US-Attentäter: „Das Leben ist kurz und bitter“

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Der 24-jährige Mörder von vier US-Soldaten schien sich in seinen letzten Monaten verstärkt dem Islam zugewandt zu haben.

Washington. Was veranlasst einen von Freunden, Nachbarn und Schulkollegen fast durchwegs als freundlich, aufgeschlossen und friedlich beschriebenen 24-Jährigen, sich ein Arsenal an Schusswaffen zuzulegen, ein Ford-Mustang-Cabrio zu mieten, in diesem zu zwei Rekrutierungsbüros zu fahren und dort in einem Kugelhagel vier Soldaten zu ermorden? Hunderte Beamte der US-Bundespolizei FBI, des Heimatschutzministeriums, des nationalen Antiterrorzentrums sowie der lokalen Polizeibehörden im Teilstaat Tennessee und der Stadt Chattanooga suchen seit Donnerstag angestrengt nach der Antwort auf diese Frage, doch die Indizien lassen sich derzeit noch nicht so recht zu einer schlüssigen Kette verknüpfen.

Vater war einmal auf Terrorliste

So viel weiß man am Tag nach jener knappen halben Stunde, innerhalb derer der 24-jährige Mohammod Youssuf Abdulazeez vier US-Marinesoldaten getötet und drei weitere Menschen verletzt hat, ehe er von der Polizei erschossen wurde: Er ist in Kuwait als Sohn einer jordanischen Familie geboren worden, die später nach Tennessee auswandert ist, wo Abdulazeez die US-Staatsbürgerschaft erhalten hat. Die Familie bezog ein Haus in einer typischen amerikanischen Vorstadtsiedlung aus den Siebzigerjahren mit manikürtem Rasen. Sie war konservativ: Die Mutter und die Schwestern trugen außerhalb ihres Hauses stets Kopftücher, die Kinder nach Angaben von Nachbarn auf eine Weise höflich, wie das in strengen Elternhäusern oft der Fall ist.

Der Vater wurde vor Jahren laut Bericht der „New York Times“ wegen möglicher Verbindungen zu einer ausländischen Terrororganisation untersucht; einige Zeitlang war er auf einer Warnliste der US-Antiterrorbehörden, aus diesem Grund sei er einmal im Ausland vernommen worden, doch man habe Abdulazeez père schließlich von dieser Watchlist gestrichen. Gegen den Sohn habe bisher kein Verdacht terroristischer Neigungen bestanden, weder finde sich sein Name auf solchen Warnlisten, noch habe ihn das FBI im Auge gehabt.

FBI prüft mögliche Reisen in den Jemen

Dennoch erwecken die bisher vorhandenen, belastbaren Kenntnisse über Abdulazeez den Eindruck, dass ihm sein Leben zusehends entglitten ist. Seine Schulkollegen und Lehrer beschreiben ihn zwar als vif und nett; doch bemerkenswerterweise haben sich noch keine früheren Arbeitskollegen des Absolventen eines Studiums der Elektrotechnik an der Universität von Tennessee zu Wort gemeldet. Bis auf ein Praktikum beim Stromkonzern Tennessee Valley Authority gibt es keine Hinweise dafür, dass Abdulazeez den Einstieg in die seiner Ausbildung entsprechende Berufswelt geschafft hat.

Die Behörden prüfen zudem Indizien, wonach er in den Jemen gereist sei. Dort wurden etliche westliche Jihadisten radikalisiert, von dort sandte der in den USA gebürtige Al-Qaida-Propagandist Anwar al-Awlaki bis zu seinem Tod vor vier Jahren seine Hassbotschaften aus.
Gesichert ist, dass Abdulazeez zumindest einmal wegen Trunkenheit am Steuer verhaftet wurde; von dieser Episode stammen seine bisher einzigen öffentlich verfügbaren Bilder. Den Bart habe er sich erst in jüngerer Vergangenheit wachsen lassen, sagen Freunde. Er verbrachte viel Zeit in einem Studio für Kampfsportarten, er war groß, kräftig, hart zu sich selbst.

Und dann gibt es diese Einträge in seinem Internet-Tagebuch, die im Licht der jüngsten Anschläge von islamistischen Einzeltätern in Belgien, Frankreich, Tunesien und Britannien besonders verstören: „Das Leben ist kurz und bitter“, schrieb Abdulazeez laut der Site Intelligence Group, welche die Kommunikation extremistischer Gruppen analysiert. „Moslems sollten die Gelegenheit nicht auslassen, sich Allah hinzugeben“, lautete ein anderer Eintrag.

Das war am Montag. Drei Tage später, am letzten Tag des islamischen Fastenmonats Ramadan, schlug er zu. Die Terrorarmee des Islamischen Staats hatte zuvor ihre Sympathisanten in aller Welt dazu aufgefordert, dieses Datum für Anschläge zu nutzen.

In der Moschee, die Abdulazeez vor drei Monaten plötzlich wieder regelmäßig zu besuchen begonnen hatte, sagte man aus Respekt vor den ermordeten Soldaten die traditionell fröhliche Feier Eid al-Fitr zum Ende des Ramadan ab. „Wir wollen nicht Teil dieser gestörten Ideologie sein“, sagte einer der Führer der Gemeinde zur „Times“. „Das ist nicht die Botschaft, die wir predigen.“

Zur Person

Mohammod Youssuf Abdulazeez (24) kam als Sohn von Jordaniern in Kuwait zur Welt; später wanderte die Familie nach Tennessee aus, und er wurde US-Bürger. Er war studierter Elektrotechniker, betrieb Kampfsport und wurde einmal wegen Trunkenheit am Steuer verhaftet. Vor ein paar Monaten begann er, regelmäßig zum Gottesdienst in die Moschee zu gehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2015)

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