Frankreich sperrt sich gegen rasche Visafreiheit für Türken, Zypern will nicht über den türkischen EU-Beitritt verhandeln, Spanien hält Massenabschiebungen syrischer Flüchtlinge für menschenrechtswidrig.
Brüssel. Einsatz in Nikosia: Am heutigen Dienstag wird Ratspräsident Donald Tusk in Zypern erwartet, um mit Staatschef Nikos Anastasiades über den avisierten Deal mit der Türkei zur Lösung der Flüchtlingskrise zu sprechen. Ursprünglich hätte Tusk heute den Fraktionsvorsitzenden im Europaparlament einen Besuch abstatten und anschließend mit Parlamentspräsident und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker dinieren sollen, doch Samstagnachmittag wurde der Terminplan des Polen umgepflügt. Auf dem Spiel steht nämlich der Erfolg des für Donnerstag und Freitag angesetzten EU-Gipfels. Trotz der Tatsache, dass Deutschlands Kanzlerin, Angela Merkel, das Abkommen mit Ankara mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln forciert, wird die Zahl der Skeptiker nicht kleiner – im Gegenteil.
Große Bauchschmerzen mit dem angepeilten Abkommen hat der Zypriote Anastasiades. Immer noch erlaubt Ankara zypriotischen Schiffen nicht, Häfen in der Türkei anzusteuern, als Reaktion blockiert Nikosia die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Der Eindruck, Europa sei von ihm in der Flüchtlingsfrage abhängig, dürfte den türkischen Staatschef, Recep Tayyip Erdoğan, in seiner Unnachgiebigkeit bestärkt haben – die Eröffnung weiterer Verhandlungskapitel gehört zu den Zusagen, die Ankara im Gegenzug für die Rücknahme aller in Griechenland ankommenden Flüchtlinge gemacht wurde. Ende vergangener Woche sagte Anastasiades, er werde sich zu nichts zwingen lassen – Tusks Mission dürfte also darauf abzielen, ein zypriotisches Veto abzuwenden.
Skepsis in Spanien
Wären die Zyprioten die einzigen Neinsager, stünden die Erfolgsaussichten gut. Doch Widerstand regt sich neuerdings auch in Madrid. Spaniens Außenminister, José Manuel Garcia-Margallo, warnte gestern davor, Flüchtlinge pauschal abzuschieben – was integraler Bestandteil des Pakts mit Ankara ist. Nach einem Bericht der Tageszeitung „El País“ hält die Mehrheit der spanischen Parlamentsabgeordneten dies für menschenrechtswidrig – und Menschenrechte sind für Madrid nach den Worten von Garcia-Margallo „nicht verhandelbar“. Dieselbe Ansicht teilt übrigens Nils Muižnieks, der Menschenrechtskommissar des Europarats: „Die automatische Zwangsabschiebung ist illegal“, so Muižnieks gegenüber der „New York Times“.
Auch Deutschlands wichtigster EU-Partner, Frankreich, hat ernsthafte Bedenken, wenn auch aus einem anderen Grund: Staatspräsident François Hollande kündigte am Samstag an, dass es „keine Zugeständnisse im Bezug auf Menschenrechte oder die Kriterien zur Visaliberalisierung“ geben werde – für die türkische Regierung ist die Abschaffung der Visapflicht für Türken in der EU spätestens Ende Juni das wichtigste Anliegen, von den dafür benötigten 72 Kriterien hat Ankara rund die Hälfte umgesetzt.
Ein fundamentaleres Problem ist hingegen die französische Weigerung, bis 2018 mehr als 30.000 Flüchtlinge aufzunehmen. Die EU-Staats- und Regierungschefs haben sich bei ihrem Sondertreffen vergangene Woche darauf geeinigt, dass die Neuansiedlung syrischer Flüchtlinge in Europa „im Rahmen der bestehenden Verpflichtungen“ erfolgen soll. Diese belaufen sich auf insgesamt 160.000 Personen – in der Türkei halten sich derzeit allerdings 2,7 Millionen Syrer auf. Die EU müsste also die Verteilung von weiteren Hunderttausenden Flüchtlingen beschließen, damit der Pakt hält – dass sich im Rat eine Mehrheit dafür findet, gilt als wenig wahrscheinlich. Ursprünglich wollte die EU-Kommission am morgigen Mittwoch ihre Überlegung zur Flüchtlingsverteilung präsentieren. Wie es gestern in Brüssel hieß, könnte diese Präsentation verschoben werden. (la)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2016)