Spanien: Die Magie der Belle Époque in der Muschel

San Sebastián
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Kino-Stars, Sterne-Köche und High Society verhalfen dem baskischen San Sebastián zu Prominenz. Zeit, es richtig populär zu machen. Denn es lässt sich hier auch ohne Entourage sehr gut leben – und vor allem essen.

Auf dem Teller rollt die Brandung. Es scheint, als ob die Wellen den Thunfisch, garniert mit bunten, knusprigen Algen, direkt zum Gast spülen – zum Steak geschnitten, nur leicht angebraten. Diese kunstvoll arrangierte Zufälligkeit ist ein Werk der Familie Arzak, Vater Juan Mari und Tochter Elena. Der wellenrauschende Bildschirm unter der transparenten Platte mit dem Bonito, dem für das Baskenland typischen hellen Thunfisch, ist auch ein Sinnbild für die Symbiose, die San Sebastián mit dem Meer eingeht. Eine Verbindung, die die Familie Arzak in mehr als hundert Jahren kulinarisch zur Perfektion gebracht hat. Im Jahr 1897 haben die Großeltern von Juan Mari Arzak das Gebäude als Weinstube errichtet, in dem heute noch das Restaurant, seit 1989 mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet, untergebracht ist.

Seit mehr als hundert Jahren zelebriert die Küstenstadt ihre spektakuläre Lage am Atlantik mit einer Gastronomie, die den Rohstoffen aus Meer und Umland alle Ehre entbietet – und von der Spaniens Entwicklung zu einer der besten Küchen der Welt ihren Ausgang genommen hat. Gleich drei der insgesamt sieben mit drei Michelin-Sternen ausgezeichneten Restaurants Spaniens liegen in der 185.000-Einwohner-Stadt, insgesamt sind hier 16 Sterne versammelt. Nur im japanischen Kyoto gebe es noch mehr Sterne pro Quadratmeter, rechnet das hiesige Tourismusamt stolz vor.

Der baskische Philosoph und Städtereisende Fernando Savater nennt San Sebastián eine „Zauberstadt“. Ihre Magie entfaltet sich aus der muschelförmigen La Concha heraus – der geschützten Bucht, an der sich die ersten Siedler um das Jahr 1000 niedergelassen haben. Das ganze Jahr über trotzen in der Bucht Schwimmer und Surfer dem kühlen Atlantik, zur Freude der Flaneure am von Belle-?poque-Gebäuden gesäumten Paseo, die an die schmiedeeiserne Balustrade gelehnt die von Hügeln begrenzte Bucht fotografieren. Besonders Glückliche genießen den Blick auf die Concha von der Bar im Hotel Inglés aus, dem traditionsreichsten Haus an der Promenade.

Gleich dahinter, zwischen der Muschel und dem Fluss Urumea, liegt die Altstadt, die weder sehr alt noch sehr groß, dafür aber sehr lebendig und stimmungsvoll ist. Im Verlauf seiner Geschichte wurde San Sebastián mehrmals in Schutt und Asche gelegt, zuletzt im Spanischen Unabhängigkeitskrieg (1775 bis 1783). So stammen die meisten Gebäude aus der Zeit danach.

Küche, Küste, Kuren

Dieses mondäne Ensemble von ein paar Straßen ist Pilgerstätte für alle, die keine Lust auf oder kein Geld für Sterne-Küche haben. Eine Bar neben der anderen, an den Theken stapeln sich kunstvoll drapierte und dekorierte Brötchen, die legendären Pintxos. Ursprünglich war der Pintxo, so die baskische Schreibweise für Spießchen, einfach ein Stück Brot mit irgendetwas belegt. Damit das Irgendwas nicht herunterfiel, wurde ein Zahnstocher durchgesteckt, daher der Name. Heute ist der Pintxo kein ordinäres Schinken- oder Käsesandwich mehr, sondern große Küchenkunst im Kleinen, Cocina en miniatura, wie die Spanier sagen. Es herrscht ein ständiges Wetteifern um die schönste Theke, die kreativsten Happen, da ist kein Platz für Schüchterne: Abends, wenn kaum noch Stehplätze zu ergattern sind, sind Ellbogentechnik und Lautstärke der schnellste Weg zum Brötchen. Am besten schreiend auf sich aufmerksam machen und auf die gewünschten Sandwiches mit getrüffelten Wachtelbrüstchen oder pikantem Garnelenspieß, buntem Krabbensalat mit Sardelle oder Entenleber auf Artischockenherzen, mit Pilzen gefüllten Tintenfischen oder karamellisiertem Ziegenkäse zeigen.

