Die Industriellenvereinigung nennt die Forderung der Metallergewerkschaft nach einer sechsten Urlaubswoche für alle nach 25 Dienstjahren einen „gefährlichen Irrweg“.
Wien. Die Industriellenvereinigung (IV) zeichnet angesichts der aktuell turbulenten Kollektivvertragverhandlungen ein betont düsteres Bild des österreichischen Wirtschaftsstandorts. Die Arbeitnehmervertreter der Metallindustrie hatten mit ihren Forderungen nach Lohnerhöhung, der Möglichkeit einer Freizeitoption und einer generellen sechsten Urlaubswoche nach 25 Arbeitsjahren vergangene Woche die Herbstlohnrunde eingeläutet. Auf Arbeitgeberseite wehrte man sich mit dem Argument der schlechten wirtschaftlichen Verfassung der Branche und brach die Gespräche mit den Arbeitnehmervertretern vorübergehend ab.
Urlaub muss kostenneutral sein
Jetzt bekommen die Unternehmer Rückendeckung von der IV: „Die Sorge um den Industriestandort war, seitdem ich aktiv bin, noch nie so groß wie jetzt. Auch die Stimmung in den Unternehmen ist so schlecht, wie ich sie in den vergangen zwei Jahrzehnten nicht erlebt habe“, sagte Christoph Neumayer, Generalsekretär der IV, am Donnerstag in Wien bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Fiskalratschef Bernhard Felderer. Angesichts dieser angespannten Lage seien Forderungen nach einer Arbeitszeitverkürzung oder mehr Lohnnebenkosten „unzumutbar“, so der IV-Generalsekretär. „In der Sozialpartnerschaft wird nicht mehr verstanden, was man dem Gegenüber zumuten kann“, kritisiert Neumayer weiter. Hier würden Rituale gepflegt, „die wir seit Jahrzehnten kennen“ und die der Realität von 2015 nicht mehr entsprächen.
Neumayer lässt keinen Zweifel, dass auch die sechste Urlaubswoche für alle nach 25 Dienstjahren, wie sie von den Metallern wieder auf den Tisch gebracht wurde und in Regierungspapieren vorkommt, aus Sicht der Industrie nur kostenneutral infrage komme. Forderungen nach einer weiteren Verteuerung des Faktors Arbeit seien „entbehrlich, kontraproduktiv und geradezu absurd“, da sie „völlig an jeder gesamtwirtschaftlichen Realität vorbeigingen“, zitierte ihn die IV in einer anschließenden Presseaussendung. Man müsse sich von der „Abtauschmentalität verabschieden. Es gibt nichts mehr abzutauschen“, so Neumayr. Zugleich forderte der IV-Chef Signale von der Politik, die den Unternehmen Lust zum Investieren machen.
Produktivität stieg langsam
Wirtschaftsforscher Bernhard Felderer untermauerte die Ausführungen mit Zahlen: Zwischen 2008 und 2014 seien die Lohnstückkosten in der Industrie zwar um 15,1 Prozent gestiegen, was europäisches Mittelfeld bedeute. Zugleich habe die Produktivität aber nur um 9,3 Prozent zugelegt – eine der geringsten Zuwachsraten in Europa. Es sei auch kein Widerspruch, dass zugleich die Realeinkommen der Menschen stagniert haben – denn diese würden netto, also ohne Steuern und Abgaben, berechnet.
Auch Neumayers Forderung nach verstärkten Investitionsanreizen vonseiten der Politik unterfütterte er mit wirtschaftlichen Daten. Früher seien Arbeitszeitverkürzungen wie auch Lohnerhöhungen immer durch Produktivitätsfortschritte finanziert worden, so Felderer. Diese seien aber derzeit mit knapp mehr als einem Prozent nur mehr mager. Auch werde deutlich weniger investiert. Die Investitionen seien heute in Österreich wie auch dem Rest der Eurozone – mit Ausnahme Deutschlands – noch nicht auf dem Vorkrisenniveau von 2008, meinte Felderer.
Eine von IV und Voestalpine in Auftrag gegebenen Studie des Handelsblatt Research Instituts weist zeitgerecht zur Herbstlohnrunde der Sozialpartner ebenfalls auf die internationalen Spitzenwerte bei Arbeits- und Energiekosten in Deutschland und Österreich hin. Die beiden Länder würden als Standort für Industriebetriebe dadurch zunehmend unattraktiver werden.
Arbeitskosten über EU-Schnitt
In Deutschland beliefen sich die Arbeitskosten im verarbeitenden Gewerbe 2013 auf 36,20 Euro pro Stunde, in Österreich auf 33,20 Euro. Damit lagen sie deutlich über dem EU-Schnitt von 24,40 Euro und auch über dem Niveau in China, Japan und den USA. Zudem stiegen die Arbeitskosten in den beiden Ländern seit einigen Jahren stärker als die Produktivität. Durch die schleichende Verlagerung der Produktion ins Ausland werde „der industrielle Kern beider Länder sukzessive aushöhlt“, konstatiert Dirk Heilmann vom Handelsblatt Research Institute. (APA/red.)
AUF EINEN BLICK
KV–Verhandlungen. Die Metallergewerkschaft läutete vergangene Woche mit ihren Forderungen nach Lohnerhöhung, der Möglichkeit einer Freizeitoption und einer generellen sechsten Urlaubswoche nach 25 Arbeitsjahren für den Kollektivvertrag 2016 die Herbstlohnrunde ein. Die Arbeitgeberseite wehrte das mit einem Verweis auf die labile Verfassung der Branche ab. Die Industriellenvereinigung gab am Donnerstag bekannt, dass eine generelle sechste Urlaubswoche indiskutabel und mit den derzeitigen Vorschlägen nicht umsetzbar sei.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2015)