"Ästhetik allein ändert das System nicht"

Harald Gründl
Harald Gründl(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Design könnte Technologie "magisch" machen, sagt EOOS-Mitgründer Harald Gründl. Er will mit Massenkreativität Krisen bewältigen – und die Toilette ins 21. Jahrhundert holen.

Die Presse: Wie wird unsere Welt in 50 Jahren aussehen?
Harald Gründl: Positiv gedacht, hätten wir die Transformation zur karbonfreien Gesellschaft geschafft und könnten wieder aus dem Vollen schöpfen. Negativ wäre ein Weiterwursteln, so, wie es die Politik jetzt beim Klima kultiviert, und damit ein Verfehlen der Klimaziele.

Die Technik durchdringt den Alltag immer stärker. Was bedeutet das für Ihre Arbeit als Designer?
Design muss informierter und verantwortungsvoller werden. Es gilt, die Auswirkungen der Produkte auf Klima, Naturschutz und Artenvielfalt abzuschätzen. Mit Ästhetik allein lässt sich das System nicht ändern, es braucht Bewusstseinsbildung, um den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft zu schaffen, die sich am Gemeinwohl ausrichtet.

Eine Eco-Design-Richtlinie in der EU gibt es bereits.
Darin lässt sich fixieren, wie lange etwas leben oder wie viel recyclebar sein soll. Die nötige rigorose Umsetzung wird aber noch von der Industrie blockiert.

Sie wirken bei der Blue Diversion Toilet mit, die als Social-Design-Vorzeigemodell gilt. Warum?
Sie trennt Wasser, Urin und Fäkalien. Forschung und Design kooperierten von Beginn an. Sonst wird oft erst gebaut, dann dem Designer gesagt: „Mach's hübsch.“ Kooperation von Beginn an ist wertvoller; so kann Technologie magisch werden.

Wo ist die Toilette jetzt?
Sie wurde in Slums in Nairobi und Kampala getestet. Jetzt werden sie verbessert: Der Urin soll vom Wasser getrennt und anschließend zu Dünger verarbeitet werden. Die Fäkalien sollen nass verbrannt werden. Das heißt, sie entzünden sich durch Druck und Temperatur und es entsteht CO2. Wenn das gelingt, holen wir die Toilette ins 21. Jahrhundert. Unsere Kloschüsseln spülen weg, ohne zu trennen, weshalb in Kläranlagen Unmengen von Energie gebraucht werden und Mineralien verloren gehen.

Bedeutet das ein Ende der industriellen Produktion?
Wenn lokale Ökonomien etabliert sind, ist Kreislaufwirtschaft leichter. Aber nicht bei jeder Designaufgabe ist die Lösung, nur regional zu produzieren. Es muss bewusster produziert und effektiver recyclet werden. Veränderung braucht auch das Design als transformative Kraft.

Ist Open-Source die Zukunft?
Es ist eine Alternative. Früher waren Programme für 3-D-Visualisierungen extrem teuer, bald könnte an jeder Ecke ein Fab-Lab sein, wo Gegenstände hergestellt werden. Konkret: Wir müssen weg von globalen Abhängigkeiten und eine solidarische Gesellschaft werden.

Und Design kann das ändern?
Der Designphilosoph Victor Papanek hat einst gesagt, dass sich Design nur um die zehn Prozent Luxusprobleme der Welt kümmere. Tatsächlich aber steht es an der Schnittstelle von Industrie und Gesellschaft. Design bedient sich der Technologie und prägt sie mit. Mehr noch: Design entwirft das Verhalten von Menschen, es gestaltet und verändert es.

Wie also vorgehen?
Wichtig wäre, Massenkreativität zu nutzen, um Krisen zu bewältigen.

Kann man das zur Lösung der Griechenlandkrise nutzen?
Ja. Man könnte mit Bildung experimentieren, Arbeit und Wohnen enger verbinden. Am Ende stünde eine gänzlich neue Art von Stadt.

Eignet sich Österreich als Testland?
Hier gibt viel Geld, Technologie und Intelligenz. Es geht vielen gut, daher fällt es schwer, etwas zu verändern. Wir bekommen die Überbeanspruchung der Welt nicht so stark mit. Ergebnis des jüngsten Klimaberichts war, dass man darüber nachdenkt, künftig vielleicht andere Weinsorten anzubauen.

Social Design fragt, wer Hilfe braucht. Österreich vielleicht?
Sicher. Man sollte sich darauf konzentrieren, eine soziale Gesellschaft zu schaffen. Designdenken muss dorthin, dass man nicht jede Aufgabe mit einem Produkt löst, sondern eher mit Lebensmodellen.

Welches Modell schwebt Ihnen für die Asylkrise vor?
Jenes, das das Individuum in den Fokus stellt. Bei der Toilette haben wir einen Gegenstand entworfen, den wir selbst gerne verwenden wollen und nicht nur „die da“. Bei der Asylkrise könnte Service Design die Interaktion mit den Hilfesuchenden unterstützen.

Zum Co-Design: Hätten wir nicht ein Copyrightproblem, wenn wir alle Co-Designer wären?
Das ist eine Frage der Spielregeln. Die Creative Commons lassen es zu, dass jeder selbst entscheidet, was mit seinem geistigen Eigentum passiert. Entweder er wählt ein Patent oder er gibt es der Allgemeinheit, indem er sagt: „Es ist egal, dass das meine Idee war, ich will kein Geld. Wichtiger ist, was andere zum Wohle aller daraus machen.“

So selbstlos sind wenige.
Es geht nicht um Selbstlosigkeit, sondern um ein Verhalten, das individuellen und kollektiven Vorteil bringt. Ich sehe es positiv, dass Technologien freier verfügbar sind. Früher hatte das Militär den Super-PC, heute kann man simple PCs zu einem Super-PC vernetzen. Ein Mehr an Alternativen kann einen positiven Wandel ermöglichen.

Einen Wandel bringen auch digitale Intelligenz und Robotik. Wie soll man ihnen begegnen?
Die Robotik könnte die Pflege älterer Menschen revolutionieren, sie könnten länger selbstbestimmt zu Hause sein. Die Maschine muss nicht als Männchen neben einem herlaufen, sondern kann in Oberflächen aufgehen, sodass sie nicht wahrnehmbar ist.

Werden Menschen bald von intelligenten Algorithmen abgelöst?
Maschinen können Menschen helfen, die Menschen helfen. Wir müssen uns die Frage stellen: Was ist Arbeit und was wird Arbeit in Zukunft sein? Schon heute gibt es sprachgesteuerte Maschinen, die Anrufer an die richtige Stelle verbinden und uns so Arbeit abnehmen. Autos fahren von selbst, statt Menschen führen Drohnen Krieg.

Stephen Hawking warnte gerade erst vor dem „Rüstungswettlauf der Künstlichen Intelligenz“.
Technologie, die im Krieg Schaden anrichtet, kann im zivilen Leben Mehrwert schaffen. Wir müssen nur ein Regelwerk dafür schaffen, müssen Konsequenzen bei Verstößen erarbeiten. Jetzt stellen wir Heikles in eine Ecke und sagen: „Lasst uns später darüber reden.“ Design kann künftige Szenarien vorstellbar machen und uns eine öffentliche Entscheidungshilfe geben, ob wir Dinge so oder anders haben wollen.

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