Verhaftet: Zickzackkurs im Alijew-Prozess

ALIYEV-PROZESS: KOSHLYAK / MUSSAYEV
ALIYEV-PROZESS: KOSHLYAK / MUSSAYEV(c) APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER)
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Die für die Kasachstan-Affäre zuständigen Richter hatten die beiden Angeklagten aus der U-Haft entlassen – doch nun ließ die nächste Instanz die Mordverdächtigen wieder einsperren.

Wien. Die Gräben zwischen den handelnden Akteuren werden tiefer, der Zickzackkurs der Justiz geht weiter. Wieder einmal sorgt eine Wendung im Alijew-Prozess für Staunen: Montagfrüh – es war 6.30Uhr – bekamen die beiden unter Mordverdacht stehenden Angeklagten zeitgleich überraschend „Besuch“. Polizisten vollzogen eine richterliche Anordnung zur Festnahme und überstellten den kasachischen Ex-Geheimdienstchef Alnur Mussajew und den früheren Leibwächter Vadim Koshlyak erneut in U-Haft in das Gefangenenhaus Wien Josefstadt. Dieses hatten die Mordverdächtigen erst am 29.April verlassen dürfen.

Der Reihe nach: Wegen des Suizids des Hauptangeklagten, des kasachischen Ex-Botschafters Rachat Alijew, kurz vor Start der Verhandlung (Alijew wurde am 28.Februar tot in seiner U-Haft-Zelle entdeckt; seit Kurzem steht fest, dass er mehrere Medikamente mit einschläfernder Wirkung zu sich genommen hatte) waren die mutmaßlichen Mittäter Mussajew und Koshlyak in den Mittelpunkt gerückt. Jedenfalls werden diese beiden Männer von der Anklage für den gewaltsamen Tod zweier kasachischer Bankmanager (Tatzeit: Februar 2007, Tatort: Almaty/Kasachstan) verantwortlich gemacht. Die beiden Beschuldigten bestreiten diesen Vorwurf kategorisch.

Der den Geschworenenprozess (Straflandesgericht Wien) leitende Drei-Richter-Senat unter dem Vorsitz von Andreas Böhm hatte entgegen der Ansicht der Anklage und gegen deren ausdrücklichen Protest eine Freilassung der beiden Beschuldigten aus der U-Haft angeordnet. Mit seinem Beschluss auf Beendigung der U-Haft wurde der Senat sehr deutlich: Möglicherweise stimmten die Anschuldigungen gar nicht, heißt es darin sinngemäß. Und geradezu blamabel für die Staatsanwaltschaft Wien (zugleich Wasser auf die Mühlen der Verteidiger) ist die Überlegung des Gerichts, wonach die Bankmanager nicht von den Angeklagten, sondern vom kasachischen Geheimdienst getötet worden sein könnten. Zu widersprüchlich waren dem Senat auch die ersten Zeugenaussagen im Rahmen des Monsterverfahrens. Zur Erinnerung: Österreich muss diesen Prozess führen, weil die Republik eine Auslieferung der Verdächtigen nach Kasachstan ablehnt.

Kluft zwischen zwei Gerichten

Hatte sich also schon mit der Enthaftung ein tiefer Riss zwischen dem Gericht und der Anklage aufgetan, so entsteht nun durch die neue Entscheidung der nächsthöheren Instanz, nämlich des Oberlandesgerichts (OLG) Wien, eine weitere Kluft. Im Klartext: Das OLG hält den Freilassungsbeschluss des Straflandesgerichts Wien für verfehlt. Und gibt einer Beschwerde der Anklage gegen diesen Beschluss recht. OLG-Sprecher Reinhard Hinger meint, dass die U-Haft bei Mordverdacht obligatorisch sei. Muss dies die Unterinstanz nicht auch wissen? Davon ist natürlich auszugehen. Allerdings: Voraussetzung für die Verhängung von U-Haft ist das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts. Und der Böhm-Senat war eben vom „Wegfall des dringenden Tatverdachts“ ausgegangen.

Stillhalten der Verteidigung

Eine weitere Kritik des OLG besteht darin, dass die Freilassung der beiden Männer schon am Anfang der Verhandlung, nach Vernehmung von „erst sechs Zeugen“, erfolgt war. Dem kann man entgegenhalten, dass ein Gericht von Anfang an den gesamten Akt kennen muss und somit auch von vornherein weiß, was die Zeugen früher (also noch vor ihrer „Live-Einvernahme“ im öffentlichen Prozess) vor der Polizei angegeben haben. Wie auch immer: Das OLG hat das letzte Wort. Die beiden Männer sind erneut in Verwahrung.

Vorerst werde er keinen neuen Antrag auf Enthaftung einbringen, erklärt Mussajew-Verteidiger Martin Mahrer der „Presse“. Die OLG-Entscheidung finde er naturgemäß falsch. Sie sei so zu erklären: „Das OLG will sein Gesicht wahren. Schließlich hat es schon vor Prozessbeginn mehrmals auf Verlängerung der U-Haft entschieden.“ Wann die Urteile ergehen, steht derzeit noch nicht fest. Die Verteidigung rechnete zuletzt damit, dass dies im Juli der Fall sein würde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2015)

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