Die neue Seele der OMV

RAINER SEELE
RAINER SEELE(c) APA/DPA/UWE ZUCCHI (UWE ZUCCHI)
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Am 1. Juli übernimmt der deutsche Manager Rainer Seele die OMV. Der bisherige Wintershall-Chef ist im Lauf der Jahre vor allem durch seine Nähe zu Gazprom aufgefallen. Wer ist er? Und wie wird er die OMV verändern?

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Vor allem jenes, das sich dem interessierten Chronisten vorige Woche auf dem Internationalen Wirtschaftsforum im russischen St. Petersburg bot. Da standen sie in Erwartung einer großen Unterschrift – die Gazprom-Führungsriege und ihre deutschen Freunde im Gazprom-Ausstellungsstand. Konzernchef Alexej Miller unterhielt den deutschen Ex-Kanzler Gerhard Schröder sichtlich mit Spaß und guten Anekdoten. Dann kam Rainer Seele. Eine Umarmung folgte der anderen, ein Schulterklopfen dem nächsten. So als habe man schon gemeinsam die Schulbank gedrückt, boxten sich der Deutsche und Gazprom-Vizechef Alexandr Medwedjew gegenseitig auf die Brust.

Diese Szene verrät viel über jenen Mann, der am kommenden Mittwoch das Ruder beim österreichischen Mineralölkonzern OMV übernehmen wird. Dass der 55-jährige Seele mit den Russen eng ist, war auch vor seinem Besuch in St. Petersburg schon bekannt. Was niemand geahnt hatte, war, wie schnell der Mann seine neue Aufgabe anpacken würde.


Einstandsgeschenk. Denn obwohl der hoch gewachsene Manager offiziell als Privatperson zum Treffen der russischen Wirtschaftselite gereist war, hatte er für seinen neuen Arbeitgeber bereits ein Einstandsgeschenk im Gepäck: Die OMV dürfte bei der Aufstockung der russischen Ostsee-Pipeline North Stream um zwei weitere Röhren mitmachen. Und – was noch bedeutender ist – sie könnte sich an Öl- und Gasfeldern von Gazprom beteiligen. Konkret am westsibirischen Gasfeld Urengoy, dem zweitgrößten der Welt, und zwar an der Entwicklung der Blöcke IV und V in der tiefsten Achimov-Schicht.

Die Unterschrift unter diese Absichtserklärung mit dem russischen Staatskonzern musste mit Manfred Leitner zwar noch ein aktueller OMV-Vorstand setzen, die Fäden im Hintergrund zog der neue Chef aber schon selbst.

Man traut Seele für seine geplanten drei bis fünf Jahre in Wien vieles zu. Dieser Frühstart hat aber auch seine bisherigen Mitarbeiter beim deutschen Energieunternehmen Wintershall, einer Tochter des BASF-Konzerns, überrascht. „Es kam für uns unerwartet, dass die OMV maßgeblich in Exploration und Produktion in Russland gehen wird“, sagt ein Wintershall-Manager, der nicht namentlich genannt werden möchte: „Das ist eine strategische Neuerung der Österreicher.“


Kurs Richtung Russland. In der Tat hat sich die OMV bisher aus dem Land ferngehalten, sich auf den Zukauf russischen Gases beschränkt und die Eigenproduktion von Gas und Öl in anderen Weltgegenden betrieben. Sollte die OMV nun tatsächlich den Schritt nach Sibirien schaffen, wäre das eine historische Zäsur für das teilstaatliche Unternehmen. Nur einmal, in den Neunzigerjahren, hat die OMV versucht, in Russland Fuß zu fassen – ohne Erfolg. „Es war zum Scheitern verurteilt“, erzählt ein Manager, der damals involviert war. „Ohne staatlichen Partner funktioniert in Russland nichts.“

Mit Rainer Seele, dem verheirateten Vater dreier Kinder, der nebenbei seit 2012 auch Präsident der Deutsch-Russischen Außenhandelskammer ist, könnten der OMV nun Türen offen stehen, an die sie bisher nicht zu klopfen wagte. Nicht nur die Szene in St. Petersburg zeigte, dass er mit den Russen auf Augenhöhe spricht. Die geografische Gewichtung bei Wintershall verrät ebenso, wo Seeles Vorlieben zu Hause sind: Mehr als die Hälfte des gesamten Konzerngeschäftes wird mit Russland generiert. Selbst bei der Ölförderung kooperiert Wintershall mit dem zweitgrößten russischen Ölkonzern Lukoil, der eben bekannt gegeben hat, sein internationales Produktionsgeschäft künftig unter seiner Wiener Niederlassung zu bündeln.

Dass Wintershall bisher Gazproms Lieblingskonzern im Westen war, hat maßgeblich mit der Person Seele zu tun. „Er ist unser bester Mann in Europa“, verrät ein Gazprom-Manager im Gespräch. Das ist nicht verwunderlich, zumal der Deutsche über Jahre die Geschäfte des großen Gashandelsunternehmens Wingas – eines Joint Ventures von Wintershall und Gazprom – in Deutschland geleitet hat: „Mit Seele kann die OMV neben Wintershall unser wichtigster Partner in Europa werden“, so der Gazprom-Manager.


Ein Jahr in Paralyse. Wie immer man politisch zu diesem möglichen Schritt stehen mag, das börsenotierte Unternehmen OMV könnte eine klarere Stoßrichtung gut gebrauchen. Über ein Jahr lang war der 25.000 Mitarbeiter starke Konzern durch einen Machtkampf im Vorstand quasi lahmgelegt. Zuvor hatte der bisherige OMV-General Gerhard Roiss, der nun vorzeitig aus seinem Vertrag austritt, den Abzug aus politisch instabilen Regionen verkündet. Er nahm 2,65 Milliarden US-Dollar für Anteile an Förderfeldern der norwegischen Statoil in die Hand, um den Konzern aus dem Nahen Osten in den sicheren, aber auch wenig lukrativen Norden Europas zu führen. Die Anteilseigner überzeugte das nicht. „Der OMV fehlt die Strategie“, ist der Satz, den man von Analysten am häufigsten hört, wenn man nach Problemen im Konzern fragt.

