"Wie ein Hund, der in den Wald rennt und mit Blättern tollt"

Judith Holofernes stellte in Wien ihr Buch vor: „Bin introvertierter, als andere denken.“
Judith Holofernes stellte in Wien ihr Buch vor: „Bin introvertierter, als andere denken.“(c) Imago/Hoffmann
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Judith Holofernes füllte mit Wir sind Helden die größten Hallen. Nun geht sie es kleiner an. Musik und Schreiben bleiben im Mittelpunkt.

Die Presse: Ihre Band Wir sind Helden befindet sich offiziell in einer Pause. Zu diesem Schritt haben Sie sich erst nach langem Nachdenken entschlossen. War es so schwierig?

Judith Holofernes: Das war sehr schwierig, weil ich geliebt habe, was ich getan habe und auch wusste, dass auch sehr viele andere Menschen das sehr lieben. Es ist schwierig einzusehen, dass sich das, was man richtig und toll findet, nicht mehr richtig anfühlt, wenn man daraus ein Leben macht. Deshalb habe ich lange daran festgehalten. Ich habe dann genau rechtzeitig die Reißleine gezogen.

Also ist es doch eher ein Ende als eine Pause?

Wir haben uns absichtlich nicht aufgelöst, weil das so etwas Gewalttätiges hat und wir uns immer noch heiß und innig lieben. Wir dachten, wir lösen uns lieber nicht auf, als irgendwann eine dramatische Reunion-Tour zu machen. Aber im Moment haben wir eher keine Vision dafür. Es sind außerdem alle mopsfidel mit dem, was sie gerade machen. Natürlich sticht es mich jedes Mal, wenn jemand sagt, wie toll er diese Band fand. Und es ist schwierig, etwas Neues zu machen, wenn man in einer Band war, die so lieb gehabt wurde von so vielen Leuten. Aber es geht mir extrem gut.

Also wir sind Freunde statt Wir sind Helden?

Wir sind Helden werden wir immer sein. Wenn wir zusammen essen gehen, sind wir auch gleich wieder im selben Groove. Es ist wie bei Geschwistern, wir haben so vieles gemeinsam erlebt. Man teilt Sachen, die sonst keiner teilen kann. Natürlich macht es mehr Spaß, bei einem Festival als Wir sind Helden aufzutreten, als es wieder kleiner anzugehen, weitab vom Mainstream. Aber ich genieße es.

Sie hatten lange davon geträumt, einmal auf der Bühne zu stehen. Wenn der eine große Traum erfüllt ist oder ausgeträumt, hört man dann auf zu träumen?

Nein, man hört nicht auf zu träumen. Ich träume noch ganz viel, es hat vor allem mit Musik zu tun. Letzten Sommer war ich eine Woche auf den Färöer-Inseln und habe dort mit dem Songwriter Teitur Lieder geschrieben, das war ein Traum von mir. Meine Träume sind, befriedigende Arbeit zu machen. Ich bin nie so glücklich als wenn ich Songs schreibe. Ich wollte ein Leben, in dem das wieder mehr vorkommt. Ein Leben, in dem die Kreativität mehr Platz einnimmt als das Marketing.

Hat man nicht auch mehr Kontrolle, wenn man allein seine Sache durchziehen kann?

Wir hatten wahnsinnig viel Glück, wir mussten mit unserer Band nur wenige Kompromisse eingehen. Wir waren sehr frei. Dennoch bin ich trotz meines bekannten Eigensinns auch relativ frauentypisch auf anderer Leute Bedürfnisse eingegangen. Wenn man aber zwei Kinder hat und introvertierter ist, als andere denken und dann gern auch mal monatelang gar niemand ist, dann ist es teilweise schwierig, nicht in der allgemeinen Bedürfnislage unterzugehen. Man spielt dann doch ein paar mehr Konzerte, als man wollte, ohne dass man dazu gedrängt worden wäre. Ich nahm auf, was an Bedürfnissen und Erwartungen da war. Ich bin auch nicht der Typ, der das Geld unter den Arm klemmt und rennt. Das hat eine Wucht, wenn man weiß, dass eine Plattenfirma unheimlich viel auf einen setzt. Das hat sich zwar nicht auf mein Songwriting ausgewirkt, ich konnte das komplett aus dem kreativen Arbeitsprozess ausschließen. Aber es hat mich zu einem Arbeitstier gemacht, mehr als für mich gesund war und auch mit meinen Werten vereinbar war. Mit dem, was ich für ein gutes Leben halte.

