Die Zuckerseiten der Milch

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Milch(c) APA/dpa/Daniel Karmann (Daniel Karmann)
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Befürworter und Kritiker streiten über die Wirkung von Milch. Fest steht: Sie ist weniger kalziumreich als geglaubt, und viele Milchprodukte sind zu süß.

Die Milch spaltet die Expertenwelt schon länger. Für die einen ist sie immer noch ein sehr wertvolles Lebensmittel. Kritiker allerdings ätzen, der Mensch sei das einzige Lebewesen, das die Milch verschiedener Säugetiere über das Säuglingsalter hinaus konsumiere, und unterstellen bei übermäßigem Konsum gar eine erhöhte Krebserkrankungsgefahr. Wer hat nun recht? Der Versuch einer Antwort.

Eine der jüngsten Arbeiten zu Milch haben in Österreich Kurt Widhalm, Präsident des Österreichischen Akademischen Instituts für Ernährungsmedizin, und das Vorsorgemedizinische Institut Sipcan (Initiative für ein gesundes Leben) erstellt. Sie kommen zu dem Ergebnis: Milch enthält nicht die Kalziummenge, die man ihr lange zugeschrieben hat. Und die meisten Milchprodukte sind viel zu süß. „Wir haben 1200 Milch- und Milchprodukte nach ihrem Zuckergehalt klassifiziert“, berichtet Friedrich Hoppichler, Vorstand von Sipcan und ärztlicher Direktor im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Salzburg, „nur etwa jedes vierte Produkt zum Trinken oder Löffeln entspricht den Sipcan-Kriterien.“ Die da lauten: Der Gesamtzuckergehalt bei 100 Milliliter beziehungsweise 100Gramm soll zwölf Gramm nicht überschreiten (inklusive des natürlichen Milchzuckers). Milchgetränke kamen relativ gut weg: Rund 63 Prozent erfüllten die Sipcan Kriterien.

Zu süße Joghurts.

Anders sieht es bei Joghurts und anderen Produkten zum Löffeln aus: Hier erfüllen nur 13 Prozent die Sipcan-Auflagen. „Manche Joghurts sind echte Zuckerbomben, in ihnen stecken umgerechnet acht Stück Würfelzucker pro Becher. Mehr als 90Prozent der Joghurts sind zu süß.“ Der durchschnittliche Zuckergehalt von Joghurts liegt bei 13,5Gramm pro 100Gramm oder 100 Milliliter, eine durchschnittliche Limonade enthält 10,1Gramm Zucker pro 100 Milliliter.

Das Ergebnis von Kurt Widhalms Arbeit zum Thema wirft einige gängige Behauptungen zu Milch über den Haufen: „Dass hoher Milchkonsum im Kindes- und Jugendalter später die Gefahr von Osteoporose reduziere, stimmt heute so nicht mehr.“ Wenn Milchkonsum in der Kindheit einen Einfluss auf die Knochengesundheit habe, dann sei es ein eher bescheidener, „viel wesentlicher ist da die Bewegung.“

Zudem enthält Milch viel weniger knochenstärkendes Kalzium als beispielsweise Käse: In 100 Gramm Vollmilch befinden sich rund 120 Milligramm Kalzium, die gleiche Menge Hartkäse liefert 900 bis 1000 mg und Parmesan gar 1200 mg Kalzium, also zehnmal so viel wie in Milch. Als Vergleich dazu: In 100 Gramm Hülsenfrüchten oder in 100 Millilitern kalziumreichen Mineralwassers stecken 250Milligramm Kalzium und damit noch immer mehr als doppelt so viel wie in Milch.

Dennoch ist Widhalm alles andere als ein Milchgegner. „Es handelt sich um ein wertvolles, gesundes Lebensmittel mit einer Reihe von Nährstoffen und Vitaminen.“ Wie gesund dieses Tierprodukt für den Menschen tatsächlich ist, hänge auch von Haltungsmethoden und Fütterung ab. Eine Kuh, die frei und stressarm auf einer Weide lebt und Gras frisst, gibt freilich eine andere Milch als ein eingesperrtes Tier, das mit Getreide gefüttert wird.

