Verfassungswidrig? Kampf gegen Beiträge ohne Pension

Der frühere Handelsgerichts-Präsident Rainer Geißler sieht sich im Recht auf Gleichbehandlung verletzt.
Der frühere Handelsgerichts-Präsident Rainer Geißler sieht sich im Recht auf Gleichbehandlung verletzt.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Ein ehemaliger Gerichtspräsident muss wegen Nebeneinkünften Pensionsbeiträge zahlen, die nie zu einer Pension führen werden. Jetzt ruft er den Verfassungsgerichtshof an.

Rainer Geißler hat trotz seines Ruhestands keine Ruhe. Der heute 71-jährige ehemalige Präsident des Handelsgerichts Wien hält verschiedene Seminare für Juristen und verdient damit zusätzliches Geld zu seinem staatlichen Ruhebezug. Weil er für die Zusatzeinkünfte Pensionsbeiträge zahlen muss, die nach menschlichem Ermessen niemals zu einer höheren oder zusätzlichen Pension führen werden, gibt Geißler auch keine Ruhe: Er hat sich an den Verfassungsgerichtshof (VfGH) gewandt und bekämpft dort die Vorschreibung der Pensionsbeiträge.

Geißler war viele Jahre Richter am Handelsgericht; von 2002 bis 2010 war er dessen Präsident. Mit seinen Einkünften aus selbstständiger Tätigkeit als Vortragender überschritt er im Jahr 2013 die Versicherungsgrenze von damals 4641,60 Euro. Die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft schrieb ihm deshalb monatliche Pensionsbeiträge von 157,84 Euro vor. Eine Gegenleistung ist dafür nicht in Sicht: Nach Geißlers Berechnungen müsste er bis ins Alter von 85 und mehr Jahren ausreichend verdienen, um überhaupt einen Pensionsanspruch zu erwerben.

Solidarität vor Äquivalenz

Geißler beschwerte sich dagegen beim Bundesverwaltungsgericht. Ohne Erfolg: Die zuständige Richterin wies seinen Antrag ab; außerdem stellte sie fest, dass auch ein Zuschlag von 14,68 Euro fällig sei. Die Richterin berief sich auf eine lange bestehende VfGH-Rechtsprechung, die das beklagte Ungleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung zu decken scheint.

Die Argumentation des Höchstgerichts: Die Pflichtversicherten in der Sozialversicherung seien eine Solidaritätsgemeinschaft, bei der der Versorgungsgedanke im Vordergrund stehe. Dabei sei eine Äquivalenz zwischen Beitrag und Leistung keineswegs zwingend; in Einzelfällen könne es passieren, dass trotz bestehender Pflichtversicherung keine Leistung anfalle. Das will Geißler nicht hinnehmen. Er beruft sich vor dem VfGH auf den Gleichheitsgrundsatz, der mit seiner einseitigen Belastung verletzt werde. Von einer fehlenden Äquivalenz, also Gleichwertigkeit, könne in seinem Fall keine Rede sein, weil er nicht bloß weniger bekommt, als er einzahlen soll, sondern rein gar nichts. „Dass aber der Versicherte eine erhebliche Leistung zu erbringen hat, während von Haus aus feststeht, dass die Leistung der Gegenseite null beträgt, kann nicht mit fehlender Äquivalenz abgetan und daher vom Gesetzgeber redlicherweise auch nicht zum Gesetzesinhalt gemacht werden“, schreibt Geißler in seiner Beschwerde.

Zweifelhafter Präzedenzfall

Einmal hat der VfGH ein Missverhältnis zwischen Pflichtbeiträgen und gesetzlichem Ausschluss einer Leistung behoben, allerdings auf eine Weise, die Geißler nicht hilft. Der Gerichtshof stellte 2001 fest, dass das Arbeitslosenversicherungsgesetz in unsachlicher Weise Pensionsbezieher nicht von der Arbeitslosenversicherungspflicht ausnimmt, obwohl dasselbe Gesetz ausdrücklich ausschließt, dass ein solcherart versicherter Pensionist je Arbeitslosengeld beziehen kann. Als Folge wurde aber nicht die Beitragspflicht gekippt, sondern die Passage im Gesetz, die jede Gegenleistung ausschließt. Geißler sieht darin eine bloß formale Auflösung des Widerspruchs, mit der keinem Versicherten gedient gewesen sei.

Ob Geißler mit seiner Beschwerde mehr erreichen wird, ist derzeit nicht abzusehen. Der VfGH ist freilich nicht die letzte Instanz, an die er sich wenden könnte: Es gibt auch noch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, der eine dynamische Judikatur zum Sozialversicherungs- und Pensionsrecht entwickelt hat. Im Fall Klein gegen Österreich hat er 2011 ausgesprochen, dass die Zwangszugehörigkeit zu einem Alterspensionssystem in einer Berufsorganisation (Rechtsanwälte) und die Leistung von Pensionsbeiträgen eine berechtigte Erwartung begründen könne, Pensionsbezüge zu erhalten. Das Pensionsrecht sei daher vom Eigentumsrecht geschützt. Eingriffe sind nicht grundsätzlich verboten, müssen aber einen „gerechten Ausgleich“ schaffen und seien am Diskriminierungsverbot zu messen.

AUF EINEN BLICK

Arbeit im Ruhestand. Pensionisten, die im Ruhestand etwa als Autoren oder Vortragende nennenswerte Einkünfte erzielen, müssen dafür Pensionsbeiträge in der Gewerblichen Sozialversicherung zahlen. Während GSVG-Pensionisten in der gleichen Situation mit einer Erhöhung ihrer Pension rechnen können, müssten Beamte noch viele Jahre arbeiten, um neben dem gesetzlichen Ruhebezug erst einen Pensionsanspruch zu erwerben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2016)

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