Drei Tage nach dem Unglück in einem Gefahrgutlager ist die Lage in der chinesischen Hafenstadt Tianjin alles andere als unter Kontrolle.
Drei Tage nach den schweren Explosionen in einem Gefahrgutlager der nordchinesischen Stadt Tianjin ist die Zahl der Toten auf 104 gestiegen. Unter ihnen sind 21 Feuerwehrleute. Wie die Nachrichtenagentur Xinhua am Samstag berichtete, liegen noch 721 Verletzte in Krankenhäusern. Darunter seien 58 Schwerverletzte, davon 33 in einem ernsten Zustand.
Als Reaktion auf die Katastrophe ordnete die Regierung landesweit Inspektionen bei Unternehmen an, die mit gefährlichen Chemikalien und Explosivstoffen umgehen. Offenbar schwelte noch Feuer in dem riesigen Trümmergebiet, sodass sich am Samstag neue Brände entzündeten und Explosionen ereigneten. Reporter hätten sieben oder acht Detonationen gehört, berichtete die Nachrichtenagentur China News Service. Starker Rauch stieg an mehreren Stellen über dem Unglücksgebiet auf.
Auf dem Hafengelände im Binhai Distrikt der Millionenmetropole waren in der Nacht auf Donnerstag tonnenweise gefährliche Chemikalien explodiert und hatten schwere Zerstörungen angerichtet. In einem kilometerweiten Umkreis gab es noch Schäden. 17.000 Haushalte, 1700 Unternehmen und 675 Geschäfte waren betroffen. In zwölf Schulen und drei Wohnhäusern wurden Unterkünfte für 6300 Obdachlose geschaffen, deren Wohnungen zerstört oder schwerbeschädigt wurden.
Angst vor Schadstoffen
Nach dem Unglück ging Angst in der Bevölkerung vor giftigen Gasen in der Luft um. Der Zeitung "Beijing News" zufolge begann die Polizei am Samstagmorgen damit, die Menschen in Sicherheit zu bringen. Zuvor war bekannt geworden, dass sich in dem Lager auch Natriumcyanid befindet. Einem Bericht zufolge wurde die giftige Chemikalie auch in Abwasserproben in der Gegend nachgewiesen. In welchem Umkreis nun die Evakuierungen angeordnet wurden, darüber gingen die Angaben am Samstag auseinander. Die Rede war von zwei bis drei Kilometern rund um den Unglücksort.
Auch Feuerwehrleute und eine Kommandozentrale mussten wegen der hohen Schadstoffkonzentration vorübergehend in Sicherheit gebracht werden, berichtete Xinhua. Die Bergungsarbeiten kamen angesichts der anhaltenden Gefahr durch die gelagerten Chemikalien nur langsam voran. Mehr als 1000 Feuerwehrleute waren im Einsatz.
Nie zuvor in der Geschichte der Volksrepublik sind bei einem Unglück so viele Feuerwehrleute ums Leben gekommen wie bei den Explosionen in Tianjin. "Als die Explosion passierte, waren Feuerwehrleute dabei, den Brand zu löschen, und Nachschub war gerade eingetroffen. Sie wurden völlig überrascht, so dass die Opferzahl hoch ist", schilderte Zhou Tian, Chef der Feuerwehr von Tianjin.
Diskussion um Feuerwehrleute-Ausbildung
Die Feuerwehrleute waren zu dem Einsatz in dem Gefahrgutlager gerufen worden, ohne zu wissen, was dort brannte oder gelagert war. Auch setzten sie Wasser ein, was bei Chemikalien wie dem unter anderem dort gelagerten hochgiftigen Natriumcyanid explosive Reaktionen auslösen kann. Die hohe Opferzahl löste Diskussionen aus, ob die Feuerwehrleute für solche Situationen ausreichend ausgebildet waren.
Der Staatsrat ordnete im ganzen Land eingehende Untersuchungen an, wie mit gefährlichen Chemikalien und Explosivstoffen umgegangen wird. Die Lehren aus dem Unglück seien "äußerst tiefgreifend", fand die Kommission für Arbeitssicherheit. Das Unglück in dem Gefahrgutlager "enthüllt einen Mangel an Sicherheitsbewusstsein bei Unternehmen und eine lockere Umsetzung von Sicherheitsvorschriften", zitierte Xinhua.
Andere Probleme seien eine "unangemessene Handhabung von Gefahrgütern an Häfen, uneinheitliche Praktiken unter Arbeitern, schwache Reaktion von Rettungskräften auf Zwischenfälle und lasche Aufsicht durch Behörden", zitierte die Staatsagentur aus einer Anweisung der Kommission. Behörden auf allen Ebenen müssten den Umgang mit solchen Gefahrgütern strenger kontrollieren. Das Chemikalienlager in Tianjin lag nur 500 bis 600 Meter von großen Wohnsiedlungen entfernt.
(APA/AFP/dpa)