Nackter Mann, verschleierte Frau

Nicht Geld und Macht, sondern Vernetzung und Vermittlung sind die Schlüsselwörter des Systems.

Art is retard“ – „Kunst ist Zurückbleiben“, hat ein Künstler auf ein bunt collagiertes Brett vor dem Gelände der Biennale geschrieben. Eine stehen gebliebene Uhr illustriert seine kaum verhohlene bildgewordene Enttäuschung darüber, nicht ausgewählt worden zu sein, nicht auch in einem der Pavillons, nicht in der großen Ausstellung im Arsenale im Mittelpunkt zu stehen. Beim „Fare Mondi/Making Worlds/Bantin Duniyan/Weltenmachen/Construire des Mondes/ ...“, wie Biennale-Chef Daniel Birnbaum sein Motto diesmal genannt hat. In allen Sprachen der Rekordzahl von 77 teilnehmenden Ländern, das ist ihm wichtig. Denn hier in der Lagune wird die überall gepredigte Globalisierung so sinnlich erfahrbar, wie es kein politisches Gremium schafft.

In Venedig zeigt sich heuer das System der Vernetzung unverhohlen offen wie noch nie: Alles kann neben allem bestehen, nackte Männer im Österreich-Pavillon, verschleierte Frauen im ersten Pavillon der Vereinigten Arabischen Emirate. Der Iran stellt ebenfalls erstmals aus, Israel ist deshalb trotzdem nicht aus seinem Pavillon ausgezogen. Demokratien und weniger demokratische Demokratien, akzeptierte und weniger akzeptierte Regime, arme und reiche Staaten, bei der Biennale bekommen alle die Chance auf dieselbe Aufmerksamkeit.

Das System des Kunstbetriebs ist politisch so unkorrekt wie radikal korrumpierbar, nämlich durch Qualität. Dass man diese mit sehr viel Geld und sehr guten Beratern kaufen kann, zeigt sich in Venedig ebenso unverhohlen wie das Gegenteil, dass Qualität völlig unabhängig davon ist. Was am Ende zählt, ist, dass die angereiste kritische Masse aus Künstlern, Kuratoren, Galeristen, Sammlern sich einig ist, was gilt und was nicht. Und das gelingt überraschenderweise immer einstimmiger. Die Globalisierung, das Internet, die atemlos weltenreisenden Vermittler und Vermarkter haben eine globale Kunst geschaffen, die sich auf Augenhöhe begegnen kann, egal woher sie stammt.

Die Schlüsselwörter des Systems sind nicht Geld und Macht, sondern Vernetzung und Vermittlung. Womit wir beim größten Manko Österreichs wären. Wie jedes Jahr gilt es als unwahrscheinlich, dass unser Pavillon einen Preis gewinnt. Kein in Österreich lebender Künstler ist in der allgemeinen Biennale-Ausstellung vertreten. Was nicht einmal auffällt. An Wien scheint die Globalisierung der Kunst vorbeigegangen zu sein. Trotz eifrig reisender Galeristen, die aber entweder zu eifersüchtig ihre Künstler bewachen oder mit ihren Anstrengungen einfach auf einsamem Posten stehen.


Alleingelassen von nichtexistenter Kulturpolitik, die sich als einzigen öffentlichen Kommentar im Vorfeld nur abrang, dass Österreich „tolle Künstlerinnen und einen tollen Künstler“ zeigen werde. Alleingelassen von Museen, die vom beamteten Kuratorenapparat gebremst werden. Wo bleiben die Festwochen-Ausstellungen vom Rang derer, die einst Harald Szeemann kuratierte? Nicht Art is retard. Austria is retarded. Leider.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2009)

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