Der hilflose Herr Draghi und die störrischen Euroländer

Ohne Reformen in den Euroländern läuft die EZB-Politik des lockeren Geldes ins Leere. Österreich liefert wieder einmal ein besonders krasses Beispiel.

Die Europäische Zentralbank hat gestern ihre Geldpolitik noch einmal gelockert, aber die Aktienmärkte trotzdem bitter enttäuscht. Sie wollten nicht nur die beschlossene Ausweitung der Negativzinsen und die ebenfalls vereinbarte Verlängerung der Anleihenankäufe durch die Notenbank sehen, sondern auch noch deren Ausweitung. Fazit: heftige Kursverluste an den europäischen Aktienbörsen und ein starker Anstieg des Euro gegenüber dem Dollar in den ersten Minuten. Beides Dinge, die die EZB eigentlich so gar nicht brauchen kann.

Nichts illustriert schöner die Hilflosigkeit, in die sich die Euro-Notenbank manövriert hat: Sie macht ihre Geldschleusen immer mehr auf, um einen ökonomischen Crash zu verhindern – und erreicht damit das Gegenteil. Das Gefahrenpotenzial erhöht sich mit jedem Schritt. Auf den eigentlichen Patienten, die lahmende Wirtschaft, wirkt das Medikament Gelddrucken aber schon lang nicht mehr.

Viele Ökonomen, darunter natürlich auch die der EZB, wissen, wieso das so ist. Gelddrucken ist als akute Krisenmaßnahme eine gute Medizin. Hätten die Notenbanken auf den Crash Ende 2008 nicht mit konzertierten Zinssenkungen vorher nicht gekannten Ausmaßes reagiert, hätten wir wohl eine Wirtschaftskrise im Stil der Großen Depression bekommen.

Aber als Dauermedikation ist die Nullzins-Hahn-auf-Politik ganz offenbar ungeeignet: Das Geld kommt nicht dort an, wo man es haben will. Es bläst Aktien-, Immobilien- und sonstige Blasen auf. Aber es wird nicht für Investitionen verwendet. Je länger die Politik des lockeren Geldes dauert, desto größer werden die dadurch ausgelösten Verwerfungen und die Crash-Gefahr. Und umso schwieriger wird es, unfallfrei wieder zur Normalität zurückzufinden.

Klar: Unternehmen investieren nicht, nur weil gerade Geld da ist. Eine Investition muss sich in einer überschaubaren Zeit rentieren. Und dafür müssen eben das wirtschaftliche und vor allem das wirtschaftspolitische Umfeld stimmen. EZB-Chef Mario Draghi selbst hat das zuletzt immer wieder angesprochen: Die Euro-Notenbank kann die Geldschleusen aufmachen; um die Geldflut wirksam zu machen, müssen die Länder der Eurozone aber ihre strukturellen Hausaufgaben erledigen, das Wirtschaftsumfeld verbessern, die Staatsfinanzen sanieren. Gerade bei Letzterem würden die niedrigen Zinsen ja extrem helfen.


Nur: Das passiert nicht. Oder nicht in ausreichendem Maß. Unsere Regierung liefert dafür ja ein besonders prächtiges Beispiel: Nächstes Jahr, hat der Fiskalrat gestern bekrittelt, wird Österreich das angepeilte strukturelle Nulldefizit dramatisch verfehlen. Und das trotz rekordniedriger Refinanzierungskosten für die Staatsschuld und rekordhoher Steuereinnahmen. Die Flüchtlingskosten taugen als Ausrede nicht: Sie machen nur rund ein Fünftel des Defizits aus. Des strukturellen, wohlgemerkt, aus dem ohnehin schon so gut wie alle außertourlichen Kosten herausgerechnet sind.

Mit anderen Worten: Trotz günstigen Umfelds versagt die Regierung bei der Sanierung der Staatsfinanzen völlig. Statt Zinsersparnisse zur Verringerung der Staatsschuld zu verwenden, wird das Nullzins-Umfeld als willkommener Anlass für neue Schuldenaufnahmen gesehen.

Objektiverweise muss man sagen, dass der Finanzminister öffentlich regelmäßig sein Missfallen darüber äußert und Reformen einmahnt. Das ist von Regierungsseite aber eindeutig zu dürftig, um die Lage zu verbessern.

Statt die längst überfälligen Reformen in Angriff zu nehmen, wird hierzulande über neue Steuererhöhungen diskutiert, die auch den ohnehin geringen Konjunktureffekt der kommenden Lohnsteueranpassung egalisieren würden.

So wird das nichts. Und weil dieses Problem nicht nur in Österreich (hier aber besonders hartnäckig) besteht, läuft die EZB mit ihrer Politik des lockeren Geldes ins Leere. Das Erwachen aus diesem Albtraum könnte ziemlich schmerzhaft werden.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2015)

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