Heinz Zuber: "Sie sind nur der Enrico, mein Gott!"

(c) HERBERT PFARRHOFER / APA / pictu (HERBERT PFARRHOFER)
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Ein Gespräch mit dem Burgschauspieler über seinen anstehenden 75. Geburtstag, das Leben als ewige Fernseh-Kultfigur, die Maske der traurigen Clowns oder Kindheitserinnerungen, etwa an die eigene Flüchtlingsgeschichte.

Sie werden am Donnerstag 75 Jahre alt. Zugleich erscheint Ihr Buch, eine Art Memoiren. Wie ist es Ihnen beim Schreiben gegangen?

Heinz Zuber: Das Angebot vom Verlag hatte ich schon beim 70er, da hab ich gedacht, Quatsch, warum soll ich ein Buch schreiben. Voriges Jahr dachte ich dann, jetzt würde ich gern. Wie das Schreiben war? Gut! Aber am Anfang sind mir nur die grässlichen Sachen eingefallen. Die, bei denen ich das Gefühl hatte, man hat mir etwas angetan.

Diesen Eindruck hätte man gar nicht.

Ich bin normal auch nicht so! Dann hab ich gedacht: Bist du ein bisserl blöd? Ich hab mich dann am Riemen gerissen und gesagt: Denk an alles, was schön war in deinem Leben. Und es war so vieles schön. Ich hab, mein Gott, das darf man gar nicht sagen, ich hab nichts wirklich Schreckliches erlebt. Unangenehme Dinge natürlich, wie jeder. Vorige Woche zum Beispiel ist mein Hund gestorben. Die Rikki, ein Dackel. Sie war schon 16. Aber sie war ja eine Dame, ich hab sie immer ein paar Jahre jünger gemacht, wenn Leute gefragt haben. Als ich jung war und gar kein Geld hatte, wusste ich schon, irgendwann hab ich ein Haus und einen Hund. Viele Dinge, die ich mir als Junger vorgestellt habe, haben sich dann fast von selbst erfüllt.

Auch die Karriere? Sie waren am Burgtheater, an der Josefstadt. Aber dann – die Frage nervt Sie vermutlich schon – . . .

. . . dann sind Sie der Enrico und Sie werden immer nur auf den Enrico reduziert! