Die sanfte Revolte der Künstler

SAUDI ARABIA JEDDHA
SAUDI ARABIA JEDDHAEPA
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Im konservativen Saudiarabien erlebt die moderne Kunst derzeit einen bisher nie dagewesenen Aufschwung. Zentrum dieser neuen jungen Szene ist die Hafenstadt Jeddah.

Für Saudiarabiens Youtube-Komiker waren Künstler stets leichte Beute. „Hurra, gute Nachrichten“, albert Omar Hussein in seinem Online-Satireprogramm, „die saudische Kunstvereinigung gibt die Eröffnung ihres unabhängigen Zentrums bekannt.“ Neben dem Spaßmacher erscheint das Foto eines kleinen, abgeranzten Quaderbaus. In der nächsten Szene zerschneidet ein saudischer Prinz in goldbesticktem Gewand – unterlegt mit Mozarts Symphoniemusik und umgeben von grinsenden Lakaien – das Eröffnungsband. Der erste Blick ins Innere des Kunsttempelchens lässt die Festgesellschaft erstarren. Auf einer Matratze liegt ein unrasierter Kreativer und schläft. „Ich hatte dir doch gesagt, du sollst verschwinden, wenn wir kommen“, faucht ihn einer der Speichellecker an.

Über viele Jahrzehnte war in der Heimat des Propheten Mohammed die offizielle Realität von solcher Satire kaum zu unterscheiden. Es gab keine Galerien und Museen, Künstler galten als Sonderlinge, Malerei war westliche Dekadenz. Die ganz wenigen Ausstellungen fanden – wenn überhaupt – in Restaurants oder Cafés statt. Alles hing von der Initiative einiger weniger ab. Seit fünf Jahren tut sich was. In dem Königreich, das hauptsächlich wegen seiner kulturfeindlichen, puritanischen Islamdoktrin von sich reden macht, entsteht eine junge professionelle Kunstszene, die auch international Beachtung findet und sich jetzt mit der Kulturwoche 21,39 zum zweiten Mal der Öffentlichkeit präsentierte. 21,39 sind die Längen- und Breitengrade von Jeddah, der vergleichsweise polyglotten Hafenstadt, in der sich immer häufiger die Wege von einheimischen und internationalen Künstlern kreuzen.

„Fast jede Woche gibt es eine Vernissage – es war also nicht alles vergeblich“, frohlockt Dara Safeya Binzagr, die große alte Dame der saudischen Malerei. In ihrer Jugend studierte sie in Ägypten und Großbritannien. 1968 stellte sie als erste saudische Frau in einer Schule Portraits und Zeichnungen aus, in dem Gästebuch von damals standen vor allem ausländische Diplomaten. Viele Nachwuchskünstlerinnen verehren die 74-jährige Pionierin als Vorbild und Mentorin. Zu den bekanntesten gehören die Konzeptkünstlerin Maha Malluh, die mit ihrer Serie „Food for Thought“ auch auf der Art Basel zu sehen war, sowie die Schwestern Shadia und Raja Alem, die eine Malerin, die andere Schriftstellerin. 2011 vertraten sie als erste Saudis ihre Heimat auf der Biennale in Venedig mit der Installation „The Black Arch“.

Treibende Kraft hinter dem neuen Aufbruch sind vor allem die Macher der Athr-Galerie, Mohammed Hafiz und Hamza Serafi. „Wir sind noch im Kleinkindstadium, es ist wichtig, bescheiden zu bleiben. Aber wir werden aktiver und sichtbarer“, erläutert Mohammed Hafiz, der einer prominenten Herausgeberfamilie entstammt. „Wir versuchen auf allen Ebenen Einfluss zu nehmen, um das Leben zu verwirklichen, nach dem wir uns sehnen.“ Kunst habe nicht nur eine ästhetische und spirituelle Seite, wie viele Saudis glaubten, sondern auch eine soziale und politische Dimension. Ja, es gebe Restriktionen und Grenzen. Saudiarabien sei eben ein extrem konservatives Land. Jeder Künstler müsse die roten Linien für sich selbst herausfinden.

