Steiermark: Zapfenstreich im Zirbenland

(c) Bloomberg (David Ryder)
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Wo ein Tag 25 Stunden hat, der Mornellregenpfeifer haust und die „Tschurln“ als Allheilmittel gelten: Im Zirbenland besteigt man 2396-Meter-Gipfel und hat vom Tag eine Stunde mehr, gefühlt.

Das steirische Zirbenland beginnt dort, wo die gängigen Reiseführer oft zu Ende sind. Die Ortschaften zwischen Seetaler Alpen, Obdacher Sattel, Lavanttal und Niederen Tauern liegen fernab von Durchzugsrouten oder Ballungszentren, kaum, dass jemand Amering, Obdach oder St. Anna am Lavantegg kennt. Allein der Zirbenschnaps ist überregional in vieler Munde. Doch Jahr für Jahr beginnt das Hoheitsgebiet der Zirbelkiefer ebenso zu wachsen wie die Zahl der Besucher. Auch rund um Judenburg, die Ruine Eppenstein oder den angrenzenden Naturpark Zirbitzkogel-Grebenzen kann die Vormachtstellung der Pinus cembra nicht länger übersehen werden.

Nachweislich entschleunigend wirkt sich die Zirbe auf den Organismus aus. So haben Studien der Joanneum Research ergeben, dass der Kontakt mit Zirbenholz die Pulsfrequenz pro Tag um etwa 3500 Schläge verringert – was in etwa einer Stunde entspricht. Urlaub mit 60 Minuten Mehrwert also, indem man einfach einmal in den Wald geht und die Bäume umarmt oder sich in einem Zirbenholzbett (mit denen viele Betriebe ausgestattet sind) zur Ruhe begibt. Mit ein paar Zirberln, dem rötlichen Zirbenschnaps, gehören schlaflose Nächte jedenfalls der Vergangenheit an.

Der Zirbitzkogel ist so etwas wie die grüngraue Eminenz der Seetaler und Lavanttaler Alpen, eine Institution für die Bergwanderer. Wer seine 2396 Meter erst einmal erklommen hat, versteht die in vieler Hinsicht – geologisch, botanisch, kulinarisch und visuell – herausragende Bedeutung dieses sanften Riesen. Allein beim Ausblick, der an sonnigen Tagen – und dort droben scheint meist die Sonne – bis zu den Julischen Alpen und Karawanken, zu Dachstein, Hochschwab und mit etwas Glück bis zum Sonnblick reicht, riskiert man nahezu einen Gipfelrausch. Sofern man nicht zuvor bereits einem veritablen Almrausch erliegt.

Langsames Wachstum

Daran sind allerdings meist die rostblättrigen Alpenrosen schuld, die hier bis in den Sommer nahezu flächendeckend blühen. Von ihnen hat der Berg angeblich seinen Namen, denn „zirbiza“ bedeutet auf Slowenisch rote Alm. Das behaupten die einen. Die anderen verweisen auf diesen europaweit größten zusammenhängenden Zirbenwald, der sich hier bis zum Horizont erstreckt. Eine beachtliche botanische Leistung, wenn man bedenkt, dass Zirben gerade einmal einen Zentimeter pro Jahr an Größe zulegen. Kein Wunder demnach, dass diese Riesen über 1000 Jahre alt werden können.

Weniger auffällig, dafür aber ebenso einzigartig sind die Mornellregenpfeifer, die oberhalb der Waldgrenze auf dem Kogel seit der Eiszeit ihre zweite Heimat gefunden haben. Diese teilen sie sich mit Birkhühnern, Steinadlern und Kolkraben, mit Echtem Speik, blauen Pyramiden-Günseln, seltenen Rosenwurzen und manch einem „grantigen Jaga“ (Alpen-Küchenschellen). Aber nicht nur.

