Wohnen: Als Gruppe bauen und gemeinsam leben

(c) Stanislav Jenis
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Immer mehr Gleichgesinnte tun sich in Wien zu Baugruppen zusammen und errichten – mit Bauträger oder ohne – ihre eigenen geförderten Wohnbauten. Das Pilotprojekt Seestern in Aspern wird demnächst bezogen.

Wien. Manchmal scheitern ja schon zwei Leute daran, gemeinsam ein Haus zu bauen. Manchmal funktioniert es aber selbst zu vierzigst. Wenn sich die Richtigen finden, ein durchdachtes Konzept dahintersteckt. Immer mehr Wiener tun sich zu Baugruppen zusammen, planen ihre Wohnbauten selbst. Eines der Pilotprojekte auf dem Gebiet, der Seestern in Aspern, ist nun fertig. Ab 1. August werden die Wohnungen bezogen. Beim Wohnen dort, und bei der Idee der Baugruppe, gehe es vor allem ums gemeinsam Leben, sagt Gernot Tscherteu, der Initiator des Projekts, der selbst ab August im Seestern leben und arbeiten wird.

40 Mitglieder hat der Verein, die Mitglieder haben sich vor allem über Mundpropaganda gefunden. Sie ziehen, inklusive sechs Kinder, in 27 Wohneinheiten auf 1942 Quadratmetern Wohnfläche. Dazu kommen Gemeinschaftsräume wie die Dachterrasse, eine große Küche für Feste oder ein Sportraum. Angedacht hat er das Projekt vor zehn Jahren. „Damals war in Wien die Zeit dafür noch nicht reif.“ Schließlich hat der Verein in Aspern einen Bauplatz erhalten. Der Bau, geplant von Einszueins Architektur nach Vorstellungen des Vereins, wurde von einem Bauträger übernommen.

Der Vorteil daran, das einem Bauträger zu überlassen? „Zum einen die Vorfinanzierung, aber auch etwa die einfachere Abwicklung der Wohnbauförderung“, sagt Tscherteu. Der Verein Seestern übernimmt den Wohnbau als Generalmieter, die einzelnen Vereinsmitglieder zahlen eine Bruttomiete von acht bis elf Euro pro Quadratmeter und einen Eigenmittelanteil von null bis 550 Euro pro Quadratmeter.

In zehn Jahren hat der Verein Seestern eine Kaufoption. Will eines der Vereinsmitglieder ausziehen, kann der Verein ein neues Mitglied aufnehmen. Dieses Vorrecht, über die Nachbarn gemeinsam zu entscheiden, sei wichtig, sagt Tscherteu. Schließlich geht es vor allem um die Gemeinschaft, wie in einer Art neuem Dorf. „Das gemeinschaftliche Bauen als Baugruppe ist eine Antwort auf viele gesellschaftliche Fragen“, sagt Tscherteu. Zum Preis, der einem geförderten Wohnbau entspricht, entsteht ein neues Zusammenleben, das angesichts einer zunehmenden Zahl von Single-Haushalten und instabilerer Familienstrukturen gesellschaftliche Aufgaben erfüllen kann. Ein Modell der Zukunft, meint Tscherteu. Bisher funktioniere das gemeinsame Planen „erstaunlich gut“: In partizipativen Prozessen wurde das Haus geplant, dabei herrsche ein Konsensprinzip: Hat ein Einzelner Einwände, könne er nicht überstimmt werden. „Das ist zeitaufwendiger, aber nachhaltiger.“ Das Zusammenleben organisieren einzelne, freiwillige Gruppen – sie planen Ausflüge, Feste, Spieleabende und organisieren etwa das Carsharing. Auch einen Coworking Space wird es im Seestern geben. „Die Gruppe war am Anfang sehr unterschiedlich, von Studenten bis zu 60-Jährigen. Aber bisher wurden alle Konflikte gut gelöst“, sagt Tscherteu. Schließlich eine die Gruppe, dass jeder nicht nur an Wohnungen, sondern an Gemeinschaft interessiert sei.

Baugruppen etablieren sich

Ein Motiv, das sich mehr und mehr durchsetzt: Auch am Hauptbahnhof, am Nordbahnhof oder am Gelände des früheren Gaswerks Leopoldau entstehen Baugruppen-Projekte. Obwohl das Konzept, bis auf einzelne ähnliche Projekte wie die Sargfabrik oder die Gemeinschaft Brot, in Wien lang im Hintertreffen war. Seit wenigen Jahren etabliert sich das Modell, das in Skandinavien oder Deutschland schon stärker präsent ist, zunehmend. Auch Tscherteu denkt schon über ein nächstes Projekt in Aspern nach. Auch wenn fürs Erste die Freude, dass das Leben dort nun richtig losgeht, überwiegt.

Auf einen Blick

Das Modell Baugruppe etabliert sich zunehmend in Wien. Ab 1. August wird etwa das Projekt Seestern in Aspern bezogen. Ähnliche Bauten entstehen ebenfalls in Aspern (JAspern), im Sonnwendviertel (Sovieso) oder am Nordbahnhof (Wohnprojekt Wien). Dabei tun sich Gleichgesinnte zu einer Baugruppe zusammen, planen einen Wohnbau mit und bauen diesen entweder gemeinsam mit einem Bauträger (Mietmodell) oder in Eigenregie (Eigentumsmodell).

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2015)

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