Pariser Gefühlschaos: Zwischen Vorfreude und Sorge

Die Anschläge vom 13. November haben die Pariser Seele verändert. Ein Lokalaugenschein am Rand der EM-Auslosung.

Freitagabend in Paris. Die Avenue des Champs-Élysées erstrahlt in grellem Licht, der Weihnachtsschmuck macht sich gut. Menschenmassen schlängeln sich entlang der Prachtstraße. Restaurants und Cafés sind gut besucht, Frankreichs Hauptstadt vermittelt einen lebhaften Eindruck. Paris sinnt dieser Tage nach Normalität – und gibt sich dabei redlich Mühe. Viele machen einen fröhlichen Eindruck, sie scheinen Sorgen und Ängste regelrecht weglächeln zu wollen. Auch Paul, 27 und ein „waschechter Pariser“, ist bester Laune. „Das ist meine Art, mit den Geschehnissen umzugehen.“

Vor einem Monat war die Stimmung in Frankreichs Metropole noch eine andere, eine weitaus getrübtere. Die Anschläge vom 13. November haben ihre Spuren hinterlassen, Ängste geschürt, ein Albtraum wurde innerhalb kürzester Zeit erschreckende Realität. Vor dem Gros der Geschäfte auf der Champs-Élysées haben sich breitschultrige Sicherheitskräfte positioniert. Es werden Taschen kontrolliert, potenzielle Kunden dazu aufgefordert, ihre Mäntel zu öffnen. Shopping im Zeichen des Terrors.


Schwer bewaffnet. Auf dem nahegelegenen Weihnachtsmarkt werden Glühwein, Crêpe und andere Köstlichkeiten angeboten. „Mittlerweile“, berichtet einer der Verkäufer, „kommen wieder mehr Gäste.“ In den Wochen zuvor hatte sich noch ein ganz anderes Bild gezeigt. „Die Leute waren einfach nicht in Stimmung, auf einen Weihnachtsmarkt zu gehen. Ich kann das verstehen.“

Unter das Volk mischt sich eine Gruppe von sechs Soldaten, sie sind schwer bewaffnet. Eine Frau kann ihren Blick von einem der Gewehre kaum lösen, ihr Begleiter umarmt sie innig. Paris musste nach den Anschlägen in der Sicherheitsfrage umgehend ein Zeichen setzen. Polizei und Militär zeigen Präsenz, vor Bahnhöfen, in Einkaufszentren oder eben auf dem Weihnachtsmarkt.

Marie war mit Freunden in einem Café im Westen der Stadt, als sie erste Meldungen über das Geschehene erreichten. „Ich bin so schnell, wie ich nur konnte, in meine Wohnung gelaufen“, erinnert sich die Studentin. „Ich hatte Angst, große Angst.“ Marie, 24, nimmt einen Schluck von ihrem Glühwein. Kurz hält sie inne, dann sagt sie: „Ich war immer schon vorsichtig, sogar etwas misstrauisch. Jetzt bin ich es umso mehr.“

Dennoch hat sie ihr Weg an diesem Freitagabend im Dezember an einen belebten Platz geführt. Marie blickt sich um. „Ich weiß, dass es wieder passieren könnte. Hier und jetzt.“ Ihre Stimme bricht, sie wirkt nachdenklich. „Aber das Leben muss weitergehen, oder?“


Hubschrauber über Paris. Nach den Anschlägen – sie ereigneten sich mitunter am Rand des Länderspiels zwischen Frankreich und Deutschland im Stade de France – wurde kurzerhand auch die Sicherheit bei der Auslosung der EM-Gruppen infrage gestellt. Weil der Terror also auch den Fußball erreicht hat, wurde der Schauplatz des Final Draw, das Palais des congrès, in den vergangenen Tagen kurzerhand in eine Festung verwandelt.

Polizei, Sprengstoffhunde, Hubschrauber über der Stadt – all das gehörte zum notwendig gewordenen Rahmenprogramm. Vor dem Medieneingang bildete sich schon Stunden vor der Auslosung eine lange Menschenschlange. Ein Prozedere wie beim Securitycheck auf einem Flughafen, Verständnis hatte dafür aber jeder.

Auch bei der in sechs Monaten beginnenden EM wird selbiges Schauspiel zu beobachten sein. Bereits im Bewerbungskonzept Frankreichs stand die Sicherheit in der Liste von zwölf Risken an erster Stelle. Bei aller berechtigter Sorge will sich Frankreich nächsten Sommer von seiner weltoffenen Seite präsentieren. „Wir werden ein toller Gastgeber sein“, versichert Henri, 28. Auch er weilt Freitagabend auf der Champs-Élysées. Über seiner Jacke trägt er ein Trikot der „Équipe Tricolore“, der französischen Nationalmannschaft. Henri freut sich auf die Europameisterschaft im eigenen Land, sie soll „ein Fest für alle“ werden. Tickets für Spiele hat er noch keine, aber wenn ihm Fortuna bei der Kartenverlosung gut gestimmt sein sollte, wird er ins Stadion gehen. Angst, betont er, habe er dabei keine, „eher ein mulmiges Gefühl“.

Von 10. Juni bis 10. Juli 2016 rollt quer durch Frankreich in zehn Arenen der Ball. Diese abzusichern wird nur eine der zahlreichen Herausforderungen sein, die auf die Organisatoren zukommt. Jacques Lambert, Präsident des EM-Organisationskomitees, sagt: „Die größten Sorgen bereiten Gebiete wie Innenstädte, Bars, Restaurants, wo während des Turniers Public-Viewing-Veranstaltungen geplant sind.“ Henri nickt. „Das macht auch mir Angst.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Fußball-International

Der Auslosung folgt das Warten auf den Anstoß

Bruderduelle, Engländer und Elfmeter, Nerven etc. - fünf Fakten zur Euro 2016.
FBL-EURO-2016-DRAW
Fußball-National

Großes EM-Kartenkontingent für Österreichs Fans

Zwei Tage nach der Gruppenauslosung beginnt am Montag die nächste Verkaufsphase für Eintrittskarten zu Spielen der Fußball-EM 2016 in Frankreich.
FBL-EURO-2016-FRA-GER
Fußball-International

Buchmacher: Österreich mit Quote 1:33

Nach der Auslosung der Gruppen für die EM 2016 in Frankreich hat der englische Buchmacher William Hill die Quoten auf den EM-Sieg veröffentlicht.
EM-Pokal und Logo
Fußball-International

EM 2016: Österreich gegen Portugal, Island und Ungarn

Das ÖFB-Team wurde bei der Auslosung als letzte der 24 Mannschaften in Gruppe F gezogen. Der Auftakt erfolgt am 14. Juni gegen Ungarn.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.