Zirbenzapfen
ZirbenzapfenImago

Gegen die Tschurln-Wilderei

„Das Schönste am Gipfel ist die Hüttn.“ Siegfried Grillitsch, der Bruder der Hüttenwirtlegende „Zirbitz-Werni“, rückt die bergsteigerische Euphorie ins kulinarische Licht. Seit 1989 betreiben die beiden Brüder das Zirbitzkogelschutzhaus, das 200 Meter unter dem Gipfel liegt und zu den höchsten und ältesten Refugien der Ostalpen zählt. Wer hierher kommt, tut das aber nicht nur wegen des Ausblicks auf die Landschaft, sondern auch wegen des Einblicks in den Kochtopf. Die Brüder sind für ihre Bergsteigersupp'n berühmt. „Hier oben wird das Gemüse noch richtig geschält und die Zwiebeln auf dem Holzofen angeschwitzt,“ erklärt der Wirt den geschmacklichen Unterschied zwischen einer bodenständigen Gemüsesuppe und der Zirbitzkogler Gebirgsvariante mit Schwammerln und Würstel.

Der Alpengasthof Sabathy am Fuße des Zirbitzkogels setzt ebenfalls auf das Lokale. Allein die hausgemachten Bio-Zirbenlandnudeln von Reinhard Hörmann sind den Aufstieg auf 1600 Meter wert. Zuvor lohnt sich ein authentischer Aperitif wie Zirberol oder Zirbirinhia. Mit Zirbenöl marinierte Eierschwammerl, aromatisiertes Wild und Zirbenschaumsuppe aus Nadeln runden das Geschmackserlebnis bodenständig ab.

Einziger Wermutstropfen der zirbischen Gourmandise: Die kostbaren Zapfen, „Tschurln“, die zwischen Ende Juni und Ende Juli geerntet werden, dürfen nicht ohne Genehmigung geerntet werden, denn das unkontrollierte Sammeln hat weniger zu einer guten Ernte – die besten Tschurln sitzen meist ganz oben – als zu abgebrochenen Wipfeln, verletzter Rinde und schweren Knochenbrüchen geführt. Schließlich kann man die multifunktionellen Wunderzapfen erstehen, beim Gasthof Sabathy etwa gibt's eine Sammelstelle.

Die Zirbelkiefer ist so vielfältig verwendbar, dass sie eigentlich die Wollmilchsau in der Botanik darstellt. Aus den Zapfen wird Zirberlschnaps hergestellt, aus den Nadeln ätherische Öle destilliert oder Salben gerührt und aus dem feinfasrigen Holz tischlert man Bänke, Betten, auch Schreibgerät (ZirPen). Seit Kurzem gibt es eine eigene Zirbennadeldestillerie auf dem Pflanzenhof Frewein in Weißkirchen, wo neben dem „Zirup“ mit Minze auch Öl erzeugt wird. Zirbenöl aromatisiert aber nicht nur die Raumluft, es soll auch bei Erkältungen, Schlaflosigkeit und mentaler Erschöpfung gut sein. Wogegen der Zirberlschnaps oder die Zirbenkugel gut gegen körperliche Schwächeanfälle sind. Was bei dem weiten Radwegnetz und den vielen Wanderwegen (300 km) schon einmal vorkommen kann.

Tipps

Einkaufen: Füllfeder ZirPen bei Harrys Kunsthandwerk in Weißkirchen Seifen, Destillate, Zirup: Pflanzenhof Frewein in Weißkirchen: www.pflanzenhof.at

Fleischwaren: Liebminger vlg. Maurer in Weißkirchen, www.liebminger-fleisch.at

Konfiserie mit Zirberl bei Josef Kern in Obdach, www.meisterwelten.at

Salbe in Landschaftsapotheke Judenburg, www.die-landschaftsapotheke.at

Einkehr: Zirbitzkogelschutzhaus in St. Anna am Lavantegg
Helmut-Erd-Schutzhaus, Werner Grillitsch, Lavantegg 57
Alpengasthof Sabathy in Obdach, www.alpengasthof-sabathy.at

Region: www.steirisches-zirbenland.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2015)

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