Die Wiener ÖVP ist im Duell zwischen Häupl und Strache zerrieben worden und fällt bei der Gemeinderatswahl von rund 14 auf 9,2 Prozent herunter. Parteichef Juraczka zieht personelle Konsequenzen.
Wien. Es war eine völlig überraschende Entscheidung: Kurz nachdem Sonntagabend das Endergebnis der Wiener Wahlen bekannt gegeben wurde (ÖVP: 9,2 Prozent) ließ Parteichef Manfred Juraczka eine kommunalpolitische Bombe platzen. Er nehme die Verantwortung für das Wahlergebnis auf sich und werde zurücktreten. Allerdings erst beim regulären Parteitag im Februar, um bis dahin eine geordnete Übergabe zu gewährleisten. Der Schritt war tatsächlich überraschend, denn nicht einmal enge Mitarbeiter hatten von solchen Plänen gewusst.
Ein schwerer Wahlverlust hatte sich schon am späten Nachmittag abgezeichnet. Und so reagierte Juraczka auf Fragen zum Wahlergebnis mit steinerner Miene. Für die Rücktrittsentscheidung habe aber möglicherweise auch die Bundespolitik eine wichtige Rolle gespielt, wurde in VP-Kreisen spekuliert. Denn Parteichef Reinhold Mitterlehner hatte zuvor personelle Umstrukturierungen in der Wien-VP gefordert. Und wenige Minuten, nachdem Außenminister Sebastian Kurz zur eher gedämpften ÖVP-Wahlparty in der Parteizentrale eingetroffen war, gab Juraczka seinen Rücktritt bekannt. Zufall?
Wer ihm folgen könnte bleibt vorerst offen. In den letzten Wochen des Wahlkampfes war jedenfalls öfters davon gesprochen worden, dass die Wiener Mitglieder der Bundesregierung zu wenig in Wien Flagge zeigten. Möglich also, dass man etwa auf Staatssekretär Harald Mahrer zukommen werde, mutmaßt ein VP-Funktionär.
Zuvor hatten Juraczka und Klubchef Fritz Aichinger das Wahlergebnis enttäuschend genannt und darauf zurückgeführt, dass der Wahlkampf medial auf ein Duell Häupl-Strache hinausgelaufen war. Da wären alle kleinen Parteien dazwischen zerrieben worden, vor allem die ÖVP. Eine Meinung, die man bei der „Wahlparty“ von allen Seiten hörte. Nur der Cafetier Bernd Querfeldt, der für die VP kandidierte, meinte zur „Presse“: „Ich bin als Unternehmer gewöhnt, dass man auch die Schuld bei sich selber suchen soll.“ Und der frühere VP-Chef Bernhard Görg meinte: „Die Probleme der Wiener VP kann man nur lösen, wenn der VP-Chef in Augenhöhe mit Häupl reden kann. Zum Beispiel wenn ein Regierungsmitglied in diese Funktion gebracht wird.“
Dass sich für die Wiener ÖVP ein Drama abzeichnet, war schon klar, als angesichts der Zuspitzung auf das Flüchtlingsthema die Umfragewerte für die anderen Parteien und damit auch für die ÖVP gesunken sind. Einstellig, so war zuletzt die Prognose gewesen. Daran konnte auch eine unaufgeregte, aber persönlich gute Performance des Parteichefs in den letzten Wahlkampfwochen nichts ändern. Laut Politik-Experten fehlte aber die öffentliche Präsenz, die Angriffigkeit, die andere Parteien, wie etwa die Grünen oder Neos, in den medialen Mittelpunkt schob.
Dabei hatte es am Anfang seiner Zeit als Parteichef noch recht gut ausgesehen. Juraczka, Jahrgang 1969, war Manager bei Alcatel und Bezirkspoltiiker. 2012 übernahm er das Ruder der Wiener Partei, die in recht trostlosem Zustand war, von Christine Marek. Unter ihr hatte die Partei einen Sinkflug angetreten, bei der Wahl 2010 hatte sie gerade noch rund 14 Prozent. Juraczka führte dann die VP auf einem recht stabilen Niveau. Vor allem in der Parkpickerl-Debatte konnte die VP punkten und 150.000 Unterschriften sammeln, um eine Volksabstimmung zu initiieren. Rot-Grün verhinderte dies.
Bei der Debatte um die Mariahilfer Straße konnte die ÖVP ebenso punkten, da sie Alternativkonzepte und bessere Einbindung der Bürger fordert. Doch schließlich wurde auch dieses Projekt mit rot-grüner Mehrheit über die Bühne gebracht. Mit anderen Themen, etwa dem Schuldenstand der Stadt, der hohen Arbeitslosigkeit und dem fehlenden Stadt-Engagement für internationale Firmenansiedlungen, schaffte es die VP nicht ins Bewusstsein der potenziellen Wähler.
Dazu gab es interne Probleme: Um die ÖVP anders und moderner zu positionieren, wollte Juraczka eine Verjüngung durchführen, was zu Unmut und Ärger bei vielen altgedienten VP-Funktionären führte. Und dann folgte auch noch der Fall Ursula Stenzel, die letztlich sogar zur FPÖ überlief.
Hinzu kam noch der Auftritt der Neos, die ebenso für Leistung eintreten, wirtschaftsliberale Ideen propagieren und die somit der ÖVP – vor allem in der jüngeren Generation – Stimmen wegzunehmen drohten. Und dann kam noch das Flüchtlingsthema.
Über eines herrschte aber an diesem enttäuschenden Wahlabend Freude bei der ÖVP: Drei Bezirke wurden gehalten (Hietzing, Döbling, Josefstadt).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12. Oktober 2015)