Al-Qaida: Osama bin Ladens Erben melden sich zurück

Die al-Nusra-Front ist der al-Qaida-Ableger in Syrien: Sie gibt sich mitunter gemäßigter als der IS-Konkurrent.
Die al-Nusra-Front ist der al-Qaida-Ableger in Syrien: Sie gibt sich mitunter gemäßigter als der IS-Konkurrent.(c) REUTERS (STRINGER)
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Der IS verstellt mit seinen Gräueltaten den Blick auf eine zweite unheilvolle Entwicklung: Das Terrornetzwerk al-Qaida breitet sich wieder aus – und gibt sich dabei mitunter als „Wolf im Schafspelz“.

Wien. Der Krieg gegen den Terror hat sie geschwächt. Dann lief ihnen noch die Terrormiliz des Islamischen Staats (IS) den Rang ab. Der IS saugt mit seiner Gräueltaten und der Ausrufung des „Kalifats“ die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf, zieht lokale Milizen in seinen Bann, die bisher unter dem Dach von al-Qaida terrorisierten. Es wurde ruhig um die „Basis“, wie al-Qaida übersetzt heißt.

Doch im Schatten des schneller wachsenden IS breiten sich auch die Erben von Osama bin Laden wieder aus, überall dort, wo das Chaos herrscht: im scheiternden Staat Libyen, den Kriegshöllen Syriens und des Jemen, in kleineren Dimensionen auch in Afghanistan. Getrieben vom Wettstreit mit dem IS eröffnet al-Qaida auch neue Fronten, wie nun in Burkina Faso.

Der große Unterschied zum IS

Al-Qaida hat zudem aus alten Fehlern gelernt. Das Terrornetzwerk inszeniert sich ungeachtet aller Massenmorde wie jener des 11. September als gemäßigtere Variante des IS. Eine Strategie, die den Terroristen die Unterstützung der muslimischen Lokalbevölkerung bringen soll – und bisweilen aufgeht. „Es ist auffallend, dass al-Qaida in Syrien und Libyen bei der Implementierung ihrer Ideologie Rücksicht auf kulturelle Unterschiede nimmt“, sagt Lina Khatib, vormals Direktorin des Carnegie Middle East Center. „Das ist der große Unterschied zum IS, der seine Ideologie allen auf die gleiche Weise und ausschließlich mit Gewalt aufzwingt.“

Die al-Nusra-Front zum Beispiel: Der syrische al-Qaida-Ableger stellt seine fanatische Ideologie hintan, wenn es die Situation verlangt. Erfolge auf den Schlachtfeldern, etwa in der Provinz Idlib, machten die Gruppe populär und führten mitunter sogar zu losen Kooperationen mit moderaten Rebellen. „Die al-Nusra-Front hat sich so erfolgreich und so dauerhaft in der syrischen Oppositionsbewegung eingenistet, dass sie schwieriger aus Syrien zu vertreiben sein wird als der IS“, warnte der Experte Charles Lister vor Kurzem im „Spiegel“. Einen Wolf im Schafspelz nennt er die Gruppe. Denn die al-Nusra-Front soll zugleich der mittlerweile zerschlagenen Khorasan-Gruppe einen Rückzugsort geboten haben. Die Terrorzelle hat sich Berichten zufolge auf das Kerngeschäft von al-Qaida verlegt: die Planung von Anschlägen auf den Westen. Und natürlich gibt es auch unter der al-Nusra-Front Entführungen als Einnahmequelle, Träume von einem „Emirat“, die religiöse Gewalt, die aber nicht so lustvoll zur Schau gestellt wird wie durch den IS.

