Jens Petersen punktete mit seinem Text bei der Jury wohl am meisten, die Österreicherin Linda Stift fiel dagegen regelrecht durch. Mit den letzten vier Kandidaten findet das Wettlesen am Samstag seinen Abschluss.
Nach dem zweiten Tag des Wettlesens um den Ingeborg-Bachmann-Preis im Klagenfurter ORF-Theater hat sich noch kein eindeutiger Favorit für den Hauptpreis herauskristallisiert. Von den fünf Autoren am Freitag punktete Jens Petersen mit seinem düsteren Text "Bis dass der Tod" bei der Jury wohl am meisten. Die österreichische Teilnehmerin Linda Stift fiel hingegen regelrecht durch. Für Abwechslung sorgte ein Disput zwischen Moderatorin Clarissa Stadler und dem Juryvorsitzenden Burkhard Spinnen.
"Die Welt der schönen Dinge" von Linda Stift ist ein Text über illegale Einwanderer, die gegen Bezahlung von Schleppern in Lastwagen über die Grenzen geschmuggelt werden. Stift beschreibt minuziös die Fahrt im Laster, die Gefühle der Insassen, ihre Hoffnungen und Erwartungen. Endlich angekommen, werden sie umgehend wieder zurückgeschickt. Abgesehen von Karin Fleischanderl, die meinte, Stift gebe den Migranten mit diesem Text ihre Würde zurück, schlug der Autorin weitgehende Ablehnung entgegen. Ijoma Mangold ortete gar moralische Erpressung und "Verallgemeinerungskitsch". Andere Juroren machten auch formale Gründe geltend, wie etwa die angewendete Wir-Perspektive, so etwa Meike Feßmann. Spinnen bezeichnete den Text als quasi "Universal Refugee", der sämtliches Flüchtlingselend der Welt vereinen wolle, was nicht funktioniere.
Deutlicher Dissens statt einer Meinung
Petersens Text über eine Beziehung und ihr tragisches Ende kam deutlich besser an. Die Frau des Protagonisten ist durch eine schwere Erkrankung ein Pflegefall geworden. Er muss ihr Morphium spritzen, sie versorgen. Er hat das viele Jahre lang getan, am Ende erschießt er sie, den geplanten Selbstmord führt er nicht aus. Überraschend dabei: Es handelt sich um das letzte Kapitel des von Petersen geplanten Romans. Alain Claude Sulzer zeigte sich "sehr ergriffen und begeistert" von der Geschichte, auch Mangold und Fleischanderl spendeten viel Lob. Paul Jandl war weniger angetan, und Hildegard Keller ortete eine "göttliche Besoffenheit eines auktorialen Erzählers".
Als Clarissa Stadler diese Debatte abschließend zusammenfassen wollte und als Fazit verkündete, es gebe eine ziemlich einhellige Meinung, griff der Juryvorsitzende ein. Er habe deutlichen Dissens und divergierende Ansichten gehört, zudem sei es nicht Bestandteil des Wettbewerbes, nach der Debatte Noten zu vergeben. Worauf Stadler nach dem Text von Nachfolger Andreas Schäfer erklärte, sie verzichte nun auf ein Resümee.
Texte über den Tod und aus der Physik
Schäfer präsentierte ebenfalls einen Romanauszug, "Auszeit" befasst sich mit der Verzweiflung eines Piloten, der seinen Sohn durch einen Mord verloren hat und zwischenzeitlich zu trinken befand. Während Keller sehr angetan war, monierte etwa Fleischanderl, der Text sei "pannenfrei, aber auch spannungsfrei". Jandl fehlte an dem Text die "Tiefe".
Ralf Bönts Erzählung "Der Fotoeffekt" befasst sich mit Michael Faraday und Heinrich Hertz und deren Entdeckungen auf dem Gebiet der Elektrizität, Erzähler ist dabei ein "Phonon", ein Schallteilchen. Diesen Kunstgriff wertete Keller als "tollkühn", Jandl kritisierte hingegen sprachliche Inkohärenzen. Mangold und Feßmann spendeten dickes Lob.
Ambivalente Bewertungen gab es für den Schweizer Karl-Gustav Ruch für seine Erzählung "Hinter der Wand", die Szenen aus einem Mietshaus in Barcelona und die Geräusche der Bewohner beschreibt. Während Sulzer den Text zu langatmig fand, bezeichnete Mangold ihn gar als "ehrbare Trivialliteratur". Jandl ortete versteckte Ironie, es sei ein Text der Einsamkeit, fast eine "Kammeroper".
Preisvergabe am Sonntag
Das Wettlesen findet am Samstag seinen Abschluss mit Gregor Sander, Andrea Winkler, Katharina Born und Caterina Satanik. Am Sonntag ab 11 Uhr wird über die Preisvergabe diskutiert und abgestimmt.
(APA)