Le Choc – und wie man ihn nicht verhindert

Frankreich zeigt vor, wie man Rechtspopulisten voranbringt: Die Sozialisten schenken ihnen die Opferrolle, die Konservativen fördern ihre Themen.

"Le Choc" titelten zu Wochenbeginn französische Tageszeitungen von rechts wie links. Den Schock brachte der Wahlsieg von Marine Le Pen und ihrem Front National bei den Regionalwahlen. Obwohl ein massiver Gewinn der Rechtspopulisten erwartet worden ist, löst Platz eins Erschütterungen in Paris aus. (Österreichs FPÖ liegt in allen Umfragen übrigens über den 28 Prozent, die der Front National erreicht hat.) Die Sozialisten von François Hollande haben insgeheim gehofft, dass die scharfe Reaktion des Präsidenten auf die Terroranschläge in Paris und die entschlossenen öffentlichen Auftritte seiner schwer angeschlagenen Partei helfen. Bei den Konservativen war sich Nicolas Sarkozy sicher, dass er vorn liegen würde und dann gestärkt in den Präsidentschaftswahlkampf einsteigen kann.

Mitnichten. Nun diskutiert Frankreich, wie es weitergehen soll: Beim zweiten Wahlgang in den Provinzen geht es vor allem für die Sozialisten nur noch darum, einen Sieg des Front National zu verhindern. In mehreren Regionen sollen die Kandidaten der Sozialisten ihre Listen zurückziehen, also nicht mehr kandidieren, um einen Sieg der jeweils erfolgversprechenden konservativen Kandidaten zu ermöglichen. Le Pen spricht von einem kollektiven Selbstmord der Sozialisten und freut sich über die Möglichkeit, einmal mehr ein Komplott der abgehobenen, manipulativen Elite in Paris zu zeichnen. In Österreich sprechen die FPÖ-Strategen gern ganz ähnlich von der Wiener Blase.

Sarkozy verweigert den Rückzug für jene Regionen, in denen seine Kandidaten keine Chance haben. Manche seiner Parteifreunde sehen das kritisch oder nutzen eine Gelegenheit, den umstrittenen Parteichef zu rempeln. „Es nähert sich“, titelte „Le Monde“, und jeder weiß, was „es“ ist. „Es“ wäre die Übernahme des Élysée-Palastes durch Marine Le Pen.

„Es“ wird auch hierzulande immer wieder diskutiert: Was, wenn die FPÖ Platz eins erreicht? Eine Konzentrationsregierung gegen sie? Oder doch eine Koalition mit ihr – in welcher Kanzler-junior-Verteilung auch immer? Die Volkspartei wäre wohl bereit, wenn das Angebot gut genug wäre. Die FPÖ will lieber mit der SPÖ, zu traumatisch waren die Erfahrungen mit den machterfahrenen Schwarzen Wolfgang Schüssels. In der SPÖ lehnen dies Werner Faymann und Michael Häupl ab; an der Basis, in der Gewerkschaft und im Burgenland sieht man das ganz anders. Vieles spricht dafür, dass sich diese pragmatische Ansicht durchsetzen wird.

Könnten die beiden einstigen Großparteien theoretisch etwas unternehmen, um nicht sehenden Auges weiter in den Niedergang zu stolpern? Ja, aber es wird von Tag zu Tag mit dem Wenig-bis-nichts-Tun und/oder der Imitation der Populisten schwieriger. Und wie immer ist das Papier geduldig und die Umsetzung schwierig. Zugegeben: Das stand an dieser Stelle schon oft und ziert viele Sonntagsreden, aber auf europäischer Ebene muss dringend eine gemeinsame Lösung her. Der Plan, den Justizminister Wolfgang Brandstetter seinen EU-Kollegen vorgelegt hat und der in Wien abgestimmt wurde, ist grundvernünftig und müsste breite Unterstützung finden: Schaffung einheitlicher Asylstandards und Regeln in allen oder zumindest in den willigen EU-Ländern, Errichtung von Hotspots und Wiedereinführung der Möglichkeit, in EU-Vertretungen in Nordafrika Asyl zu beantragen. Die Folge: Abgelehnte Bewerber dürften nicht in die EU und würden gegebenenfalls abgeschoben werden. Mitunter wird vergessen, dass schon vor dem Flüchtlingsstrom FPÖ, Front National, und wie sie alle heißen, zugelegt haben. Daher wäre es endlich notwendig, in den Ländern den Stillstand zu beenden und Reformen, die den Namen verdienen, anzugehen. Dafür müsste in den kommenden Wochen und Monaten auch gesellschaftspolitisch der Druck auf die Regierenden erhöht werden.

Und zuletzt: Vielleicht sollte man sich mit diesen Parteien endlich inhaltlich, nicht nur emotional auseinandersetzen. Wofür stehen sie in der Wirtschaftspolitik? In der Budgetpolitik? Bei Sozialem und Pensionen? Bei Gesundheits- und Bildungsthemen? Sie wissen es nicht? Das ist ein interessantes Phänomen.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2015)

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