Schon 2013 arbeitete al-Qaida-Chef Ayman al-Zawahiri eine Art Verhaltenskodex aus, der diese Strategie andeutet: Frauen und Kinder sollten nicht getötet werden, schrieb der bärtige Ägypter an seine „Brüder“. Er warnte davor, Moscheen zu attackieren, in denen gewöhnliche Muslime beten. Auch von Angriffen auf Schiiten sollte sein Terrornetzwerk Abstand nehmen. Alles Gräueltaten, deren sich der Islamische Staat im Irak und der Levante (ISIS) rühmt, der zu diesem Zeitpunkt noch zum al-Qaida-Netzwerk gehört. Der Fokus müsse auf dem „Kopf des Unglaubens, Amerika“ liegen, forderte Zawahiri. Ein Bruch deutet sich an, der sich 2014 offiziell vollzieht: ISIS sagt sich los, wird zum IS und zimmert an seinem eigenen Terrorstaat. Zawahiri wirft den Abtrünnigen nun offen ihre Brutalität vor.

Zielgerichteter soll der al-Qaida-Terror wirken, nicht so willkürlich wie jener des IS. Am Tag nach den Paris-Anschlägen stürmten al-Qaida-Terroristen ein Hotel in Malis Hauptstadt, Bamako, und trennten die Geiseln in Christen und Muslime. Letztere ließen sie frei. Und jetzt also auch Burkina Faso. Wieder sind die meisten Opfer Ausländer, darunter ein Kind. Wieder ist der Anschlagsort ein Hotel. Wieder bekennt sich al-Qaida im Maghreb (AQIM) zu der Tat.

Doch nichts steht symbolhafter für das Wiedererstarken al-Qaidas als Berichte, wonach sich die Terrororganisation in Afghanistan ausbreitet. Ausgerechnet. Hier hatte Osama bin Laden in den Achtzigern an der Seite der Mudjaheddin gegen die Sowjets gekämpft, bevor er al-Qaida gründete. Hier zogen die USA in den Krieg, um al-Qaida vom Hindukusch zu vertreiben. Und nun wurden in Afghanistan wieder mehrere Trainingscamps des Terrornetzwerks entdeckt. „Wären diese Anlagen vor einigen Jahren aufgetaucht, sie wären sofort an die Spitze der Liste weltweiter Bedrohungen gerückt, die dem US-Präsidenten vorgelegt wird“, zitiert die „New York Times“ einen Regierungsbeamten. Doch nun gibt es die Kämpfe mit den Taliban, dem IS.

Da verkommt es auch zur Randnotiz, dass Zawahiri 2014 die Gründung von al-Qaida auf dem indischen Subkontinent verkündet hat. Eine Antwort auf das Erstarken des IS. Die al-Qaida-Filiale soll Burma, Bangladesch und Teile Indiens mit Terror überziehen, wobei ihre Schlagkraft beschränkt sein dürfte.

Der gefährlichste Ableger

Der potenteste Ableger des Terrornetzwerks wütet im Armenhaus der arabischen Halbinsel, dem Jemen. Hier wurde der Anschlag durch den „Unterhosenbomber“ Umar Farouk Abdumatullab auf ein Flugzeug nach Detroit geplant. 2010 verschickten sie von hier mit Sprengstoff präparierte Druckerpatronen, die in letzter Minute entdeckt wurden. Vor einem Jahr bekannte sich Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (Aqap) auch zu dem Angriff auf „Charlie Hebdo“ in Paris.

Und nun expandiert diese gefährlichste Terrorfiliale: Die Jihadisten nützen den Krieg zwischen der saudisch geführten Militärallianz und den schiitischen Houthi-Rebellen aus, um ihr Herrschaftsgebiet im Süden auszudehnen. Längst ist der Großteil der Provinz Hadramaut in der Hand der Jihadisten.

Als Saudiarabien diesen Monat zahlreiche al-Qaida-Extremisten tötete, drohte Aqap mit Vergeltung. Kurz darauf meldete sich auch Terrorpate Zawahiri zu Wort – und lenkte den Blick auf den Westen: „Die beste Rache für eure Brüder ist es, der Allianz der Zionisten und Kreuzzügler Schaden zuzufügen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2016)

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