Juncker: 160.000 Flüchtlinge auf EU-Länder verteilen

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Streit um Quoten. Kommission will nächste Woche einen neuen Vorschlag zur Aufteilung präsentieren. Visegrád-Länder wehren sich.

Wien/Brüssel/Prag. Seit die Kommission im vergangenen Mai ihre lange angekündigte „Migrationsagenda“ präsentierte, hat sich die Flüchtlingskrise bekanntermaßen dramatisch verschärft; gleichzeitig aber sind die EU-Länder einer gemeinsamen Lösung nicht einen Schritt nähergekommen. Jean-Claude Juncker versucht es jetzt mit einem neuen, noch ambitionierten Vorschlag – der erwartungsgemäß ebenfalls auf großen Widerstand in einigen Mitgliedstaaten stoßen dürfte.

Der Kommissionspräsident fordert die Aufteilung von insgesamt 160.000 Flüchtlingen auf die 28 Länder der Union, wie eine Sprecherin am Freitag bestätigte: 120.000 zusätzlich zu jenen 40.000 in Griechenland und Italien gestrandeten Menschen, deren verpflichtende Verteilung die Behörde bereits im Frühjahr ventiliert hatte. Juncker wird den Plan bei seiner Rede zur Lage der Union am kommenden Mittwoch im Straßburger EU-Parlament vorstellen. Ein konkreter Aufteilungsschlüssel liege bisher nicht vor, hieß es.

Laut Spiegel Online wird jedoch schon am Dienstag ein Notfallmechanismus beschlossen, der die Verteilung großer Flüchtlingsströme in Zukunft regeln soll. Juncker will seinen Plan den Gegnern fixer Verteilungsschlüssel – also vorwiegend osteuropäischen Ländern – laut der Webseite unter anderem mit der Vorlage einer Liste sicherer Herkunftsstaaten schmackhaft machen, die in jedem Mitgliedstaat gelten soll: Dazu werden auch alle Beitrittskandidaten der EU zählen.

Die Umsetzung des Vorhabens dürfte dennoch schwierig werden: Am gestrigen Freitag trafen sich die Regierungschefs der Visegrád-Länder Ungarn, Polen, Slowakei und Tschechien in Prag, um über eine gemeinsame Position in der Flüchtlingsfrage zu beraten. Feste Quoten lehnen sie weiter grundsätzlich ab, zuletzt scheiterte deshalb eine Einigung beim EU-Gipfel im Juni. Tschechiens Ministerpräsident, Bohuslav Sobotka, bezeichnete die Idee jüngst als „Nährboden für Fremdenfeinde“, der Slowake Robert Fico glaubt, dass der Großteil der nach Europa fliehenden Menschen gar nicht schutzbedürftig sei. Die Visegrád-Länder drängen auf die Errichtung von Aufnahmezentren an den Außengrenzen des Schengen-Raums und ein härteres Vorgehen gegen Schlepper – Pläne, zu denen auch in den meisten Mitgliedstaaten breiter Konsens herrscht.

Faymann will Sondergipfel

Bundeskanzler Werner Faymann will die ungelöste Quotenfrage nun am kommenden Montag bei einem Treffen mit Fico und Sobotka in Prag ansprechen. Zudem setzt er sich für einen EU-Sondergipfel zur Flüchtlingskrise noch im September ein. Als es um Griechenland ging, hätten sich die Staats- und Regierungschefs „laufend getroffen, und jetzt nicht“, kritisierte Faymann.

Doch auch in Österreich, das zu den stärksten Befürwortern verpflichtender Quoten zählt, gibt es Kritik am Kommissionsvorschlag. So erklärte Außenminister Sebastian Kurz vor einem Treffen mit EU-Amtskollegen am Freitag, er unterstütze eine „ordentliche Regelung“. Am bisherigen Plan der Brüsseler Behörde störe ihn aber, dass dieser nur die Verteilung von Asylwerbern aus Griechenland und Italien vorsehe: Ein solches Vorgehen wäre sinnvoll, wenn beide Länder die Dublin-Verordnung einhielten und Flüchtlinge registrierten. „Die Situation ist aber, dass sie alles tun, um Flüchtlinge nach Mitteleuropa durchzuwinken.“ (red./ag.)

AUF EINEN BLICK

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will die Verteilung von insgesamt 160.000 Flüchtlingen auf die 28 Staaten der Union. Eine Sprecherin bestätigte am Freitag, dass Juncker dies dem Kommissionskollegium vorgeschlagen habe. Der Luxemburger dürfte den Plan kommenden Mittwoch im Europaparlament bei seiner Rede zur Lage der Union konkret präsentieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2015)

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