Das auf Eigenständigkeit bedachte und an Ausnahmeregelungen nicht gerade arme Euskadi, so der eigene Name für das Baskenland, hat sogar für seine Pintxos ein Sondergesetz erreicht. In Rest-Spanien dürfen diese nur unter Glaskuppeln angeboten werden, hier stehen sie offen auf der Theke. Manche Bars bewahren auch noch die Tradition, dass der Kunde einfach selbst zugreift. Abgerechnet wird dann nach Anzahl und Art der Zahnstocher. Zur Orientierung: Die Brötchen mit den rauen, breiten Zahnstochern sind billiger als die mit den etwas schmäleren Pintxos.

Auch ohne große historische Gebäude gehört San Sebastián, auf baskisch Donostia, zu den ältesten und attraktivsten Urlaubszielen Spaniens. Diese Muschel verschließt sich bei Berührung von außen nicht. Vor allem, wenn Könige anklopfen: Die Stadt verdankt ihre Eleganz und frühe Prominenz als Sommerfrische einem royalen Hautausschlag. Königin Isabella II., von ihren Ärzten zur dermatologischen Behandlung nach San Sebastián empfohlen, kam erstmals im Sommer 1845 und fand so viel Gefallen am milden Seeklima, dass sie von da an jedes Jahr wiederkehrte – in ihrem Gefolge der europäische Hochadel.

Filmfestival im Teatro

Der Besuch von so viel Exzellenz führte zu reger Bautätigkeit und die Stadt mitten hinein in die Belle ?poque. Aus dem Küstenstädtchen wurde ein Seebad, das Gegenstück zu Biarritz auf der französischen Seite des Golf von Biskaya. Es entstanden Luxushotels, Jachthafen, der Casino-Palast, heute das Rathaus, Theater und Ballsäle. Im Jahr 1912 eröffneten zwei emblematische Gebäude am Flussufer des Río Urumea: das Hotel María Cristina und das Teatro Victoria Eugenia. Die Pracht der ersten Jahrzehnte blätterte in der Franco-Ära zwar etwas ab, die Stadt blieb aber Sommerfrische der guten Gesellschaft, Hotel und Theater boten noch immer Zerstreuung von Bürgerkrieg und Niedergang – und Asyl. Während des Zweiten Weltkriegs fanden im Victoria Eugenia italienische Opernsänger, die kaum noch Auftrittsmöglichkeiten in Europa hatten, ein dankbares Publikum.

Den größten Erfolg feierten beide Häuser aber danach, als Gastgeber des Internationalen Filmfestivals, neben Cannes und Berlin eines der wichtigsten Europas. Zum 63. Mal geben sich Filmstars im September 2015 ein Stelldichein in San Sebastián. Im María Cristina, wo in den Sechzigerjahren Audrey Hepburn logiert hat, steigt heute noch Brad Pitt ab. Aber er schlendert nicht mehr hinüber zum altehrwürdigen Theater Victoria Eugenia. Einen modernen Kontrapunkt setzte 1999 der spanische Star-Architekt Rafel Moneo an die andere Seite des Flussufers: Er entwarf den Kursaal als zwei Kuben, die an Eisberge erinnern. Dort findet heute das Festival statt.

