Trends 2016: Die Welt im Umbruch

Big Data, Globalisierung, demografischer Wandel und nachhaltige Ökonomie: vier gesellschaftliche Megatrends, und wie sie die Immobilienbranche verändern werden.

Vom Beginn der digitalen Zeitrechnung bis zum Jahr 2003 hat die Welt fünf Exabyte (10 hoch 18 Byte) an Daten generiert. 2011 wurde diese Menge an Daten alle zwei Tage produziert, 2013 brauchte es dafür nur noch zehn Minuten, 2015 noch ganze fünf Sekunden. Big Data lautet das Schlagwort zu Beginn des dritten Jahrtausends. Gemeint sind nicht nur riesige Datenmengen, sondern auch deren Komplexität und die Geschwindigkeit, mit der sie sich im Zeitalter der Digitalisierung erneuern.
„Vor dem Internet war Wissen eine exklusive Macht, die gern im Sinne des Wettbewerbsvorteils geschützt wurde. Heute ist Wissen überall und jederzeit zugänglich, durch Verlinken verzweigbar und in seiner Ausdehnung unkontrollierbar“, stellt der US-amerikanische „Internetphilosoph“ David Weinberger fest. Die Conclusio, die er zieht: „Unser bisheriges Konzept von Wissen ist nutzlos geworden. In Zukunft werden jene zu den Gewinnern zählen, die aus dem unendlichen Datenpool die richtigen Schlüsse ziehen.“

Wer die Zukunft kennt

„In Zeiten der durch die mobile Revolution vorangetriebenen Vernetzung des digitalen Nervensystems gewinnt die Prognose die Oberhand über die bloße Diagnose“, sagt der österreichische Medien- und Kulturmanager Rudolf Klausnitzer in seinem Buch „Das Ende des Zufalls“. Die sogenannte Predic­tive Analysis ermöglicht künftig, bereits im Vo­raus zu wissen, was die Kunden wollen. Für Unternehmen, die diesen Informationsvorsprung nutzen, ergeben sich daraus neue Business-Modelle. „Wer die Zukunft kennt, dem gehört sie“, so Klausnitzer.


Für die traditionell analog aufgestellte Immobilienbranche ist damit ein dramatischer Wandel eingeläutet. Schnittflächen der Branche mit Big Data gibt es genug. Es gilt, sie zu erkennen und zu nutzen. „Wenn auf Gebäudeebene große Mengen an technischen Daten aufgezeichnet und in Echtzeit analysiert werden, kann etwa die Energieeffizienz erheblich beeinflusst werden. Daraus folgen beträchtliche Kostenminderungen für Betreiber“, nennt Thomas Beyerle, Group Head of Research der Immobiliengesellschaft Catella, ein Beispiel. Auf Marktebene können laut Beyerle Finanz-, Investment- und Marktdaten, ähnlich wie bei Big-Data-Anwendungen im Finanzsektor, unterstützend zur Kaufentscheidung und Risikoeinschätzung verwendet werden. Auf Dienstleistungsebene ermöglichen transparente Kundenprofile ein verbessertes und auf den Klienten zugeschnittenes Angebot des Kundenservice.
Apropos Kundenservice: Wie stark wird die digitale Revolution jene Immobilienteilbranchen verändern, die bis dato besonders auf Face-to-Face-Kontakte aufgebaut waren? Fürchten etwa Immobilienmakler, dass sie von privaten Käufern immer seltener zurate gezogen werden und die Neukundengewinnung zunehmend schwieriger werden könnte? Margret Funk, österreichische Immobilienunternehmerin und -sachverständige seit mehr als 30 Jahren, verneint. „Selbst wenn alle Infos online sind: Ein Haus, eine Wohnung oder ein Büro muss immer noch ,erfühlt‘ werden. Das kann nur auf direktem Weg passieren, und da ist der Makler persönlich gefragt. Die gesamte Begleitung des Kunden während des Ankaufs oder Anmietungsvorganges bleibt beim ,lebendigen‘ Maklerpartner.“

Grenzenlose Konsequenzen

Ist von der ­Digitalisierung der Welt die Rede, fällt zwangsläufig das Stichwort der Globalisierung. Das gilt für die Wirtschaft im Allgemeinen und den Immobiliensektor im Besonderen. „Die Globalisierung hat die Immobilienwirtschaft und -märkte zunehmend erfasst. In allen Wertschöpfungs­ketten hat der Einfluss von Marktakteuren aus anderen Ländern qualitativ und quantitativ zugenommen“, sagt Günter Vornholz, Professor für Immobilienökonomie an der EBZ Business School Bochum und Autor des 2015 erschienenen Buches „Internationale Immobilienökonomie: Globalisierung der Immobilienmärkte“. Von Projektentwicklungen über Nutzermarkt und Investmentmarkt bis hin zu verschiedenen Immobiliendienstleistungsmärkten seien die Folgen der Globalisierung festzu­stellen.
Internationale Player und Usancen kommen ins eigene Land und verändern den Wettbewerb, die Geschäftsmodelle und die Spielregeln auch in den Heimatmärkten. Zugleich erhöhen sich Markttransparenz und Gesamtangebot. Das damit ansteigende Vermögen lässt wiederum die wirtschaftliche Bedeutung des Immobiliensektors innerhalb einer Volkswirtschaft anwachsen. Durch die zunehmende Globalisierung der Immobilienmärkte werden zudem die mehrsprachige Kommunikation und das grenzüberschreitende Know-how in technischen oder rechtlichen Fragen zu wichtigen strategischen Herausforderungen.
„Zwar können Immobilien nicht ex- oder importiert werden, wohl aber werden Dienstleistungen oder Eigentumsrechte von Immobilien international gehandelt“, bringt Vornholz die internationalen Aktivitäten auf den Punkt. Die davon ausgehenden Impulse treffen freilich nicht alle Märkte gleich. Auch in Zukunft werde es weiterhin stark lokal orientierte und gleichzeitig stark globalisierte Märkte, wie zum Beispiel die Investmentmärkte, geben. Ähnlich wie bei der Digitalisierung gilt auch in Sachen Globalisierung: Unternehmen, die lokales Wissen mit transnationaler Kompetenz vereinen, sollten künftig zu den Gewinnern gehören.