Wie dick macht Milch?

Und was ist dran an der Kritik, dass Milch ein Dickmacher ist? Immerhin weist nicht entfettete Milch in 100 Millilitern 64 Kilokalorien und 3,6Gramm gesättigtes Fett auf. Widhalm: „Einem mageren Kind oder einem dünnen, gebrechlichen Senior würde ich sehr wohl zu Vollmilch raten, ein übergewichtiger Mensch sollte jedoch eher zu Magermilch greifen.“ Allerdings gibt es Studien, die zeigen, dass regelmäßiger Milchverzehr entweder nicht oder sogar leicht negativ mit der Entwicklung von Übergewicht zusammenhänge. Faktum ist: Fett bleibt Fett und das tierische, also gesättigte Fett gilt nicht unbedingt als das gesündeste. Allerdings fanden Wissenschaftler in den letzten Jahren im Milchfett spezielle Fettsäuren (konjugierte Fettsäuren), die auf den Körper positive Wirkungen ausüben können. Ob diese die negativen Wirkungen gesättigter Fette aufheben, wurde indes nicht untersucht.

International gut untersucht ist das Joghurt: „Das ist um einiges gesünder als Milch“, meint Widhalm. Die pro- und präbiotischen Keime des fermentierten Milchprodukts hätten auf den Körper positive Wirkungen, von der Verdauung über den Stoffwechsel bis zum Immunsystem. Joghurt hat einen höheren Gehalt an Eiweiß, B-Vitaminen, Kalzium, Kalium, Zink und Magnesium als Milch. „Aber leider steckt die österreichische Milchindustrie kaum Geld in die Forschung, sondern alles nur in die Werbung“, kritisiert Widhalm.

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass Milch dem Körper Kalzium entziehe. Das ließ sich bislang wissenschaftlich nicht beweisen. Ein reines Märchen ist auch der Vorwurf, Milch- und Milchprodukte würden die Atemwege verschleimen, „da handelt es sich eher um eine subjektive Wahrnehmung.“ Und wie steht es mit der Krebsgefahr, die einige in den Hormonen der Milch wittern? Milch enthält tatsächlich Östrogene und Progesterone, doch in sehr geringen Mengen. Etliche Studien wiesen der Milch sogar eine leicht krebssenkende Wirkung aus. Ausnahme ist da aber Prostatakrebs: Da erhöht vermutlich mehr als ein Liter täglich das Erkrankungsrisiko.

Die weitverbreitete Laktose-Intoleranz ist für Widhalm beinahe so etwas wie eine Modeerscheinung – „da wird viel hochgespielt“ –, es gebe aber wirklich Menschen, die den Milchzucker nicht aufspalten können und mit Blähungen und Bauchschmerzen darauf reagieren. Ihnen sei Käse angeraten, er hat weniger Milchzucker und eben auch viel mehr Kalzium als Milch.

Fakten

In Österreich werden jährlich 651.000 Tonnen Milchprodukte konsumiert.

Details aus der Sipcan-Untersuchung: Die zuckerärmsten Milchprodukte zum Trinken sind Becel Pro-activ Erdbeere und Becel Pro-activ Original (je 4,5g Zucker/100g), das süßeste kommt aus der Molkerei Biedermann und nennt sich Biolassi Limette-Ingwer (15,2g Zucker). Das zuckerärmste zum Löffeln ist das Billa Bergbauern-Heumilch-Joghurt (4,5g Zucker), das süßeste Schärdinger Jogurella Mixi Erdbeer (21,6g Zucker).

Detaillierte Liste: Die Milchliste findet man u.a. hier: www.sipcan.at sowie als App für iOS und Android unter dem Suchbegriff „Sipcan-Checklisten“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2015)

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