Libyens Diktator erinnert in Rom an faschistische Verbrechen. Opposition verhindert Gadhafi-Rede im Senat.
ROM. Muammar al Gadhafi, „Führer der Großen Libyschen Revolution“, revolutioniert nun auch den politischen Tourismus in Italien. Um nicht in einem römischen Hotel nächtigen zu müssen, hat Gadhafi zu seinem allerersten Staatsbesuch ein Beduinenzelt mitgebracht. Aufgestellt ist es in der Villa Pamphili, einem der größten römischen Parks, dessen eine Hälfte eigens für den Staatsgast hermetisch abgeriegelt wurde. Und wenn Gadhafi aus seinem Teppichparadies tritt, fällt sein Blick direkt auf die Kuppel des Petersdoms.
Vier Tage hält sich Gadhafi in Rom auf; er will die „ewige Freundschaft“ besiegeln, die Italien und Libyen nach Jahrzehnten der Zerwürfnisse nun geschlossen haben. Libyen war italienische Kolonie von 1911 bis 1943, und die grausamen Verbrechen der Kolonialherren an den libyschen Zivilisten rächte Ghadhafi 1971: Gleich nach seiner „Großen Revolution“ vertrieb er die restlichen 20.000 Italiener und zog ihre Besitztümer ein.
Foto des Widerstandshelden
Den Streit darüber, wer wen entschädigen musste, haben Berlusconi und Ghadhafi im Freundschaftsvertrag vom August 2008 beigelegt: Mit fünf Milliarden Dollar finanziert Italien in den nächsten zwanzig Jahren einige Projekte der libyschen Infrastruktur, darunter wohl eine Küstenautobahn, mit der Libyen Anschluss an den Mittelmeertourismus bekommen will; andererseits erhalten die italienischen Vertriebenen eine Entschädigung von insgesamt 150 Millionen Euro, verteilt auf die kommenden drei Jahre.
So weit, so einig. Das Sticheln konnte Gadhafi dennoch nicht lassen. Als er am Mittwoch dem Flugzeug entstieg, hatte er sich neben zahlreichen Orden demonstrativ ein Schwarzweißfoto an die Uniformbrust geheftet. Es zeigte den Führer des libyschen Widerstands, Omar al Muktar, wie er 1931 von faschistischen Truppen in Ketten gelegt und zu der von Mussolini befohlenen Hinrichtung geführt wird. „Das Foto von Muktar ist für uns so etwas wie für euch Christen das Kreuz“, sagte Gadhafi bei der Pressekonferenz später.
Berlusconi schäumt über Opposition
Derweil war von italienischer Seite schon die andere Provokation im Gang. Ursprünglich, so hatten es Berlusconis Diplomaten ausgehandelt, sollte Gadhafi vor dem italienischen Parlament reden. Die Opposition war einverstanden; am Mittwoch aber spät aufgewacht und wie üblich intern gespalten setzte sie durch, dass die Rede abgesagt wurde. Den „Diktator, der die Menschenrechte mit Füßen tritt und im eigenen Land kein Parlament kennt“, den wollte man auf einmal nicht mehr hören.
Berlusconi schäumte: „Ich bedaure, dass wir es hier mit einer Opposition dieses Schlags zu tun haben“, sagte er. Und Gadhafi nickte ernst. Die italienischen Milliarden für Libyen kommen aus den Profiten, die der teilstaatliche (32 Prozent) Mineralölkonzern ENI beim Handel mit libyschem Erdöl und Erdgas erzielt; der unter dem Markennamen Agip besser bekannte Konzern muss dafür eine Sondersteuer zahlen. Ungeachtet der politischen Animositäten ist ENI schon seit 1962 in Libyen aktiv; über eine Erdgasleitung durchs Mittelmeer bezieht Italien allein zehn Prozent seines Bedarfs aus Gadhafis Land. Libyen will seine Wirtschaft nun weit für italienische Investoren öffnen; Italien erhofft sich daraus große Gewinne. Mit der Ratifizierung des Freundschaftsvertrags ist auch die gemeinsame libysch-italienische Überwachung der See- und Territorialgrenzen angelaufen. Schiffspatrouillen sollen illegale Einwanderer und „Bootsflüchtlinge“ vom Eindringen in italienische, also europäische Gewässer abhalten und die Menschen nach Libyen zurückbringen. Dort allerdings sei ihr Schicksal ungewiss, die Einhaltung der Menschenrechte nicht gesichert, klagen Flüchtlingsorganisationen, die gegen diese Maßnahmen protestieren.
Italien warnte Gadhafi vor US-Angriffen
Ganz so eisig übrigens waren die Beziehungen zwischen Rom und Tripolis nie: Als die USA nach dem Attentat auf die Berliner Diskothek „La Belle“ im April 1986 die Bombardierung Libyens vorbereiteten, schickte Italiens Außenminister Giulio Andreotti klammheimlich eine Warnung an den Revolutionsführer. Gadhafi kam mit dem Leben davon. Bei seinem Besuch in Rom verglich Gadhafi nun die US-Bombardements 1986 mit den Anschlägen des Terrornetzwerkes al-Qaida: „Welchen Unterschied gibt es zwischen dem US-Angriff auf Libyen und den Attentaten Bin Ladens?“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2009)