Ein sozusagen gutes Leben zu führen ist aber oft erst möglich, wenn man unabhängig ist, wenn man sorgenfreier kreativ sein kann.

Sorgenfreier? Naja. Ich könnte mir das Leben einfacher machen, wenn ich nicht mehr Musik schreiben wollte. Und dann auf Tour zu gehen und die Schnapsidee zu haben, sechs Leute auf die Bühne zu stellen. Das muss auch alles bezahlt werden, das muss schon auch noch funktionieren. Man macht sich dann andere Sorgen.

Wenn man dazu neigt, sich Sorgen zu machen, hat man doch immer Sorgen, es sind nur andere.

Wenn man nicht übt, dann ja. Das sind menschliche Veranlagungen, damit kann man lernen umzugehen.

Wie übt man das?

Es gibt viele Wege. Ich bin seit 15 Jahren Buddhistin und habe zumindest das Gefühl, über eine Art Handwerkszeug zu verfügen. Das heißt nicht, dass ich das beständig durchziehen kann. Aber Meditationspraxis hilft. Gewisse Einsichten, in die Art, wie der Geist funktioniert, helfen auch. Wir schaffen es, aus allem Angst zu machen. Es ist zwar eine Plattitüde, aber es stimmt: Man nimmt sich immer selbst mit, egal, wo man ist und was man tut.

Wir wirken sich eigene Kinder auf die Kreativität aus?

Arbeiten mit Kindern ist für alle Leute schwierig. Vor allem, wenn man einen Beruf hat, der keine fixen Zeiten hat. Beim Songschreiben weiß ich inzwischen, dass es einem Song guttut, wenn man ihn sofort nach Hause reitet, sobald die Idee kommt. Wenn man ihn in einem Zug fertig schreibt. Das ist mit Kindern fast nie möglich. Ich gönne mir ganz selten eine Art Schreibe-Retreat, für ein paar Tage. Dann heißt es Leinen los. Wie ein Hund, der in den Wald rennt und mit den Blättern tollt.

Kann man auch etwas Gutes schöpfen aus der Müdigkeit?

Ich kann in dem Dämmerzustand, also dem Fast-Schlafen ganz wunderbar schreiben. Man kriegt aber auf jeden Fall Augenringe davon. Ich bin ein Kandidat für Licht aus, Licht an, zwei Zeilen schreiben, wieder abdrehen. Ich habe mir jetzt einen Stift zugelegt mit einem Licht vorn dran, das macht es einfacher.

Sie haben einen Tiergedichteband veröffentlicht. Wie kam es dazu?

Anfangs war das so ein öffentliches Gesellschaftsspiel rund um meinen Blog, da haben sich die Leser Tiere gewünscht, das hat sich verselbstständigt. Ein Buch mit nur Tiergedichten muss aber auch eine emotionale Bandbreite haben, einige autobiografische Tierbegegnungen sind auch dabei. Anfangs waren die Gedichte so eine Art Herumjandeln auf Tieren, die evolutionär nicht so begünstigt sind.

Was ist denn das ärmste Schwein unter den Tieren?

Der Marabu, der sieht aus, als wäre er schon mal vom Krokodil gefressen worden.

Nacktschnecken sind auch arm. Die mag niemand.

Aber die sind nicht so offensiv hässlich wie der Marabu. Aber ich kann allen Tieren etwas abgewinnen. Bis auf die Wespe, die mag ich wirklich nicht.

Zur Person

Judith Holofernes, geboren 1976 in Berlin, Musikerin, Songwriterin, Autorin. Bekannt wurde sie als Frontfrau der Band Wir sind Helden. Ihr erstes Soloalbum erschien 2014 („Ein leichtes Schwert“). Bloggt Texte und Gedichte. Lebt in Berlin, zwei Kinder.

Zum Buch

Judith Holofernes
„Du bellst vor dem falschen Baum“
Mit Bildern von Vanessa Karré, Tropen Verlag

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.12.2015)

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