Tianjin-Unglück: Hunderte Tonnen Zyanid gelagert

Feuerwehrleute mit Gasmasken waren auch am Sonntag im Einsatz
Feuerwehrleute mit Gasmasken waren auch am Sonntag im EinsatzREUTERS
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Bürger werfen der Regierung mangelnde Transparenz vor: "Niemand hat uns etwas gesagt."

In dem am Mittwoch explodierten Gefahrgutlager im chinesischen Tianjin waren nach Angaben des Militärs „Hunderte Tonnen“ hochgiftiges Zyanid eingelagert. Ein ranghoher Militärvertreter bestätigte am Sonntag erstmals, dass die gefährliche Chemikalie dort gelagert worden war.

Die Zahl der Todesopfer stieg unterdessen auf 112, sie könnte aber noch deutlich steigen, denn 95 Menschen wurden noch vermisst, darunter 85 Feuerwehrleute. Bisher seien 24 Leichen identifiziert worden, bei 88 weiteren sei die Identität noch unklar, sagte ein Sprecher der Stadtverwaltung. Unter den Toten sind den Behörden zufolge 21 Feuerwehrleute. Mehr als 700 Menschen wurden verletzt. Bei den Explosionen wurde das Industriegebiet am Hafen der 15-Millionen-Einwohner-Stadt rund 140 Kilometer südöstlich von Peking in weiten Teilen verwüstet.

Behörden wollen Angst zerstreuen

Das Zyanid wurde an der Unglücksstelle an zwei Orten nachgewiesen, sagte General Shi Luze, Generalstabschef der Region Peking, am Sonntag. In chinesischen Medienberichten war zuvor von 700 Tonnen Natriumcyanid die Rede gewesen. Kontakt mit der Chemikalie kann innerhalb kurzer Zeit tödlich sein.

Die chinesischen Behörden versuchen seit dem Unglück, Angst vor einer Giftgaswolke oder Gift im Grundwasser zu zerstreuen. Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua meldete, der Zyanid-Gehalt im Abwasser in der Region sei am Tag nach dem Unglück zehnfach überhöht gewesen. Inzwischen sei er nur noch doppelt so hoch wie normal. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace maß bei Tests des Oberflächenwassers nach eigenen Angaben an vier Stellen in der Millionenstadt keine erhöhten Zyanidwerte.

Löste Feuerwehr Explosionen unabsichtlich aus?

Am Samstag waren nach Medienberichten nach neuen Explosionen alle Einwohner im Umkreis von drei Kilometern in Sicherheit gebracht worden. Aufgebrachte Angehörige von Opfern und Nachbar protestierten am Rande einer Pressekonferenz. Sie warfen den Behörden mangelnde Transparenz und fehlende Informationen vor. „Niemand hat uns etwas gesagt“, schrie eine Frau, bevor sie von Sicherheitskräften weggebracht wurde. Mehr als 360 Konten von Nutzern sozialer Netzwerke wurden laut Xinhua geschlossen, weil sie „Gerüchte“ über das Unglück verbreitet hätten. Rund 50 Websites wurden laut der chinesischen Cyberspace-Verwaltung wegen „Erzeugens von Panik durch die Verbreitung ungeprüfter Informationen“ bestraft.

Es war weiterhin unklar, ob die Feuerwehr beim Löschen mit Wasser eine chemische Reaktion auslöste, die zu den verheerenden Explosionen führte. Der Feuerwehrchef von Tianjin, Lei Jinde, versicherte, seine Leute seien richtig vorgegangen. „Wir wussten, dass Kalziumkarbid dort war, aber wir wissen nicht, ob das Kalziumkarbid explodierte und Feuer fing“, sagte er Xinhua. Demnach waren in dem Lager auch Ammoniumnitrat und Kaliumnitrat.

Nach Angaben der Zeitung „People's Daily“ verstieß das Gefahrgutlager klar gegen Sicherheitsauflagen, vor allem gegen die Regelung, wonach gefährliche Materialien mindestens einen Kilometer von anderen Gebäuden und Straßen entfernt untergebracht werden müssen. Staatspräsident Xi Jinping rief am Samstag die Behörden auf, die „extrem wichtigen“ Sicherheitslehren aus der Tragödie zu ziehen.

(APA/AFP)

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