Silver und Single

Die aktuelle demografische Entwicklung ist laut Experten ein weiterer Megatrend, der den Immobiliensektor in Zukunft massiv betreffen wird. Einfluss nehmen dabei nicht nur die Alterung der Weltbevölkerung, sondern auch die Ab- und Zuwanderungsbewegungen. „Die Entwicklung der Bevölkerungszahlen verläuft regional unterschiedlich. Ursächlich hierfür sind vor allem Binnenwanderungen aus ökonomisch schwächeren Regionen hin zu wirtschaftlich stärkeren; insbesondere Agglomerationsräume gewinnen“, lautet eine der Erkenntnisse einer Studie (aus 2015, Schwerpunkt ­Wohnimmobilien in Deutschland) der Universität ­Regensburg (IREBS) zu den Implikationen der demografischen Entwicklung.
Mit der Einwohnerzunahme in gefragten Städten (siehe auch Seite 20) und der altersbedingten Veränderung der Bevölkerungsstruktur ändern sich die Wohnbedürfnisse – und somit die Anforderungen an die Immobilienbranche. „Die quantitative Nachfrage nach Wohnflächen wird nach gängigen Vorausberechnungen zumindest noch etwa 20 Jahre zunehmen“, sagt Tobias Just, wissenschaftlicher Leiter und Geschäftsführer der IREBS Immobilienakademie. Mehrere Gründe zeichnen dafür verantwortlich. Zum einen altern Menschen überwiegend in jenen Wohnungen, die sie bereits mit etwa 50 Jahren bewohnt haben. Sind die Kinder ausgezogen und Lebenspartner zum Teil gestorben, fällt die Wohnfläche pro Kopf in Seniorenhaushalten vergleichsweise hoch aus. Bei steigendem Anteil der Personen in der Altersgruppe 65 plus wird die mittlere europäische Haushaltsgröße von aktuell rund zwei Personen je Haushalt in den nächsten Jahrzehnten auf deutlich unter zwei Personen sinken.
„Der demografische Wandel hat spürbar an Zugkraft gewonnen. Die Nachfrage nach Wohnungen in Ballungszentren steigt ebenso wie die Tendenz hin zu kleineren Wohnungen“, sagt auch Matthias Ortner, Autor der aktuellen ­Advicum-Consulting-Studie „Immobilientrends 2030“. Die Entwicklung zur Silver Society erhöhe den Bedarf nach altersgerechten und barrierefreien Wohnmöglichkeiten. Und der Trend in Richtung zunehmender Individualisierung, weg von der klassischen Familienform, endet in einer starken Zunahme von Singlehaushalten. Die Bauwirtschaft wird auf diese Veränderungen mit Wohnneubauten und Infrastrukturschaffung reagieren müssen.

Immobilien als Kraftwerke

Reaktionen verlangt im Zeitalter der Nachhaltigkeit der Umstand, dass Immobilien punkto Ressourceneinsatz und des damit verbundenen CO2-Ausstoßes immer noch als die größten Umweltverschmutzer auf der Erde gelten. Angebot und Nachfrage bei ökologisch konzipierten Wohn- und Bürogebäuden werden sich verstärken. Ist heute noch das Passivhaus in aller Munde, so könnte es morgen schon das Plus-Energie-Haus sein, das mehr Energie produziert, als es verbraucht. „Plus-Energie heißt: 100 Prozent regenerative Energieversorgung und emissionsfreier Betrieb. Zusätzlich wird ein Plus an sauberem
Solarstrom an das öffentliche Netz abgegeben“, erklärt dazu der deutsche Architekt Rolf Disch, der mit dem Bau des weltweit ersten Plus-Energie-Hauses (Heliotrop, 1994, Freiburg) als einer der Pioniere in diesem Bereich gilt.
Mittlerweile wird in größerem Maßstab gedacht, wie das Beispiel eines Projektes in der französischen Stadt Lyon zeigt. Errichtet wurde ein Gebäudekomplex mit einer Gesamtfläche von 13.000 Quadratmetern, der als größtes Plus-Energie-Gebäude der Welt gilt. „Die Energieerzeugung wird den Gebäudeverbrauch um
0,2 Prozent übersteigen“, heißt es seitens der Agentur für Wirtschaftsförderung der Metropole Lyon, Aderly. Der Einsatz von modernster Technik macht es möglich.
Einen wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit wird auch die Vernetzung von Gebäuden mittels intelligenter Zähler (Smart Meter) leisten. Wenn Sensoren Gebäude und die Nutzer in ihrem Energieverhalten „belauschen“ und immer mehr Daten durch immer bessere Analyseprogramme ausgewertet werden, wird permanentes Energie-Controlling zum Standard – mit dem Ziel, Nachhaltigkeit wirtschaftlich wie ökologisch in die Planung von Immobilien zu implementieren. Eine Frage von Big Data; womit sich der Kreis der Megatrends, die die Immobilienwirtschaft vor sich hertreiben, schließt.

Dieser Artikel stammt aus dem Magazin "Immobilien. Trends. Entwicklungen. Herausforderungen", erschienen am 6.2.2016 als Beilage der "Die Presse"

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