Titanic-Chefredakteur: „Man darf nicht einfach beleidigen“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Satire muss Satire bleiben, meint Tim Wolff, Chefredakteur der deutschen Satirezeitschrift „Titanic“. Verschont wird im Heft trotzdem kaum jemand – angefangen von Angela Merkel bis hin zum Papst.

Kürzlich hat die ARD für einen Bericht über Flüchtlinge eine Fotomontage gezeigt: Bundeskanzlerin Angela Merkel im Tschador. Hätte das auch von „Titanic“ sein können?

Tim Wolff: Rein formal schon, Merkel in lustige Kostüme zu stecken, ist genau unser Ding. Aber nicht in diesem Kontext. Sie hat sich einmal, vermutlich zum ersten Mal, positiv gegenüber, zumeist muslimischen, Flüchtlingen geäußert – und jetzt soll sie praktisch selbst Muslima sein? Das scheint mir kein sonderlich guter Witz zu sein. Eine langweilige Aussage.

Merkel ist ein dankbares Sujet für Sie, so oft, wie sie auf dem Cover zu sehen ist...

Ja, wobei: Es ist Tradition bei der „Titanic“, den aktuellen Regierungschef häufig zu verwenden. Merkel ist für uns mittlerweile eine gut zu bespielende Fläche. Sie kann ganz viel sprechen, ohne irgendetwas zu sagen, deswegen haben wir recht viel Spaß mit ihr. Aus dem gleichen Grund haben die meisten Menschen auch keine kontroverse Meinung zu Angela Merkel. Sie ist irgendwie beliebt, weil sie im Männerzirkus Politik sachlich wirkt. Sie hat einen gewissen Pragmatismus, aber überhaupt kein Showtalent und das kompensiert sie mit der Nullrhetorik. Wenn man an 16 Jahre Helmut Kohl denkt: Da hat die „Titanic“ sehr viele, auch sehr harte Scherze gemacht. Das hat funktioniert, weil Kohl eine kontroverse Figur war.

Aber zur Flüchtlingskrise hat sich kaum ein Politiker so klar geäußert wie Merkel.

Ja, sie hat so Momente, da bricht die Vernunft aus ihr heraus. Das war auch mit dem Atomausstieg so. Als Physikerin hat sie die Kernkraft verteidigt, aber nach Fukushima hieß es: Wir machen das jetzt anders. Aber aus der Kernkraft ausgestiegen ist Deutschland immer noch nicht. Deswegen darf man sich von diesem Moment der Klarheit nicht täuschen lassen, die Realpolitik ist noch immer flüchtlingsfeindlich.

Abgesehen von Ihrer politischen Linie: Gibt es bei Ihnen nicht auch Bewunderung für die Kanzlerin?

Absolut. Wenn man die Politiköffentlichkeit als Schauspiel betrachtet, ist sie eine meiner Lieblingsfiguren. Sie bekommt inzwischen schon so etwas Miss-Marple-haftes. Wir hatten eine Reihe im Heft, in der wir sie Miss Merkle genannt haben: „Macht ist ihr Hobby“. Politik macht sie nur nebenbei, hauptsächlich löst sie Mordfälle, und zwar versehentlich. Die Lösung passiert ihr – und am Ende steht sie gut da. Wie es ihr in der Politik auch immer wieder so geht.

Und den Papst, mögen Sie ihn auch?

Ja, ein bisschen. Er macht es einem ja leicht. Papst Franziskus hat etwas – im Rahmen des Katholischen – von einem Punk. Er bleibt trotzdem der Führer der größten Sekte der Welt mit fürchterlichen moralischen und ethischen Vorstellungen, etwa wenn er Mitleid mit Homosexuellen hat, weil sie gestraft seien. Das ist eine unglaublich herablassende Haltung.

Im Gegensatz zu Papst Benedikt XVI. liefert er Ihnen weniger Stoff für Satire?

Er liefert den, den ein Papst so allgemein liefert. Die „Titanic“ war zu Zeiten von Papst Johannes Paul II. auf dem Standpunkt, dass es Religionssatire nicht mehr unbedingt braucht. Es wurde schon so viel gemacht. Aber als ein Deutscher Papst wurde, die „Bild“ mit „Wir sind Papst“ titelte, wurde der katholische Zirkus wieder unreflektiert populär!

So hat Papst Benedikt die Religionssatire wieder zurückgebracht?

Zumindest für uns bei der „Titanic“.

Warum persiflieren Sie nicht einen islamischen Geistlichen, der in Deutschland wirkt?

Es gibt leider keine bekannte Figur. Das ist aber auch eine Frage der gesellschaftlichen Relevanz. Die Muslime haben wenig öffentlichen Einfluss in Deutschland, entsprechend defensiv treten sie auf. Ich weiß nicht, was sie in den Moscheen erzählen, aber bei öffentlichen Auftritten sind sie zurückhaltend und liefern keine Steilvorlagen. Und das Material, das wir haben, sind irgendwelche verrückten Salafisten wie Pierre Vogel, die wir im Heft durchaus behandelt haben. Ich habe mich zum Beispiel für einen Artikel durch sämtliche YouTube-Videos diverser Salafistenprediger gequält. Das ist ein sehr trauriges Unterfangen, aber auch ein bisschen lustig, vor allem, wenn sie über Sex und Körperlichkeit reden. Aber so jemanden aufs Cover zu heben oder als feste Figur aufzubauen, würde ihn loben und wichtiger machen, als er ist.

