Morales für immer und ewig?

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BOLIVIA-MORALES-TIWANAKU-CEREMONYAIZAR RALDES / AFP / picturedesk.com
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Sein Mandat gilt noch für vier Jahre, doch Boliviens Präsident, Evo Morales, seit 2006 im Amt, will sich schon jetzt noch eine Amtszeit genehmigen lassen. Aber er riskiert ein Eigentor.

Zwei Buchstaben und ein Apostroph sollen den Weg in Boliviens Zukunft weisen. Ein „S“ und ein „í“, gepinselt in optimistischem Grün an Hauswände, Felsen, Laternen, Strommasten, sogar auf die Rinnsteine der Landstraßen des Andenhochplateaus.

„Sí“ steht auf T-Shirts, Baseballkappen, Abziehbildern und den Schachteln billiger Barbiepuppen-Imitate, die im tropischen Departamento Beni verteilt wurden. Dieses „Ja“, grafisch eingebettet in einen Pfeil, der an das Play-Symbol elektronischer Geräte erinnert, soll die Bolivianer motivieren, am Sonntag die Verfassung des Landes zu ändern. Die Frage dazu lautet: „Sind sie einverstanden, dass Präsident und Vizepräsident zweimal nacheinander wiedergewählt werden können?“ Und für alle, denen das zu technisch ist, haben die Anstreicher der Regierungspartei an vielen Stellen noch drei weitere Lettern dazugepinselt: EVO.

Es geht um mehr als Paragrafen. Es geht um Evo Morales. Um Zukunft, Macht und Staatsmodell des ersten indigenen Präsidenten Südamerikas. Im Jänner feierte der 56-Jährige zehn Jahre im Amt, er ist der am längsten regierende Staatschef Boliviens. Und obwohl 2014 mit mehr als 60 Prozent für fünf weitere Jahre gewählt, möchte er nun gewährleisten, 2019 wieder antreten zu dürfen. Als Morales' Movimiento al Socialismo (MAS) diesen Gesetzesprozess im Oktober lostrat, lag die Zustimmung bei 70 Prozent. Doch nun sagen alle Institute ein knappes Resultat voraus. Erstmals seit 2005 geht Morales nicht als Sieger zur Urne. Und er muss, trotz über alle Kanäle verbreiteter Zuversicht, über einen Plan B nachdenken.

Alte Versprechen. Nirgends wird das deutlicher als an dem Ort, der seit bald 500Jahren Symbol ist für alles, was falsch läuft im Süden Amerikas. Serpentine um Serpentine zieht sich die Nationalstraße 1 in die Höhe und umkurvt jenen magischen Kegel, der die Welt veränderte. Der Cerro Rico, der reiche Berg von Potosí, „aus dessen fünf Stollenmündungen jahrhundertelang der Reichtum rann“, so Eduardo Galeano in seinem legendären Buch „Die offenen Adern Lateinamerikas“.

Potosí, jene Stadt aus Staub unter einer Sonne ohne Erbarmen, in der bis heute ganze Familien Zink und Zinn aus dem zerschundenen Cerro kratzen, hatte einst größte Hoffnungen gesetzt in Präsident Morales, jenen Mann aus ärmstem Haus, der „erst mit 14 Jahren Unterwäsche kennenlernte“, wie eine Autobiografie 2014 preisgab. Potosí, nach fünf Jahrhunderten Ausplünderung immer noch reich an Bodenschätzen, glaubte an das Versprechen des Regierungschefs, endlich von der Mine zur Manufaktur aufzusteigen. Der immense Salzsee von Uyuni, der die mächtigsten Reserven des Batterie-Leichtmetalls Lithium birgt, soll, so gelobt Morales bis heute, das industrielle Herz des Landes werden.

„Das hören wir seit Jahren“, sagt Alicia Mamani, die mit Mutter und Tante an der Plaza Limonade und Punsch anbietet. Gegenüber liegt die Casa Nacional de la Moneda, wo die Spanier Silbermünzen prägen ließen, daneben die Kathedrale, die größte der vielen Kirchen Potosís und eine der wenigen, die offen sind. „Hier hat sich nichts getan“, sagt die 30-Jährige. „Was nutzt es uns, dass wir einen Indigenen als Präsidenten haben, wenn das Krankenhaus noch keinen Computertomografen hat? Das ist eine Bergwerksstadt, in der ständig Unfälle passieren! Der Reichtum, den wir fördern, geht nach La Paz oder ins Ausland.“

Arme wenden sich ab. 59,7 Prozent der Bevölkerung des Departamentos leben unter der Armutsgrenze. Die offenen Adern Potosís verströmen Mineralien und Menschen, täglich verlassen Junge die Region. Im Juli marschierten Tausende Potosinos 500 Kilometer weit bis zum Palacio Quemado In La Paz. Doch Hausherr Morales ließ sie nicht ein.

