Die Sinai-Bombe und das russische Info-Vakuum

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In russischen Medien wird auffallend wenig über die Unglücksursachen spekuliert. Der Kreml scheint medial vorzubeugen: Die Militärintervention in Syrien darf durch ein Attentat nicht infrage gestellt werden.

Moskau/Wien. Russische Medien verbreiten Bilder vom Militäreinsatz in Syrien, die vom „Krieg gegen den Terror“ sprechen: Es sind Aufnahmen von Kampfjets und Zielobjekten, die Präzision, Ferne und Unverwundbarkeit suggerieren sollen. Was nicht in diese Optik passt, kommt in den Mainstream-Medien nicht vor. Etwa die neuen Erkenntnisse der Online-Rechercheure Conflict Intelligence Team (CIT), die nahelegen, dass russische Staatsbürger – anders als offiziell behauptet – sehr wohl auch in Bodenoperationen eingebunden sind. CIT publizierte mehrere Fotos, die Russen in Kampfmontur zeigen; laut Geolokator halten sie sich in der Provinz Hama auf, weit entfernt von den russischen Militärbasen Latakia und Tartus.

Diese Publikationen kommen dem Kreml ebenso ungelegen (Putins Sprecher Dmitrij Peskow ließ sie unkommentiert) wie der Verdacht, dass eine Bombe den Touristenflieger auf der Sinai-Halbinsel zum Absturz gebracht hat. Im staatlichen Fernsehen hält man diesbezüglich eisern an drei Ursachen fest: technischen Problemen, einem Fehler des Bordpersonals oder einer Explosion. Worte wie Bombe oder Terrorismus werden nicht in den Mund genommen, geschweige denn der naheliegende Verdacht eines Racheakts jihadistischer bzw. IS-naher Gruppen thematisiert. Der TV-Sender Rossia sprach auch am Dienstag nur von verschiedenen Versionen, die allesamt noch nicht bestätigt seien.

Keine Spekulationen

Selbst propagandistische Fernsehsender wie Lifenews halten sich mit Thesen zum Tathergang auffällig zurück. Normalerweise sind sie vorn dabei, wenn es um Spekulationen über Verbrechen geht. Erinnert sei an den Abschuss des Flugs MH17 über der Ostukraine: Damals überboten sich Lifenews und andere Sender täglich mit neuen, absurden Theorien: Vom Abschuss durch einen anderen Jet oder von einer Verwechslung mit einer russischen Maschine war etwa die Rede.

Jetzt aber befindet sich Russland in einem Informationsvakuum. Nur Scharfmacher Dmitrij Kisseljow erdreistete sich, in seiner Polit-Sendung „Westi Nedeli“ eine Komplizenschaft der USA nahezulegen. Ziel dürfte sein, die Öffentlichkeit möglichst lang hinzuhalten. Das Aufrechterhalten verschiedener Versionen stiftet Verwirrung in der Bevölkerung. Die Meinung könnte sich durchsetzen, dass eine letztgültige Aufklärung sowieso unmöglich ist. Auch größere Trauermärsche oder gar Protestkundgebungen gegen den Kriegseinsatz wären so abgewendet. Denn mit dem Unglück sind die Konsequenzen der russischen Militärintervention viel schneller und brutaler nach Hause zurückgekehrt als angenommen. Die 224 Toten sind vermutlich die ersten zivilen Opfer des Syrien-Einsatzes. „Russland will in Syrien nicht bis zum Ende gehen“, analysiert „Wedomosti“ in einem Kommentar. „Aber jetzt kann es von dort nicht mehr weg.“

Von der Folge zur Ursache

In anderen Staaten hatten Terroranschläge durchaus unangenehme Konsequenzen für die Regierung: Als die von al-Qaida verübten Bombenanschläge im Jahr 2004 in Madrid 191 Opfer forderten, zog die neu gewählte sozialistische Regierung das spanische Kontingent aus dem Irak ab. Dass der Kreml ähnlich einlenken könnte, ist nicht vorstellbar: Die Intervention, die nicht recht vom Fleck kommt, hat doch gerade erst begonnen; der Einsatz dient als Beweis für die internationale Stärke Russlands. „Wedomosti“ glaubt, dass der Anschlag als Grund für die Beteiligung am Krieg herhalten müsse. Auch der britische Sicherheitsexperte Marc Galeotti hält für möglich, dass das Flugzeugunglück ins Putin'sche Narrativ eingefügt wird: dass nämlich „Russland mit einer inhumanen und unerbittlichen jihadistischen Gefahr rechnen muss, der man am besten in Syrien begegnet und nicht in Russland“.

AUF EINEN BLICK

Nach dem Flugzeugabsturz einer russischen Passagiermaschine am 31. Oktober über dem Sinai gehen westliche Geheimdienste von einem Terroranschlag aus. Russland bestritt diese Vermutungen anfangs, doch stellte es mittlerweile wie andere Staaten den Flugverkehr nach Ägypten ein. Daten der Geheimdienste ergingen an Moskau.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2015)

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