Die Referee-Pionierin in der Männerbastion

Die National Football League feiert Line Judge Sarah Thomas. Eine dreifache Mutter, 42, begeistert das sportbegeisterte Amerika.

Schwarz-weißes Hemd, schwarze Hose, schwarzes Kapperl, Line Judge Nr. 53 der National Football League ist wie alle anderen Kollegen eingekleidet. Doch die zierliche Statur sticht ins Auge, weiche Gesichtszüge, blondes Haar und Make-up heben Sarah Thomas aus der Zunft sofort hervor. Sie ist die einzige Schiedsrichterin der wichtigsten Football-Liga der Welt.

Ihre historische Bestellung zur ersten Vollzeit-Schiedsrichterin in der 95-jährigen NFL-Historie im April verfehlte ihre Wirkung nicht, die Fans der 32 Teams lieferten sich hitzige Diskussionen. PR-Aktion zur Imagepolitur nach Negativschlagzeilen, überfälliger Fall der Männerbastion; Thomas ist gelassen geblieben, so wie sie ihre Entscheidungen auf dem Feld trifft. „Schiedsrichterin, Ehefrau, Mutter – das war ich immer“, sagt die 42-Jährige. „Ich habe es nicht darauf angelegt, Pionierin zu sein, aber es ist mir eine Ehre, diese Rolle anzunehmen.“


Anruf des Präsidenten. Den entscheidenden Moment, der sie ins Rampenlicht katapultieren sollte, hat sie in bester Erinnerung. „Donnerstag, 2. April, 10.47 in der Früh, da kam der Anruf“, erzählt die dreifache Mutter. Am anderen Ende der Leitung: der für die Unparteiischen zuständige NFL-Vizepräsident, Dean Blandino.

Dabei ist Thomas nicht die erste Frau, die ein NFL-Spiel leitet. 2012 wurde Shannon Eastin an den ersten drei Spieltagen als Line Judge eingesetzt, als die Liga während stockender Vertragsverhandlungen mit regulären Schiedsrichtern Ersatzleute engagieren musste. Thomas aber wurde als Erste für eine komplette Saison nominiert. Sie fungiert im siebenköpfigen Team rund um den Head-Referee Peter Morelli. Sie sagt: „Man muss kein Mann sein, um ein Abseits zu erkennen oder die Regeln zu lernen.“

Knapp zwei Jahrzehnte nachdem Thomas ihre Karriere als Referee eingeschlagen hat, ist sie in der höchsten Spielklasse angekommen. Dabei war dieser Weg keinesfalls vorgezeichnet. Geboren in Pascagoula, Mississippi, spielte sie in der Schule Softball, stieg auf Basketball um und erhielt sogar ein Stipendium der Universität Mobile, Alabama. Nach dem Abschluss in Kommunikation blieb sie auch als Pharmavertreterin dem Sport treu, leitete Schulpartien und war in einer Männerliga aktiv – bis ein Pastor sie wegen Verstoßes gegen die Geschlechterordnung ausschloss.

Eines Tages begleitete Thomas ihren Bruder zu einem Football-Referee-Event. Als sie den Raum betrat, hörte der Vortragende auf zu sprechen, neugierige Augen starrten sie an. „Um das Eis zu brechen, habe ich einfach gefragt, ob das der Kurs ist, um Football-Referee zu werden“, erinnert sich Thomas. In den folgenden Jahren sollte ihr Geschlecht kaum zum Thema werden, geschweige denn ein Hindernis darstellen. „Die anderen haben mich nicht als Frau gesehen, sondern einfach als einen der Ihren – einen Offiziellen.“


Sogar schwanger im Einsatz. Immer an ihrer Seite weiß Thomas Ehemann Brian, einen Verkäufer für medizinische Geräte und Baseball-Coach. „Ohne seine Unterstützung würde ich es nicht schaffen“, erklärt sie mit Blick auf das Familienleben mit den Söhnen Bridley, 14, und Brady, elf, sowie Tochter Bailey, zwei. Es verlangt Logistik, Geschick und Prioritätensetzung.

Nach anfänglichen Schulpartien leitete Thomas 1996 als erste Frau ein Highschool-Spiel in Mississippi. Sogar während der Schwangerschaften überwachte sie als Clock Operator die Spielzeit – die Uniform nähten die Partnerinnen ihrer Kollegen für sie kurzerhand um. „Mit Riesenbauch in Streifen da draußen zu sein war das einzige Mal, dass ich mich fehl am Platz fühlte . . .“

2006 erreichte sie der Anruf von Gerry Austin. Dem Ex-NFL-Referee und Supervisor der College-Ligen war sie empfohlen worden. „Ich fragte: ,Wie ist sein Name?‘ Und die Antwort lautete: ,Er heißt Sarah.‘“, gibt Austin gern als Anekdote zum Besten. Nach dem 45-minütigen Telefoninterview war er überzeugt: „Sie hat die Regeln, den Geist des Spiels verstanden.“ Er lud sie zu einem Weiterbildungsprogramm ein und gab ihr den Tipp, den Haarzopf in die Kappe zu stecken. „Du willst als Referee, nicht als Frau wahrgenommen werden.“

Thomas stieg kontinuierlich auf: 2007 Südost-Conference, 2009 Top-Level der College-Liga und erstes Bowl Game, ein traditionelles Duell nach der Saison. 2011 folgte der erste Einsatz in der „Big Ten“-Conference, der Universitätsliga. 2013 wurde sie in das NFL-Entwicklungsprogramm aufgenommen, wirkte bei Vorbereitungsspielen mit. Diesen April kam der Ritterschlag. Gemeinsam mit acht Herren war sie in der NFL gelandet.


Warten auf Verstärkung. Blandino sieht keinen Unterschied zwischen Thomas und ihren Kollegen, mit Ausnahme der separaten Umkleidekabine. Er traut der 42-Jährigen eine Vorreiterrolle zu wie einst Burl Toler, der 1965 als erster afroamerikanischer Referee agierte. Sie soll auch bald weibliche Verstärkung erhalten, aktuell hat die NFL-Kommission zehn bis 15 Kolleginnen auf dem Radar.

Bis dahin hofft Thomas, wie jeder Schiedsrichter, so wenig im Blickpunkt zu stehen wie möglich. Das hieße, ihre Entscheidungen wären korrekt. Bei ihrem allerersten Einsatz Mitte September bei der Partie zwischen Houston und Kansas City war das unmöglich. Der Rummel um ihre Person war zu groß, zudem kam es vor dem Ankick zu einem symbolträchtigen Handschlag mit Jennifer Welter, die in der Pre-Season als erste NFL-Trainerin in Arizona gearbeitet hatte. Diese Aufregung hat sich nunmehr gelegt, sie war bei allen sechs Runden im Einsatz.

Sarah Thomas weiß um Buhrufe und Spott, den Fehler mit sich bringen. Doch sie fühlt sich bereit für die Männerbastion Football. Es ist doch ganz einfach: „Alle wollen, dass der Job erledigt wird.“

Steckbrief

1996
begann Sarah Thomas als Referee. 1999 absolvierte sie ihr erstes Highschool-Game.

2006
war sie bereits im NFL-Officials Camp, leitete im Jahr darauf ein NCAA-Spiel.

2009
war die 42-Jährige eine von fünf Schiedsrichterinnen, die in einer ganzen Collegesaison aktiv waren. Highlight: die Little Caesars Pizza Bowl.

2015
wird Sarah Thomas von der NFL engagiert. Bislang hat die dreifache Mutter alle sechs Saisonspiele „fehlerfrei“ absolviert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.11.2015)

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