„Abrüstung ermutigt jemanden wie Putin nur“

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General Ben Hodges, Befehlshaber der US-Landstreitkräfte in Europa, verteidigt die Stationierung von 250 Panzern in Osteuropa. Und er warnt davor, dass Russland einen Keil zwischen Europa und die USA treiben wolle.

Russland wirft der Nato und den USA vor, einen neuen Rüstungswettlauf zu beginnen, weil sie schweres Militärgerät nach Osteuropa schicken. Können Sie diese Reaktion nachvollziehen?
Ben Hodges: Das ist eine unbegründete Überreaktion der Russen. Wir liefern insgesamt 250 Panzer, Kampffahrzeuge und Panzerhaubitzen, die auf sieben Länder aufgeteilt werden, jeweils ein paar Dutzend in den baltischen Staaten, in Polen, Bulgarien, Rumänien und Deutschland. Das würde alles auf den Parkplatz der Hofburg passen.

Warum ist es notwendig, dass die USA Panzer aufrollen lassen?
Die Alliierten haben uns eingeladen. Infolge der illegalen russischen Besetzung der Krim hat die Nato bei ihrem Gipfel in Wales beschlossen, ihre Verbündeten mit einer schnellen Eingreiftruppe abzusichern. Alliierte Truppen sollen von Streitkräften, die zweimal im Jahr nach Europa rotieren, trainiert werden. Das Militärgerät wird nahe der Trainingslager stationiert.

Haben Sie militärische Reaktionen Russlands darauf gesehen?
Keine speziellen. Es besteht auch keine Notwendigkeit. Halten Sie sich den Umfang der Aktion vor Augen, verglichen mit dem Manöver, in dem die Russen ohne Vorwarnung mit 35.000 Soldaten, Hunderten Panzern und Dutzenden Flugzeugen an den Grenzen zu Nato-Staaten auftauchten.

Glauben Sie wirklich, dass Russland ein Nato-Mitgliedsland angreifen und seinen Hybridkrieg ins Baltikum tragen könnte?
Ich hoffe nicht. Aber es hat auch niemand erwartet, dass Russland die Krim angreift. Meine Verantwortung als Militärkommandant ist es sicherzustellen, dass unsere Streitkräfte auf jede Eventualität vorbereitet sind. Darum geht es bei Abschreckung: einen potenziellen Aggressor von einer Attacke abzuhalten. Ich bin sicher: Präsident Putin will keinen Kampf mit der Nato. Aber ich bin mir auch sicher, dass er die Nato spalten, Zweifel säen und einen Keil zwischen Europa und die USA treiben will.

Welche Anzeichen sehen Sie?
Erstens die Geldbeträge, die Russland in Medien bestimmter Länder innerhalb der Nato investiert. Russia Today gibt in Deutschland große Summen aus, auch in Italien. Im Hybridkrieg geht es nicht um lange Panzerkolonnen mit russischen Fahnen, die in ein Land eindringen. Es geht darum, die Temperatur gerade noch unter 100 Grad zu halten, das Recht zu verdrehen, Desinformation zu verbreiten und Zweifel zu säen. Ich sage nichts vorher, aber Russland könnte ein Szenario in einem Nato-Land schaffen und dann erklären, es müsse handeln, um ethnische Russen zu schützen.

Waren Sie auf den Hybridkrieg Russlands vorbereitet?
Das ist nicht neu in der Kriegsführung. Denken Sie daran, wie der Zweite Weltkrieg begonnen hat: mit Anschuldigungen, Desinformation und Täuschung. Es ist wichtig, dass demokratische Staaten im Westen herausfinden, wie sie im Informationsraum bestehen, wenn eine Seite Fehlinformationen wie Artillerie und Raketen einsetzt. Der russische Präsident und der Außenminister sind nicht mit der Wahrheit belastet. Sie behaupteten anfangs, die grünen Männchen ohne Hoheitsabzeichen auf der Krim seien keine russischen Soldaten. Das war eine unerhörte Lüge, eine Farce, wie die lächerliche Behauptung, in der Ostukraine hielten sich russische Soldaten freiwillig während ihres Urlaubs auf. Eine lächerliche Behauptung. Das ist arrogant und stellt eine Missachtung westlicher Regierungschefs dar.


Wie viele russische Soldaten sind in der Ukraine immer noch im Einsatz?
Es ist unmöglich, genaue Zahlen anzugeben. Sie könnten sich innerhalb von zwei Stunden ändern. Es gibt so viele Bewegungen an der russisch-ukrainischen Grenze. Unleugbar sind die Luftabwehr, die Langstreckenraketen, die Mittel zur elektronischen Kriegsführung. Die Kommandostrukturen. Die Logistik. Es sind so viele Raketen abgefeuert worden, diese kann man nicht alle im Keller eines Hauses zusammenbauen. Diese Geräte kommen aus der Industriebasis eines Staats, der eine permanente Versorgung mit Munition und Treibstoff sicherstellt.


Was halten Sie von der OSZE-Mission in der Ukraine?
Diese Beobachter gehen hohe Risken ein. Russland erlaubte ihnen nicht, alles zu sehen. Sie wurden gehindert, belästigt und bedroht. Die OSZE hat den Respekt Europas verdient. Russland sagt, der Westen verändere die Sicherheitsordnung. Mann, die Russen sind Teil der OSZE und lassen die OSZE nicht ihren Job machen.

Ist es nicht problematisch, dass die USA ukrainische Soldaten dafür ausbilden, gegen russische Soldaten zu kämpfen? 1997 haben die Nato und Russland eine Grundakte unterschrieben, die Spannungen reduzieren sollte.
Dass wir ukrainische Soldaten auf Bitten der Ukrainer trainieren, stellt keine Verletzung der Nato/Russland-Grundakte dar. Ich kann mich erinnern, wie General Gratschow 1995 ins Nato-Hauptquartier gekommen ist, um zu besprechen, wie russische Soldaten in Bosnien eingesetzt werden. Er bekam Applaus. Wir Männer in Uniform ziehen Kooperation vor. Und wir können schnell wieder zur Kooperation zurückkehren, wenn Russland sich aus der Krim zurückzieht, die Souveränität der Ukraine achtet und die Rebellen an die Leine nimmt.

Wladimir Putin hat jüngst angekündigt, 40 neue Atomraketen zu bauen. Was sagt Ihnen das?
Das ist verantwortungslos. Was hat der Westen getan, dass Putin glaubt, er braucht 40 neue Atomwaffen? Nichts. Wer hat hier provoziert? Der russische Botschafter in Kopenhagen hat gesagt, Dänemark könnte ein militärisches Ziel sein. Dänemark! Vizepremier Rogosin hat gesagt, Panzer brauchen keine Visa. Wir müssen die Augen offen halten. Das ist kein Problem des Jahres 2015, das nur mit Putin zusammenhängt. Es wird uns wohl noch ein paar Jahre beschäftigen.

Ist das die richtige Zeit, um Atomwaffen in Europa zu reduzieren?
Abrüstung angesichts einer solchen Aggression ermutigt jemanden wie Präsident Putin nur.

Die „Presse“ hat das Interview gemeinsam mit „Standard“ und DPA geführt.

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