Wird der Prozess gegen Michael K. neu aufgerollt? Drei Personen haben nun zwar vage, aber dennoch verstörende Angaben zum Fall Kührer gemacht. K. will nun eine Wiederaufnahme.
Wien/Korneuburg. Eigentlich ist die Sache längst abgeschlossen. Vorweg hier kurz die Eckdaten: Der Videothekenbesitzer Michael K. (54) tötet am 27. Juni 2006 die 16-jährige Schülerin Julia Kührer aus Pulkau im Weinviertel (NÖ). Dafür wird er Jahre später rechtskräftig verurteilt. Derzeit sitzt K. eine 20-jährige Haftstrafe im Gefängnis Krems-Stein ab. Doch die Zweifel, die es sowohl vor als auch in der Gerichtsverhandlung gegeben hat, werden nun wieder lauter.
Mittlerweile gibt es nämlich drei Personen, welche die Mordthese der seinerzeit erhobenen Anklage infrage stellen. Demzufolge kündigt der Rechtsvertreter von K., der Wiener Anwalt Wolfgang Blaschitz, an: „Ich werde demnächst bei Gericht einen Antrag auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens stellen.“
Der Fall Kührer hatte Österreich lang beschäftigt. Erst 2011 waren die sterblichen Überreste von Julia Kührer gefunden worden. Verscharrt in einem Erdkeller von K. im niederösterreichischen Dietmannsdorf. Fünf Jahre lang hatte Ungewissheit geherrscht. Fünf Jahre lang oszillierte die Stimmung der Angehörigen zwischen Bangen und Hoffen, zwischen Zuversicht und Verzweiflung. Trotz des rechtskräftigen Urteils: Bis heute gilt der Fall als mysteriös.
>> Chronologie: Der Fall Julia Kührer
Was hat es nun mit den drei Personen – man könnte sie mittelbare Zeugen nennen – auf sich?
Person Nummer eins gibt sich in einem anonymen, mit holpriger Handschrift geschriebenen (auch der „Presse“ vorliegenden) Brief an den Richter, also den Vorsitzenden des seinerzeit in Korneuburg tätigen Geschworenengerichts, als „Elternteil eines Jugendlichen“ aus. Und zwar eines Jugendlichen jener Clique, der Julia Kührer angehört hatte. Der bisher unbekannte Schreiber behauptet, dass mit K. zu „100 %“ (sic) der Falsche im Gefängnis sitze. Es gebe „keinen Mörder“. Vielmehr sei Julia wegen einer „Überdosis“ Drogen gestorben, zuvor habe es eine letzte Aussprache mit ihrem (Ex-)Freund gegeben, Thema: Ende der Beziehung. Danach seien (nicht näher genannte) Jugendliche aus Kührers Bekanntenkreis, „diese elenden Fratzen“, in „Panik“ geraten. Und sie hätten versucht, die Verstorbene zu „beseitigen“. Diese Drogenversion ist nicht neu, in der Verhandlung war ein Gutachter zu dieser Möglichkeit gefragt worden, er hatte erklärt, dass er sehr geringe Spuren von Metamphetamin (Crystal Meth) in den Knochen der Toten nachweisen könne. Daraus könne aber nicht auf einen Drogentod geschlossen werden.
Bei Person zwei handelt es sich um eine Frau, die ein Gespräch von vier Jugendlichen in einem Zug Richtung Retz mitgehört haben will. Dabei sollen die jungen Burschen erzählt haben, „dass Julia bei einer Drogenparty im Wald zu viel abbekommen“ habe. Weiters soll darüber geredet worden sein, dass die Burschen die Leiche in den Keller legten, in dem sie – fünf Jahre später – gefunden wurde. Die Frau gibt an, ihr sei dieses Mithören eingefallen, nachdem sie in der Zeitung vom Urteil gegen K. gelesen habe. Die Frau erzählte dies einem Polizisten, dieser wiederum leitete die Sache an die den Fall bearbeitenden Kollegen weiter.
Gericht hat das letzte Wort
Person drei: Diese hat wiederum einen anonymen Brief an den damals aktiven Staatsanwalt geschrieben. Darin wird ein Gespräch mit einem Mann aus Hollabrunn dargestellt. Dieser Mann – er wird namentlich erwähnt – habe durchklingen lassen, „den wahren Mörder“ zu kennen. Weiters kenne dieser Mann die „Szene“, aus der der angebliche Mörder stamme. Der Briefschreiber teilt dem Staatsanwalt auch mit: „Die Szene ist gefährlich, und ich will damit nichts zu tun haben.“
Reichen die Äußerungen der drei Personen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens? Also dem damaligen Staatsanwalt – bisher – nicht. Der „Presse“ liegt ein Aktenvermerk von ihm vor, wonach „keine weiteren Veranlassungen zu treffen“ seien. Ob der – bereits abgeschlossene Fall – neu aufgerollt wird, muss nun das Gericht in Korneuburg entscheiden. Dann, wenn der Wiederaufnahmeantrag auf dem Tisch des Richters liegt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2015)