Wenn die Welt auf dem Kopf steht

Wie fühlt sich Trinken im Handstand an? Wichtigste Erkenntnis: Selbst mit einem Strohhalm ist es ziemlich mühsam.

Wenn die Welt Kopf steht, heißt es kühlen Kopf zu bewahren. Und sich auf die geänderten Bedingungen einzustellen. Leichter geht das, wenn man den Fall der Fälle schon einmal geübt hat. Die auf dem Kopf stehende Welt wird dabei durch einen kopfüber stehenden Körper simuliert. Wie können unter diesen Umständen die für das Leben notwendigen Grundbedürfnisse verrichtet werden? Nun weiß man, dass man ohne feste Nahrung bis zu 30 Tage überleben kann, ohne Flüssigkeit dagegen nur maximal drei bis fünf. Trinken ist also als Bedürfnis Nummer eins identifiziert. Na, dann üben wir mal.

Zurück zum Turnunterricht. Der erste Teil der Übung ist die Rückbesinnung auf sportliche Tugenden, die seit dem Turnunterricht in der Schule ein wenig zu kurz gekommen sind. Wie ging noch mal der Handstand? Sicherheitshalber kommt eine Wand als Hilfe zum Einsatz – sagt ja niemand, dass in einer auf dem Kopf stehenden Welt plötzlich alle Hausmauern verschwunden sind. Nach einem eleganten Perspektivenwechsel zeigt sich die erste Schwierigkeit der Versuchsanordnung: Wenn die Arme das Gewicht des Körpers tragen müssen, fällt der Griff zum Glas schwer. Und die Zehenfertigkeit des Menschen ist doch nicht so stark ausgeprägt, dass man damit eine Flasche Eistee zum Mund führen könnte. Es braucht also Hilfsmittel.

Ein Strohhalm bietet sich an. Tatsächlich könnte der rosa Flexi-Trinkhalm eine große Erleichterung sein – wenn nicht das Glas zu niedrig wäre und der Mund so hilflos nach dem Ende des Halms schnappt. Dachte nicht, dass die verkehrte Welt so kompliziert sein würde. Aber gut, muss eben ein höheres Trinkgefäß her. Die Kombination aus Sektflöte und Strohhalm wird wohl die richtige Höhe haben. Sollte sie auch, denn langsam beginnen die Arme zu schmerzen.

Eistee in der Nase. Endlich sind die technischen Voraussetzungen geschaffen, und der Strohhalm ist zwischen die Lippen geklemmt. Jetzt beginnt der Kampf gegen die Schwerkraft, der Härtetest für die Peristaltik der Speiseröhre. Langsam quält sich der Eistee bergauf, landet im Mund. Und siehe da, der Schluckreflex funktioniert, das Getränk wandert in den Magen. Das Glas in einem Zug auszutrinken fällt allerdings nicht ganz so leicht. Denn irgendwann macht das Trinken keinen Spaß mehr. Das Schlucken fällt schwerer, die Arme schmerzen immer stärker. Zeit, die Welt wieder zurechtzurücken. Ein Perspektivenwechsel, der für eine dezente Eisteenote in der Nasenhöhle sorgt. Was bleibt am Ende? Die Erkenntnis, dass die verkehrte Welt mit einigen Mühen verbunden ist. Sollte es dennoch einmal dazu kommen, sollten Sie aber auf jeden Fall eine Sektflöte und einen Strohhalm dabeihaben. Nur, falls Sie Durst bekommen.

E-Mail: erich.kocina@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2009)

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