Vom Autobauer bis zum Imbissstand: Brasilien in der Krise

BRAZIL PROTEST
BRAZIL PROTEST APA/EPA/MARCELO SAYAO
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Die Krise in Brasilien wirkt sich auf alle Bereiche aus: Großprojekte werden eingefroren und auch kleine Firmen verlieren Kunden.

Die Autokonzerne Volkswagen AG und General Motors Co. haben Produktionsanlagen in Brasilien stillgelegt und Tausende entlassen. Latam Airlines, die größte Fluggesellschaft der Region, streicht Flüge. Embraer SA, der weltweit drittgrößte Flugzeugbauer, verschiebt den Bau seines größten neuen Flugzeug. Und Cafés und Restaurants leiden, weil Kunden ausbleiben. Die sich vertiefende wirtschaftliche und politische Krise im Land wirkt sich auf alle Bereiche aus: Großprojekte werden geschrumpft oder eingefroren und kleinere Unternehmen müssen die Preise senken und sich nach Möglichkeiten für zusätzliche Einkünfte umsehen.

„Die politische Unsicherheit ist enorm und lähmt Brasilien”, sagt Eduardo Fischer, Co-Chef des Bauunternehmens MRV im Interview mit Bloomberg. In Brasilia, der Hauptstadt des Landes, “werden Entscheidungen und notwendige Maßnahmen verschoben, in Zweifel gezogen oder zurückgewiesen, und nichts geschieht.”

Krise in allen Bereichen

Selbst Imbisse sind betroffen: Bei Carambola’s im Finanzdistrikt von Sao Paulo gingen die Sandwich- und Fruchtsaftverkäufe während der Mittagspause in den vergangenen Monaten um 30 Prozent zurück. Der Inhaber musste zwei Mitarbeiter entlassen und schließt jetzt früher, da nach der Arbeit keine Kunden mehr vorbeikommen. “Alle bringen ihr Mittagessen jetzt von zuhause mit”, sagt Geschäftsführer Rafael Bruno da Silva, während ein einsamer Kunde im Laden seinen Kaffee trinkt. “Wir haben die Saftpreise gesenkt, aber viel Unterschied scheint es nicht zu machen.”

Die Opposition im brasilianischen Parlament und viele Bürger fordern den Rücktritt von Präsidentin Dilma Rousseff, deren Popularität auf ein Rekordtief gesunken ist. Es laufen Untersuchungen gegen führende Regierungsmitglieder wegen der Verwicklung in einen Korruptionsskandal beim staatlichen Ölkonzern Petrobras, dem weltweit am höchsten verschuldeten Unternehmen der Branche.

Brazilian President Dilma Rousseff Interview
Brazilian President Dilma Rousseff InterviewBloomberg

Schlechte Währungsentwicklung

Hinzu kommt, dass Volkswirte für dieses Jahr damit rechnen, dass die Wirtschaft um mehr als zwei Prozent schrumpft, die Inflation ist über der Zielmarke der Notenbank und die Arbeitslosigkeit auf einem Fünfjahreshoch. Der brasilianische Real weist 2015 die schlechteste Entwicklung unter den wichtigsten Weltwährungen auf.

Die Autobauer des Landes haben die Krise auch zu spüren bekommen, ihre Nachfrage ist eingebrochen. Im ersten Halbjahr sind die Verkaufszahlen verglichen mit dem Vorjahreszeitraum um 20 Prozent abgesackt, gab der Verband Anfavea bekannt. VW und GM mussten als Konsequenz beide Fabriken stillegen und Mitarbeiter freistellen. Eine Stellungnahme lehnten die Konzerne ab.

"Müssen Seifenoper überstehen"

MRV, der zweitgrößte Immobilienkonzern des Landes, kann zahlreiche neue Projekte nicht vorantreiben, da die Genehmigung zusätzlicher Mittel für Sozialwohnungen - ein Eckpfeiler von Rousseffs Arbeiterpartei Partido dos Trabalhadores - bislang ausblieb. Im Mai hatte die Regierung angekündigt, Ausgaben im Milliarden-Reais-Volumen einzufrieren. Darunter 5,6 Milliarden Reais für das Wohnungsprogramm.“Wir müssen dies durchstehen”, sagt Konzernchef Fischer. “Unser Ziel besteht darin, diese Seifenoper zu überstehen, sonst kann Brasilien nicht vorankommen.”

(Bloomberg)

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