Der „Read my lips“-Moment der Wiener Grünen

Bei Verlusten tritt sie ab, sagte Maria Vassilakou. Gilt das noch?

"Sollte es zu Verlusten kommen, was ich nicht glaube, dann bedeutet das für mich auch, dass es an der Zeit ist, dass die nächste Generation bei den Grünen übernimmt.“ Das sagte Wiens Grünen-Chefin Maria Vassilakou in einem Interview mit der Austria Presse Agentur vor der Wahl. Und bekräftigte diese Aussage auch im „Presse“-Chat auf die Frage, ob das auch nach der Wahl noch gelte. „Jawohl. So ist es!“ Viel Interpretationsspielraum bleibt da nicht mehr. Nun ist die Wien-Wahl geschlagen – und die Grünen kommen nicht an das Ergebnis von 2010 heran, als sie 12,64 Prozent der Stimmen erreichten. Und was macht Vassilakou? Sie hadert mit ihrer Aussage. Plötzlich geht es nicht mehr um Prozente, sondern um Mandate. Sie versucht, aus einer klaren Niederlage doch noch irgendeine Legitimation zu ziehen, nach der sie an der Spitze der Partei bleiben kann – was das Amt der Vizebürgermeisterin angeht, kommen sowieso noch ein paar andere Variablen ins Spiel.

Nun kann man ihr natürlich abnehmen, dass sie die Aussage einfach so getan hat, als die Flüchtlingskrise noch nicht so heftig ausgebrochen war. Als die Wahl noch nicht zu einem Zweikampf zwischen SPÖ und FPÖ hochstilisiert wurde. Und dass sie im Nachhinein bitter bereute, diesen Satz gesagt zu haben. Nur ändert das alles nichts. Wenn Vassilakou eine „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern“-Attitüde aufsetzt und keine Konsequenzen zieht, ist das ein Schlag in die Magengrube der politischen Kultur. So wie George Bush sen. im US-Präsidentschaftswahlkampf 1988 sein berühmtes „Read my lips: no more taxes“ versprach – und postwendend 1990 mehrere Steuern erhöhte.

Mehr Angriffsfläche als ein solches gebrochenes Versprechen kann ein Politiker nicht bieten. Selbstverständlich würde die auch jeder politische Konkurrent nützen. Und damit kein Missverständnis entsteht: All das hat nichts damit zu tun, ob Vassilakous Arbeit der vergangenen Jahre gut oder schlecht war. Es ist schlicht eine Frage der Glaubwürdigkeit.

E-Mails an: erich.kocina@diepresse.com

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