Spanien: Katalanen proben die Unabhängigkeit

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Die Separatisten könnten bei Regionalwahlen in Katalonien am Sonntag eine absolute Mehrheit erhalten. Profiteur wäre möglicherweise ausgerechnet Spaniens Premier Rajoy.

Barcelona/Wien. „I – Inde – Independència!“: Wie bei einer riesigen, euphorischen Fußballfanparty skandierten mehr als eine Million Katalanen ihren Schlachtruf nach Unabhängigkeit, als sie vor wenigen Tagen in Barcelona ihren Nationalfeiertag feierten. Unter einem rot-gelb-gestreiften Fahnenmeer forderten sie die Loslösung vom verhassten Madrid. Wie jedes Jahr.

Doch diesmal geht es um mehr als nationalistische Folklore: Das wohlhabende Katalonien will jetzt ernst machen mit seinen separatistischen Ambitionen. Im Schatten der Flüchtlings- und Griechenland-Krise braut sich damit die nächste potenzielle Zerreißprobe für Europa zusammen.

Der erste große Schritt weg von Madrid soll bereits am Sonntag gesetzt werden. Da wird in Katalonien ein neues Regionalparlament gewählt. Und weil ein Unabhängigkeitsreferendum vor einem Jahr vom Obersten Gerichtshof verboten wurde, setzt der separatistische Regionalpräsident Artur Mas diesmal auf einen Taschenspielertrick: Gemeinsam mit anderen separatistischen Parteien hat Mas Zentrumspartei CDC gemeinsam mit anderen Separatisten eine Pro-Unabhängigkeits-Liste aufgestellt. Sollte das Bündnis die Mehrheit der Stimmen erhalten, will sich die Regionalregierung „innerhalb von den nächsten 18 Monaten“ von Madrid trennen.

„Eine illegale Operation“

Stimmen die Umfragen, kann Mas bunte Anti-Spanien-Koalition (der auch die radikale Linken angehören) mit der absoluten Mehrheit rechnen. In Madrid, wo man bisher versucht hat, die katalanische Separatistenbewegung kleinzureden, steigt die Nervosität: „Weder Parlamentssitze noch Stimmen können eine illegale Operation (wie die Unabhängigkeit, Anm.) legitimieren“, drohte Premier Mariano Rajoy. „Wir werden eine Trennung unter keinen Umständen zulassen.“

Auch aus Brüssel kommen warnende Stimmen: „Nach einer Unabhängigkeitserklärung würde Katalonien ein Drittstaat werden und automatisch aus der EU ausscheiden“, sagte eine Sprecherin von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Man warnt vor einem „wirtschaftlichen Desaster“: Milliarden europäischer Fördergelder gingen verloren, ebenso wie der Anschluss an den Binnenmarkt oder EZB-Hilfen an Banken.

In Barcelona gibt man sich gelassen. „Wir bereiten uns seit Jahren auf die Unabhängigkeit vor“, sagt ein katalanischer Diplomat. Man habe die entsprechenden Institutionen fertiggestellt, auch finanziell sei man für den Alleingang gerüstet. Fazit: Die 7,5-Millionen-Einwohner-Region könne „sehr gut allein überleben“. Die EU werde Katalonien nicht so schnell aufgeben, dafür sei Katalonien viel zu wichtig: „Wir sind potenzielle Nettozahler, erwirtschaften 20 Prozent des spanischen BIPs.“

An den Wänden Kataloniens hängen Plakate, die Zukunftsängste in der Bevölkerung zerstreuen und zum Sí-Votum motivieren sollen. In den 46 Botschaften, die Vorteile einer Unabhängigkeit hervorheben, geht es vor allem um die rosige wirtschaftliche Zukunft des Möchtegernstaats.

Wirtschaftskrise und Stolz

Schließlich war es auch die Wirtschaftskrise, die die Unabhängigkeitsbewegung von einer unbedeutenden extremistischen Minderheit in eine Mainstreambewegung verwandelt hat. In der einst boomenden Region ist heute jeder zweite Jugendliche ohne Job, zehntausende Firmen mussten in den letzten Jahren schließen. Für die Misere werden unter anderem die „unfairen“ und hohen Transferzahlungen nach Madrid verantwortlich gemacht. Dass Spanien nichts von einer Steuerautonomie Katalonien wissen will, wird als Affront angesehen. Und als im Jahr 2011 ein neues Autonomiegesetz für Katalonien als verfassungswidrig erklärt wurde (weil in der Präambel Katalonien als Nation bezeichnet wurde), mutierten viele moderate Katalanen zu überzeugten Nationalisten.

Denn gekränkter Stolz spielt in der Katalanen-Krise eine ebenso große Rolle wie die Wirtschaft: Madrid hat zuletzt jeglichen Dialog mit den Separatisten abgelehnt und stattdessen auf Konfrontation gesetzt. Das hat die Separatisten gestärkt: „Wir haben jetzt einfach genug“, hört man immer wieder in Barcelona.

Paradoxerweise könnte ausgerechnet Hardliner Rajoy von einem Sieg der Separatisten am Sonntag am meisten profitieren. Im Dezember wird ein neues spanisches Parlament gewählt, der Partido Popular hinkt derzeit in Umfragen hinterher. Angst vor einer Spaltung Spaniens und Rufe nach hartem Vorgehen gegen das rebellische Katalonien könnten der unpopulären und von Korruptionsskandalen geschwächten Regierungspartei einen frischen Schub geben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2015)

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