Terroranschlag: Türkei bleibt für EU sicheres Herkunftsland

Ein Opfer des Terroranschlags wird in Istanbul beigesetzt.
Ein Opfer des Terroranschlags wird in Istanbul beigesetzt.(c) REUTERS (OSMAN ORSAL)
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Angesichts der Flüchtlingskrise bereitet sich Brüssel auf Gespräche mit Ankara vor - trotz der instabilen Sicherheitslage nach dem Attentat in Ankara. Die prokurdische HDP will den Wahlkampf einstellen.

Ankara/Wien. Am Montag um zehn Uhr begannen die ersten Trauerfeiern: in Ankara für den Gewerkschafter Ali Kitapçı sowie den Eisenbahner Ibrahim Atılgan und seinen neunjährigen Sohn Veysel. In Antakya, im Süden der Türkei, wurde die frisch verheiratete Necla Duran in ihrem Hochzeitskleid beerdigt, in der anatolischen Provinz Erzincan wurde der Bauarbeiter Erol Ekici beigesetzt. In Istanbul fanden zeitgleich mehrere Beerdigungen statt: in Moscheen und in den Cemevis – dem Versammlungsort der Aleviten.

Die Teilnehmer der Friedensdemonstration in Ankara, bei der am vergangenen Samstag zwei Selbstmordattentäter 97 Menschen in den Tod rissen, kamen aus allen Gruppen: Es waren Aleviten, Sunniten, Studenten, Gewerkschafter, Mitglieder der prokurdischen HDP und der kemalistischen CHP. Der blutigste Anschlag in der Geschichte der türkischen Republik hat das Land in Wut und Lethargie gestürzt. Die ersten Gewerkschaften haben am Montag Streiks angekündigt, die HDP, die sich als Hauptziel des Terroranschlags sieht, will den Wahlkampf bis zum Wahltag – 1. November – aus Sicherheitsgründen komplett einstellen; die regierende AKP hat alle Wahlkampftermine bis zum 16. Oktober abgesagt.

Für die HDP sind die Verantwortlichen des Anschlages auch in den Reihen der Regierungspartei AKP zu suchen: Der aufgeflammte Kurden-Türken-Konflikt wird Präsident Recep Tayyip Erdoğan angelastet, zudem seien absichtlich weniger Sicherheitskräfte zur Friedensdemo geschickt worden.

Tatsächlich haben sich die Spannungen im Südosten des Landes auch auf den Norden ausgedehnt. Medienberichten zufolge haben Vertretungen mehrerer EU-Länder in den vergangenen Wochen die Sicherheitsvorkehrungen in ihren Botschaften verstärkt. Seit dem Selbstmordattentat im südtürkischen Suruç Mitte Juli mit 34 Opfern – ebenfalls Friedensaktivisten – besteht die ständige Gefahr weiterer Attentate durch den sogenannten Islamischen Staat (IS). Die Anschläge in Suruç und Ankara werden dem IS angelastet, wie Premier Ahmet Davutoğlu bestätigte.

Unterstützung der Nato

Aber auch die verbotene kurdische PKK hält das Land in Atem. Zwar hat sie nach dem Anschlag in Ankara eine Waffenruhe bis zur Wahl versprochen, aber die Regierung hält die Ankündigung für eine Farce und Taktik. Die Türkei fährt mit den Angriffen auf PKK-Stellungen fort. Dabei starben 17 PKK-Kämpfer und zwei türkische Soldaten.

Das Nato-Mitglied muss aber auch Rüffel einstecken: Generalsekretär Jens Stoltenberg mahnte, dass die Türkei bei den Angriffen auf die Verhältnismäßigkeit achten sollte – ein (oft wiederholter) Hinweis darauf, dass der IS der Feind der Stunde ist, und nicht die Kurden. Angriffe Ankaras auf IS-Stellungen waren bisher spärlich gesät.

Stoltenberg sagte auch, dass die Türkei unter der Lage im Nahen Osten besonders zu leiden habe. Er sicherte Ankara Unterstützung zu. Die EU hingegen, die sonst immer scharfe Worte für die Lage in der Türkei findet, hadert diesmal. Brüssel will angesichts der Flüchtlingskrise die Türkei als sicheres Herkunftsland sehen und bereitet sich auf Gespräche zur Bewältigung der Krise vor – der Türkei fällt als Ziel- und Transitland eine Schlüsselrolle zu. Mehr denn je würden die EU und Ankara eine gemeinsame Agenda brauchen, so EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. (duö)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2015)

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