Investitions- und Infrastrukturbank (AIIB), gründen?

Das eigentliche Ziel dieser Bank war es, einen Markt für kriselnde chinesische Produkte zu schaffen – Zement, Metall und Werkzeugmaschinen. Die chinesische Führung hat sich das ungefähr so vorgestellt: Der Staat hat Geld, dieses Geld wird ausländischen Regierungen geliehen, und die kaufen damit unsere Produkte.

Besteht nicht die Gefahr, dass künftig viel Geld in dubiose Projekte dubioser Regime fließen wird?

Das hängt davon ab, wie die Bank aufgebaut und regiert wird. China hatte nicht erwartet, dass so viele große EU-Staaten mitmachen würden, die Partei wurde davon regelrecht überrascht. Dass nun möglicherweise Länder wie Großbritannien, Frankreich oder Deutschland eine führende Rolle in der AIIB einnehmen werden, garantiert eine gewisse Kontrolle. Das macht den Chinesen Sorgen.

Sollten die USA mitmachen?

Diese radikale Ablehnung war ein Fehler, aber es ist noch nicht zu spät. Sollte diese Bank mit westlichen Staaten etabliert werden, könnte sie gar nicht mehr ihr ursprüngliches Ziel – die Rettung der chinesischen Wirtschaft – erfüllen. Denn auf einmal müssten Chinesen viel Geld in Projekte investieren, die für sie selbst gar keinen Wert haben.

Widerstand gegen Chinas Machtpolitik regte sich zuletzt in Ihrer Heimatstadt Hongkong. Welche Zukunft sehen Sie nach den Pro-Demokratie-Protesten?

Ich glaube, dass alles so bleibt, wie es ist: Es wird keinen Schritt nach vorn, aber auch keinen zurück geben. Peking wird sich in Hongkong zurückhalten, denn Hongkong ist nicht allein: Taiwan beobachtet genau, was in Hongkong passiert. Und die Partei hofft ja auf eine baldige Lösung der Taiwan-Frage: Sollte Peking aber durch Repressionen in Hongkong signalisieren, dass es sich nicht an das Prinzip „Ein Staat, zwei Systeme“ hält, würde in Taiwan die Unabhängigkeitsbewegung massiven Zulauf bekommen. Die Lage könnte schnell außer Kontrolle geraten – ein Horrorszenario für Peking.

ZUR PERSON

Der Ökonom Chenggang Xu ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der University of Hongkong sowie Vize-Chef des dortigen Institute for China and Global Development. Xu, der 1991 in Harvard promovierte und später lehrte, hat unter anderem als Berater für die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds gearbeitet.

Bevor er nach Hongkong zurückkehrte, hat er siebzehn Jahre lang an der renommierten London School of Economics sowie sechs Jahre an der elitären Tsinghua-Universität in Peking unterrichtet und geforscht. Chenggang Xu gilt als einer der wichtigsten Experten weltweit für chinesische Wirtschaft sowie die Entwicklung des chinesischen Rechtssystems.

Xu war auf Einladung des Institutes für die Wissenschaft des Menschen (IWM) in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2015)

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