Wie delikat dieser Balanceakt ist, zeigte sich bei der Eröffnung von „Insert Range Here“ in der Athr-Galerie. „Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit“ schrieb ein Künstler, umringt von dem Premierenpublikum mit schwarzem Filzstift in Arabisch und Englisch an die Wand – den Twitter-Satz, der dem Blogger Raif Badawi zehn Jahre Haft, 1000 Stockschläge und 230.000 Euro Geldstrafe einbrachte. Als er merkte, dass ausländische Journalisten seine Performance beobachtet hatten, bat er, seinen Namen nicht zu erwähnen.

Mit der Initiative möchten die agilen saudischen Kunstförderer wieder an die große Zeit von Jeddah anknüpfen. Schon einmal, in den 1970er-Jahren, bevor das Königreich in seine islamistische Schockstarre verfiel, zählte die Hafenstadt neben Beirut, Kuwait und Teheran zu den nahöstlichen Metropolen mit dem aktivsten Kulturleben. Den Ruf verdankte sie dem damaligen Bürgermeister Mohamed Saeed Farsi, einem kunstsinnigen und weitsichtigen Mann, der in Alexandria studierte und heute in Kairo lebt. Nach seinem Amtsantritt 1972 verpflichtete er Investoren, einen Bruchteil der jeweiligen Bausumme für öffentliche Kunstwerke zu spenden. 500 Skulpturen im damaligen Ankaufswert von 150 Mio. Dollar kamen zusammen, in Jahren, als auch New York, Chicago und London Kunstwerke im urbanen Raum aktiv zu fördern begannen.


Familientreffpunkt. Bald setzten Luftfeuchtigkeit und Wüstenstürme den Skulpturen genauso zu wie die gezielte Vernachlässigung durch Farsis Nachfolger. Erst 2011, inspiriert durch den Arabischen Frühling, wagte es eine Bürgerinitiative, sich dieses einmaligen Erbes wieder anzunehmen. 27 Werke ließen die Initiatoren von einer britischen Spezialfirma restaurieren und fassten sie an der Corniche zu einem Skulpturenpark zusammen. Im August 2014 eröffnet, hat sich das Gelände mit Blick auf das Rote Meer zu einem beliebten Familientreffpunkt entwickelt.

Auf den neu angelegten Rasenflächen stehen Schöpfungen von Henry Moore, Alexander Calder, Joan Miró, Arnaldo Pomodoro und Victor Vasarelly. Grillrauch wabert zwischen den Plastiken, Kinder lassen Drachen steigen und auf Wolldecken picknicken Großfamilien. Über dem Meer steht leuchtend die Abendsonne, während in Alexander Calders knallroter Skulptur „Flexibility of Balance“ der zweijährige Waisal herumtollt. Vater Musaid folgt schmunzelnd seinem Spross. Wie praktisch alle hier hat er keine Ahnung, zwischen welchen Kulturschätzen er campiert. „Ich komme jede Woche, ich mag den Park“, sagt er. „Über die Künstler würde ich gerne mehr wissen.“

Diktatur in der Wüste

Absolute Monarchie.Der ölreiche Wüstenstaat Saudiarabien ist eine absolute Monarchie. Regiert wird das Land von der Königsfamilie al-Saud. Es gibt keine Parteien, Kritiker und „unislamisches“ Verhalten werden von dem Regime verfolgt. Folter- und Todesstrafen werden regelmäßig verhängt.

Wahabismus. Im Land leben rund 98 Prozent Muslime, rund 85 Prozent davon hängen dem sunnitischen Glauben an. Das Königshaus tritt für eine besonders orthodoxe Ausprägung ein, den sogenannten Wahabismus. Die religiöse Bedeutung Saudiarabiens für die Muslime in der ganzen Welt beruht vor allem auf den heiligen Stätten in Mekka und Medina, als deren Hüter sich der saudische König versteht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2015)

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