Mamani wird am Sonntag „No“ ankreuzen. 2015, bei einem anderen Referendum, votierte das Departamento Potosí mit 90 Prozent gegen die Regierung. Dann verlor der MAS den Gouverneursposten in La Paz und die Bürgermeisterwahl in El Alto, dem zur Millionenstadt gewachsenen Elendsviertel auf dem Hochplateau oberhalb des Regierungsortes. Neue Alliierte fand Morales ausgerechnet in den einst rebellischen Departamentos im Tiefland: Pando, Beni, und Santa Cruz. Dort wird er vermutlich ein „Sí“ einfahren. Morales, als langjähriger Gewerkschaftsführer das Verhandeln gewohnt, fand längst ein für alle lukratives Auskommen mit Viehzüchtern und Sojabaronen.

„Con Evo vamos bien“, mit Evo geht's uns gut – so sein Slogan. Sein Hauptargument: die solide Wirtschaft. Um 3,9 Prozent soll sie heuer wachsen. Doch das Wachstum tragen nicht mehr die Exporte aus Gas, Öl und Mineralien, deren Erträge um 30 bis 40 Prozent sanken, sondern der Staat. Denn anders als seine taumelnden Kollegen, Nicolás Maduro in Venezuela oder Rafael Correa in Ecuador, kann Morales, der konservativer wirtschaftete als der Rest des „roten Amerika“ und große Devisenreserven anhäufte, aus eigener Kraft den Konsum anheizen. Da das nicht ewig funktioniert, warb er im Oktober, nachdem er dem Papst ein aus Hammer und Sichel gebautes Kreuz geschenkt hatte, in New York um Investments. Die „Financial Times“ kürte ihn zum erfolgreichsten Sozialisten der Welt.

„Morales ist eher Neopopulist“, sagt Germán Gutierrez. Der Jurist war sozialistischer Abgeordneter im Parlament und zweimaliger Bürgermeister der Hauptstadt Sucre, 150 Kilometer unterhalb Potosís. „Morales vertritt manchmal linke, manchmal gemäßigte, manchmal rechte Positionen. Tatsächlich hat das MAS-Modell faschistoide Züge mit Führerkult, Einheitsdiskurs, Einflussnahme auf Medien. MAS ist keine Partei, sondern eine strikt organisierte Korporation aus sozialen Bewegungen. Intern gibt es keine Diskussion.“

Von wegen indigene Überlegenheit. In dem Doppelsystem – Morales und sein Vize steuern seit MAS-Anbeginn Partei und Staat – sehen viele den Grund für das jetzige Referendum. Als Morales antrat, hieß eine Maxime: „Hay hartos Evos por aqui“ – hier gibt es unzählige Evos. Doch jüngst sagte Außenminister David Choquehuanca: „Es gibt nur einen Fidel, einen Gandhi, einen Mandela, einen Evo.“ Doch dessen Strahlkraft verblasst: Nach einem Korruptionsskandal beim Förderfonds für indigene Landwirtschaft sind dessen Managerinnen, Vertraute von Morales, in Haft. Doch die Ministerin, verschwägert mit Morales, blieb verschont. Der Skandal hat Symbolik, da er die von Morales postulierte „moralische Überlegenheit der Urvölker“ widerlegt. Mindestens 40 Mio. Dollar rannen auf Privatkonten von Personen im MAS-Umfeld.

Lügen über Liebesaffäre. Vor zwei Wochen wurde noch eine Affäre publik: Zwischen 2005 und 2007 traf sich Morales heimlich mit MAS-Aktivistin Gabriela Zapata, die schwanger wurde. Nun sagt er, das Kind sei nach der Geburt gestorben, er habe Zapata nicht mehr gesehen. Doch dann wurde publik, dass sie inzwischen im Management einer chinesischen Firma Geschäfte mit dem bolivianischen Staat macht. Und es kam ein Foto ins Internet, auf dem Morales und Zapata gemeinsam in die Kamera lächeln. Das war im heurigen Karneval.

„Das ist das erste Mal in zehn Jahren, dass Morales persönlich angegriffen wird“, sagt Gutierrez. Dennoch glaubt er, wie viele, dass Morales, dank des großen Einflusses des MAS auf das Landvolk, ein knappes Ja erhalten wird. „Doch der Nimbus ist dahin. Die nächsten Jahre werden kompliziert.“

Steckbrief

Evo Morales Ayma
(*26. Oktober 1959 in Isallawi, Bolivien) ist seit Jänner 2006 Präsident Boliviens und gleichzeitig erster indigener Staatschef in Südamerika. Er führt die sozialistische Partei Movimiento al Socialismo (MAS) und tritt speziell für die Rechte der
Koka-Bauern ein. Bei den Wahlen von 2009 und 2014 erreichte er jeweils deutlich über 60 Prozent.

Modisch fällt Morales selbst bei offiziellen Anlässen oft durch bunte Pullover (Chompas) und eine lässige traditionelle Lederjacke (Chamarra) auf.

Trotz aller Unkenrufe konnte Morales, dessen Linkskurs weit moderater ist als jener in anderen Staaten Südamerikas (etwa in Venezuela) – der zum Teil regelrecht kapitalistisch gefärbt ist –, den Mitte der Nullerjahre befürchteten Zerfall Boliviens verhindern. Das gelang etwa durch Zugeständnisse und Deals mit den Mächtigen der reicheren Provinzen im Tiefland, die
lange mit Abspaltung gedroht hatten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2016)

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