Unter Seele könnte die neue Strategie rasch klarer werden. Er wird sich eher bemühen müssen, jenen Kritikern Paroli zu bieten, die heute schon wissen wollen, dass die OMV zu einer Zweigstelle der Gazprom wird. Übertriebene Sorge, dass der Deutsche den Rest der Welt links liegen lassen könnte, scheint allerdings nicht angebracht. Vor allem nach Rumänien, mit der OMV-Tochter Petrom, eines der Kernländer des Unternehmens, werden Seele ausgezeichnete Kontakte nachgesagt. Immerhin ist er Honorarkonsul von Rumänien in Hessen.

Fragt man Seele selbst, was er mit der OMV vorhat, nennt er vorerst nur ein Ziel: mehr Produktivität. Der heimische Konzern machte im Vorjahr aus 36 Milliarden Euro Umsatz nur 1,1 Milliarden Euro Gewinn. Zum Vergleich: Seele brauchte mit der deutschen Wintershall 2014 nicht einmal halb so viel Umsatz, um 1,8 Milliarden Euro zu verdienen.


Therapeut für die OMV. Aber der neue OMV-Chef muss mehr können, als nur die Anteilseigner mit hohen Dividenden zu befriedigen. Er muss im zerstrittenen Konzern auch den Paartherapeuten mimen. Die Querelen der vergangenen Monate haben das Unternehmen die Hälfte seines Vorstandes gekostet. Und auch wenn die Streithähne nun nicht mehr im Haus sind, sind die alten Fronten zwischen den Abteilungen zum Teil noch immer deutlich spürbar, heißt es aus dem Konzern.

Nicht nur das Unternehmen muss neu ausgerichtet, auch die Mannschaft muss neu aufgerichtet werden. Wie kam der Personalberater Korn Ferry darauf, dass just dieser Mann, der auf keiner Liste der beiden Großparteien zu finden war, für den Job der Richtige sei? Was veranlasste die Entscheidungsträger, auch tatsächlich ihn zu wählen?

Fachlich habe es keine Diskussion gegeben, wird erzählt. Die Kompetenzen – und Kontakte – von Seele hätten eine klare Sprache gesprochen. Aber das war offenbar nicht alles: „Er ist eine Art Anti-Roiss“, verrät einer der Involvierten, der nicht genannt werden will. Nicht so sehr, wenn es ums Geschäft geht: Auch der Oberösterreicher Gerhard Roiss stand und steht dem russischen Langzeitpartner der OMV nahe. Auch er versuchte, gemeinsam mit der Gazprom eine Gasleitung nach Europa zu bauen.

Der entscheidende Unterschied sei vielmehr „auf menschlicher Ebene zu suchen“, heißt es. „Er ist zwar ein deutscher Manager, weiß also, was er will“, erzählt man bei der Staatsholding ÖBIB. „Aber er ist auch ein angenehmer und umgänglicher Mensch.“ Das bestätigen auch jene, die lange Zeit in Deutschland mit Rainer Seele gearbeitet haben. Als Chef habe der Mann vor allem eine Qualität: Er kann seine Mitarbeiter begeistern, wird erzählt. Er schaffe es, sie „mit einem Sack von Argumenten, aber auch mit Empathie für die schwierigsten Aufgaben mitzureißen“.


Worauf lässt sich Seele ein? Aber weiß Rainer Seele auch, worauf er sich mit einem Chefposten in einem teilstaatlichen Konzern in Österreich einlässt? Die Vorkommnisse des vergangenen Jahres hätten ihn freilich abschrecken können. Denn auch ihm konnte die medial zelebrierte Demontage seines Vorgängers nicht entgehen. Zu laut waren die Querschüsse aus Politik und Gewerkschaft, zu undurchsichtig die Motive der bestimmenden Eigentümer aus Österreich und Abu Dhabi.

Mit der Umwandlung der heimischen Staatsholding von einer Aktiengesellschaft in die ÖBIB ist der politische Zugriff auf den größten Einzelaktionär seines Unternehmens sogar noch gewachsen. Die Politik hat sich an ihren größeren Einfluss dem Vernehmen nach rasch gewöhnt. Schon bei der Suche nach der neuen OMV-Führungsriege sollen die Parteien interveniert haben, keine Kandidaten ohne Parteibuch in Betracht zu ziehen.

Es sei ihm schon bewusst, dass in Österreich vieles unterschwellig, auf persönlicher Ebene abläuft, heißt es aus Seeles Umfeld. Da habe er es als Deutscher vielleicht sogar leichter, weil er innenpolitisch weniger verstrickt sei. Geht es nach dem neuen OMV-General dürfte das noch eine Weile so bleiben: Noch ist Rainer Seele mit den „Wichtigen“ im Land angeblich per Sie.

Steckbrief

Rainer Seele
(*1960) wird mit 1. Juli die Nachfolge von Gerhard Roiss als Chef der OMV antreten. Der Vertrag läuft drei Jahre mit einer Option auf weitere zwei.

Gut vernetzt.
Der Chemiker begann seine Karriere 1987 bei BASF. 2009 wurde er Vorstandschef der BASF-Tochter Wintershall. Er ist zudem Präsident der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer.
Er ist verheiratet und Vater dreier Kinder.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2015)

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