Sie wollten ja auch eine Vertretung für den Islamischen Staat eröffnen.

Das war eine schöne Aktion. Wir haben gedacht: Das ist ein neuer Staat, dieses Kalifat, die brauchen auch eine Botschaft. Also haben wir in der Frankfurter Umgebung herumtelefoniert und nachgefragt, ob es möglich wäre, dass die Fenster alle gen Mekka ausgerichtet sind und ob die Nachbarn etwas dagegen hätten, wenn man laute Schreie aus der Botschaft hört...

Sind muslimische Vertreter auch deswegen nicht so oft Thema bei Ihnen, weil sich „Titanic“ per Selbstdefinition lieber über Mächtige lustig macht als über Schwache?

Wenn in Deutschland ein Atommüllendlager gesucht wird, sitzt ein evangelischer Bischof in der Kommission. Das erscheint mir absurd. Was sollte er dazu beitragen können außer zu vermuten, wo Gott den Müll hinhaben will? Ein Imam sitzt da aber nicht drin. In den öffentlich-rechtlichen Gremien sitzen Kirchenvertreter und keine Imame. Einen solchen Einfluss und Status haben Muslime in Deutschland eben nicht.

Schwingt da nicht Selbstzensur mit? Im Sinn von: Muslime werden ohnehin diskriminiert, da müssen wir nicht auch mitmachen.

Nein, es gibt da einen Unterschied. Man kann entweder sagen: Wir müssen über alle gleich viele Scherze machen. Oder man wägt den Kontext ab und fragt, in welcher diskursiven Situation man sich befindet. „Titanic“ versteht sich als dialektisch. Wir bekämpfen das Große und Mächtige.

Groß und mächtig ist die Pegida-Bewegung auch nicht, aber oft Thema bei Ihnen.

Im Fall von Pegida kann man argumentieren, dass sich hier eine Mittelschichts-Volkszorn-Bewegung bildet, die aus dem Herzen des wirklich Deutschen kommt. Gerade deswegen ist sie für uns relevant. Beim Islam kommt hinzu, dass ich mich nicht so gut auskenne, um wirklich treffende Scherze zu machen. Aber mit dieser Art von Deutschen, die Pegida-Märsche machen, bin ich aufgewachsen. Da habe ich einen anderen Zugang. Mich würde es freuen, wenn es genügend Muslime gäbe, die an ihrer Herkunft und Religion gelitten haben, um entsprechende Scherze zu machen. Es gibt offensichtlich noch nicht genug.

Darf Satire grundsätzlich und prinzipiell absolut alles?

Nein. Satire muss Satire bleiben, das heißt, sie muss mit den Mitteln der Komik arbeiten. Man kann nicht jemandem in die Fresse schlagen und sagen: „Ha ha, war Satire.“ Komik arbeitet vor allem mit Ambivalenz, mit einer Lücke, die der Betrachter füllen muss. Satire ist Zweifel, und nicht das Herstellen einer Realität. Man darf nicht einfach beleidigen. Werden Schimpfwörter verwendet, müssen sie aus dem Kontext ihre Berechtigung erhalten.

Weil Joschka Fischer also selbst einmal im Parlament gesagt hat: „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch“, hat ihn die „Titanic“ abgebildet mit: „Halte durch Arschloch! Mit Verlaub.“

Es war gerechtfertigt, weil er das selbst gesagt hat. Macht man das mit jemand anderem, nennt man denjenigen nur Arschloch. Hier wurde Joschka Fischer zitiert. Es ist das Übertragen seiner Worte in einen neuen Kontext.

Sie haben die Erfahrung gemacht, dass Politiker vom rechten Spektrum mehr aushalten als Linke. Wie kommt das?

Mit den traditionell Rechten, also CDU/CSU und ihren Kanzlern, wurde ganz, ganz viel veranstaltet. Aber sobald ein SPD-Mann auf dem Titel war, wurde gleich geklagt, weil sie glaubten, wir wären auf derselben Seite. Die Guten, die gegen die bösen Rechten kämpfen! Das ist eine Haltung, die aus dem Kabarett kommt; Kabarett ist in Deutschland traditionell sozialdemokratisch.

Apropos Klage: Ist „Titanic“ gut versichert?

Wir haben eine Rechtsberaterin, die sich das Heft anschaut. Betrunken.

Betrunken?

Nein, nein. Hinterher betrinkt sie sich, weil sie das alles hat lesen müssen. Sie gibt uns wichtige Hinweise und streicht auch den einen oder anderen Begriff. Letztlich gibt es zwei Problemfelder: die Abbildung von nicht prominenten Individuen und eben Beleidigung.

Steckbrief

1978 wurde Tim Wolff in Mannheim geboren. Er studierte Germanistik, Geschichte und VWL in Mannheim und Köln. Als Journalist veröffentlichte Wolff unter anderem in der „Tageszeitung“.

Seit 2013 ist Wolff Chefredakteur der deutschen Satirezeitschrift „Titanic“, die für ihren brachialen Humor bekannt ist. Über 30 Ausgaben wurden verboten, mehrmals wurde die Zeitschrift verklagt, unter anderem von der römisch-katholischen Kirche. Die Redaktion ist auch für ihren Aktionismus außerhalb des Magazins bekannt, außerdem gilt das Heft als Erfinder des Wortes Teuro für den Euro.

Tim Wolff war auf Einladung des Österreichischen Presserates zu
Gast in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2015)

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