Sonnwendviertel: Was ein neues Viertel zum Leben erweckt

Architektin Iris Kaltenegger sieht im neuen Sonnwendviertel viel Potenzial für ein lebendiges Stadtviertel.
Architektin Iris Kaltenegger sieht im neuen Sonnwendviertel viel Potenzial für ein lebendiges Stadtviertel.Die Presse
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Ein Rundgang mit der Architektin Iris Kaltenegger durch das gerade entstehende Sonnwendviertel beim Hauptbahnhof.

Wären da nicht die leuchtenden Weihnachtsmänner, die bunten Blumentröge und die teilweise schon eingewinterten Sitzgelegenheiten auf den Balkonen, man könnte den Eindruck gewinnen, man spaziert durch ein Architekturmodell, das auf Lebensgröße aufgeblasen wurde. Fertige moderne Wohnbauten reihen sich an den neuen Bildungscampus, dazwischen stehen Baukräne, die die Arbeit an weiteren Gebäuden vorantreiben. Bis zum Jahr 2020 sollen im neuen Sonnwendviertel – gleich beim Hauptbahnhof – insgesamt 5000 Wohnungen entstehen.

„Eigentlich ist es gerade eine irrsinnige spannende Zeit in Wien“, sagt Architektin Iris Kaltenegger. Sie ist auch Gründerin des Vereins Open House Wien – Architektur für alle, der zuletzt im September Führungen unter anderem durch das Sonnwendviertel angeboten hat. Diese spannende Zeit lässt sich für Kaltenegger nicht nur am Sonnwendviertel, sondern auch an der Seestadt Aspern und am Nordbahnhofareal ablesen. Alle drei Stadtentwicklungsprojekte passieren mehr oder weniger gleichzeitig – und befruchten sich dadurch. „Ich glaube, dass man voneinander lernt“, sagt Kaltenegger. Etwa indem man Pläne laufend überarbeitet und zum Beispiel die zukünftigen Bewohner in Form von Baugruppen stärker in den Prozess einbezieht.


Dichte und Freiflächen. Für Kaltenegger sind mehrere Faktoren entscheidend, damit ein neues Stadtviertel auch als solches funktioniert. Zuerst brauche es eine gewisse Dichte, sprich eine Masse an Bewohnern. „Dichte ist per se nicht schlecht, aber man braucht auch das Pendant dazu, die Freiflächen.“ Die sieht sie im Sonnwendviertel – je nach Bauplatz – in unterschiedlicher Qualität gegeben. „Sehen Sie sich die Privatgärten an, gleich daneben ist die öffentliche Freifläche. Das ist zu knapp, als Bewohner fühlt man sich da nicht wohl und wenn man als Besucher durchgeht, hat man das Gefühl, man kommt den Gärten zu nah“, sagt sie etwa bei einem Wohnblock bei der Hackergasse. Ein paar Schritte weiter (wo das Foto entstanden ist), sieht die Sache anders aus. Dort gibt es ebenso Privatgärten und öffentliche Flächen. „Da funktioniert das, weil es baulich anders gelöst wurde, etwa durch verschiedene Ebenen.“

Damit in einem neuen Viertel Leben entsteht, seien weitere zwei Dinge wichtig: die Höhe der Erdgeschoßzone und deren Kleinteiligkeit. Nur so siedeln sich kleine Geschäfte, Büros oder Lokale an. Wenn sie als Fahrradräume genutzt werden oder ob der Größe nur für große Ketten infrage kommen, nimmt man den Bewohnern die Chance, sich die Gegend anzueignen.

Den Bildungscampus mit seinem Konzept der Vernetzung beurteilt die Architekten als gelungen. Auch wenn heute kein Stadtteil mehr ohne Schule bebaut wird, so etwas ziehe Bewohner an und fördere die Gemeinschaft – auch jene zwischen neuen und alten Bewohnern. Denn, was Kaltenegger hier fehlt, ist die Vermischung zwischen altem und neuem Viertel. „Das kommt vielleicht noch mit dem neuen Park, der im Frühling eröffnet wird.“

Wichtig sei für ein Viertel, dass es eine eigene Identität entwickelt, mit der sich die Bewohner identifizieren können. „Ich habe lang in London gelebt. Dort ist jedes Viertel ein anderes Dorf. Man spürt sofort den Charakter der Umgebung.“ Sie ist davon überzeugt, dass der Hauptbahnhof das Sonnwendviertel prägen wird. „Es geht um die Mobilitätsgeschichte. Früher wäre es undenkbar gewesen, dass man direkt neben den Bahnhof zieht.“ Auch dass es sich dabei nicht um irgendeinen Bahnhof handelt, sei entscheidend. „Es ist spannend, wenn ein zentraler Knotenpunkt der Stadt verlagert wird. Man muss schon auch auf sein Viertel stolz sein können“, sagt Kaltenegger. Und: „Da wird eine Dynamik entstehen, das braucht seine Zeit. Aber das Gebiet hat ein Riesenpotenzial.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2015)

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