Biennale Venedig: Die große Lagunenshow

(c) Dorit Margreiter
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Erster Rundgang durch die Pavillons: Ein ermordeter Sammler im Pool, eine kryptische Küchenkatze und ein verschwurbelter Österreich-Beitrag.

Eine Fahne, braun von getrocknetem Blut, hängt schwer über die Balkonbrüstung des Palazzo Rota-Ivancich, davor sitzt ein Mann und stickt goldene Lettern in ähnlich blutgetränkte Tücher. „Respetar“ kann man bereits lesen, „sie sollen lernen zu respektieren“ wird hier bald auf Spanisch stehen. Nicht um den Tod in Venedig, um Mafiamorde in Mexiko dreht sich der Beitrag, den Teresa Margolles für ihr Heimatland auf der Biennale Venedig zeigt. Mutig, denkt man sich, während man in den sonst scheinbar leeren Sälen steht. Und auf einem Wandzettel liest, dass der Mann neben einem, der gerade den Boden wischt, dies mit Wasser tut, mit dem Ermordete gewaschen wurden. Bei Margolles geht man unweigerlich mit dem Tod auf Tuchfühlung. Sie berührt damit eines der größten Tabus unserer Gesellschaft, die schon Freud in „Totem und Tabu“ auflistete.

Ein Buch, das auch Elke Krystufek gelesen hat, die schließlich den Austria-Schriftzug des Österreich-Pavillons gegen ein hellblaues „Tabu“ vertauschte. Ein genialer Eingriff, der auch thematisiert, was Österreich zuletzt international in die Schlagzeilen brachte. Der Eingriff hätte schon genügt. Doch Krystufek ist eine Tochter des Chaos. Ihr Video im Inneren des Pavillons verwirrt mehr, als dass es einen leitet. Rundum an den Wänden hängen Männerakte der Malerin, verwoben in eine kunterbunte Graffiti-Wandgestaltung. Obwohl hier wichtige, vor allem feministische Themen angeschnitten werden – die ausschließlich von Männern gebaute Pavillonarchitektur der Biennale, das Problem des Ausstellens von Nacktheit –, wirkt die Gesamtinstallation verschwurbelt, die wenigen Botschaften, die klar herüberkommen, seltsam naiv. Als Feministin bleibt man unbefriedigt zurück, als Mann wohl eher ratlos.

Ähnlich wird es vielen beim elegischen achtminütigen Schwarz-Weiß-Film von Dorit Margreiter gehen, die erwartungsgemäß die Architektur des Pavillons untersuchte. Die Kamera streift sanft über Details, immer wieder auch über zwei Frauen, die sich gerade kostümieren. Hier einen subkutanen feministischen Fingerzeig aufzuspüren und darüber zu sinnieren, warum es 2009 immer noch so wichtig ist, den ratternden 35-mm-Filmprojektor als Illusionsmaschine zu „entlarven“, damit werden sich wohl Kunsttheoretiker in Fachmagazinen beschäftigen müssen.

Eine ebenfalls unaufdringliche filmische Untersuchung des Biennale-Geländes ist im englischen Pavillon zu sehen. Steve McQueen führt in einer restriktiven Kinosituation eine Doppelprojektion vor, die den Park im Zustand der Verwahrlosung zwischen den Biennalen zeigt. Zwei Hunde streunen herum, ein schwarzer junger Mann scheint auf etwas zu warten, der Abfall des glamourösen Events, der nationalen Präsentationen, liegt herum. Ist dieses Ländersystem obsolet? Es spiegelt zumindest perfekt wider, was es auf der Welt sonst auch erzeugt – menschliche Schicksale, lost in translation, und viel herrenlosen Müll.

In die unbemerkten Winkel und Risse unserer Zivilisation blickt auch der belgische Künstler Jef Geys: Er ließ in Metropolen wie New York nach Unkraut suchen, dokumentierte es und entdeckte, dass es sich dabei zum Teil um Heilpflanzen handelte. Der Spezialist für Ruderalgewächse, sprich Unkraut, hat aber neben dem österreichischen Pavillon seine Zeltplane aufgeschlagen. Lois Weinberger gibt gemeinsam mit seiner Frau Franziska ein Statement ab, das unterschiedlich interpretiert werden kann. Im schreinartigen, mit Plastik bedeckten Gegenpavillon soll man einmal rund um einen menschengroßen Komposthaufen schreiten. Ein Stillleben, ein Memento mori? Ein bissiger Kommentar zur Biennale an sich? Ein Tempel für biologisch nachhaltige Landwirtschaft?

Fehlt noch Hundertwassers Bioklo, eine Einrichtung, die zumindest den österreichischen Künstlerinnen beim Aufbau abging, liest man bei Krystufek nach. Ein Versäumnis des Architekten Hoffmann? Er war damit zumindest nicht alleine, was es nicht besser macht, findet er sich dabei noch dazu in der zweifelhaften Gesellschaft des zur Nazi-Zeit adaptierten deutschen Pavillons wieder, ebenfalls WC-los. Und küchenlos, was der deutsche Biennale-Vertreter, der Engländer Liam Gillick, vorübergehend behob. Er ließ aus rohem Holz mehrere lange Küchenzeilen einbauen und beruft sich dabei auf die erste Einbauküche von Margarete Schütte-Lihotzky. Warum, kann auch der kryptische Vortrag einer ausgestopften Katze nicht klären. Vielleicht erfahren wir es im Herbst im Wiener MAK, wo Gillick ausstellen wird.

Krimi als Beitrag aus dem Norden

An der Auflösung der nationalen Grenzen arbeiteten diesmal vorbildlich die nordischen EU-Staaten: Erstmals kooperierten der „Nordische Pavillon“ und der dänische, sie zeigen eine der originellsten Ausstellungen: Das Duo Elmgreen & Dragset inszeniert eine Art Krimi um zwei Privathäuser, der Besitzer des einen, Schriftsteller, hat sich gerade umgebracht, an seiner täuschend echt wirkenden Leiche, die im Wasserbecken vor dem Pavillon liegt, muss man vorbei. Dann darf man sich im Loft voll Kunst und Design umsehen. Oder man interessiert sich fürs Nachbaranwesen und macht bei einer der Führungen des (falschen) Immobilienbüros mit.

Neben dieser Kunstbetriebsparodie fallen in den Giardini noch zwei Pavillons mit ernsteren Beiträgen auf: Der polnische weist ohne große Umschweife auf die schlechte Asylantenbetreuung im eigenen Land hin (Krzysztof Wodiczko), der französische auf die Verfahrenheit der Situation im Allgemeinen: Claude Leveque leitet den Besucher in einen schwarzen Raum, gesteuert wie ein Raubtier von Käfigen, hinter den Gittern weht die schwarze Fahne des Anarchismus, auch nur eine Illusion, kein Ausweg. Der Titel „Le Grand Soir“ weist auf die Zeit der Pariser Kommune hin, beschwört einen Aufbruch. Woher dieser kommen soll und wohin uns dieser führt, das weiß auch die Kunst nicht zu beantworten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2009)

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