Die Geschichte von Hotel und Theater spiegelt die Geschichte San Sebastiáns wider. Das Victoria Eugenia, gegründet als aristokratischer Klub, war später, je nach politischer Lage, Volkstanzsaal, Zufluchtsort für vertriebene Künstler und dann streitbare Plattform für baskische Kultur. Heute ist es wieder ein Theater. Mit internationalen Schauspielen und baskischem Volksgut.

2016 sollen hier und in der ganzen Stadt Feuerwerke abgebrannt werden, kulturell und kulinarisch: San Sebastián wird als europäische Kulturhauptstadt zeigen, wie es sich sieht, dem Meer zugewandt, dem Kontinent zugeneigt, der Kulinarik zugetan. Sogar wissenschaftlich: Starkoch Arzak und Kollegen übernahmen die Patronanz bei der Gründung eines Uni-Studiengangs der Gastronomie und Kulinarischen Künste. Die ersten der neuen Küchen-Master werden 2016 die Gäste der EU-Kulturhauptstadt bereits bekochen können.

Sardellen oder Seespinne


Kultur/Freizeit: Tabakalera, Gastgeber eines der wichtigsten europäischen Filmfestivals, Zentrum audiovisueller Kultur. tabakalera.eu


Surfen:surfingsansebastian.com


Shoppen: Besonders edel und angesagt: der Multi-Shop 90 Grados/Noventa Grados mit Kleidung, Schmuck, Parfums und Accessoires von Designern wie Balenciaga, Marc Jacobs oder Stella McCartney. noventa-grados.com

Unbedingt mitnehmen: Sardellen (anchoas).


Restaurante Akelarre: Dreisterneküche von Chef Pedro Subijana mit Meerblick, wahlweise im Stadthaus oder in der Finca am Hügel Igueldo mit Blick über das Meer. Paseo Padre Orcolaga 56, akelarre.net
Restaurante Arzak: Seit 25 Jahren hält die Familie Arzak ihre drei Sterne in der ehemaligen Weinstube in San Sebastián, unweit des Zentrums. Avenida Alcalde José Elósegui 273, arzak.es


Restaurante Martín Berasategui: Acht Kilometer auβerhalb kocht Martín Berasategui in einem groβzügigen Landhaus. Loidi kalea 4, Lasarte-Oria, martinberasategui.com


Pintxos und mehr: In und rund um die Straßen Fermín Calbetón und 31 de agosto in der Altstadt sind die meisten Bars, die vollsten sind die besten.


Bar & Restaurante Gandarías Jatetxea: Tolle Pintxos, traditionelle baskische Küche mit empfehlenswerten T-Bone-Steaks und gutem Fisch. Calle 31 de Agosto 23, restaurantegandarias.com.


Bar & Restaurante Atari Gastroteka: Bei der Kirche Santa María gelegen, schöne Pintxos und gute baskische Küche mit Einsprengseln aus Navarra, zum Beispiel Gefüllte Pimientos del Piquillo oder Bonito mit scharfen Guindilla-Schoten. Calle Mayor/Nagusia Kalea, 18, facebook.com/AtariGastroteka.


Bar, Restaurant und Kulturzentrum A Fuego Negro: Fast schon ein Klassiker der innovativen Tapasküche. Für Neugierige: Sardelle mit Erdbeere, für Vorsichtige: Minihamburger mit Chips. Calle 31 de Agosto 31, afuegonegro.com.


Bar Txepetxa: Spezialisiert auf Sardellen, die auf 13 verschiedene Arten zubereitet werden, zum Beispiel mit Seeigel oder Crème von der Seespinne. Calle Pescadería, 5, bartxepetxa.com


Bar La Cuchara de San Telmo: Bekannt für Neuinterpretationen regionaler Klassiker wie Bäckchen vom Seehecht (kokotxas) oder Calamar a la plancha. Gröβter Nachteil: Es ist immer zu wenig Platz. Calle 31 de Agosto 28/Corredor de San Telmo, lacucharadesantelmo.com

Weitere Informationen zu San Sebastian: sansebastianturismo.com

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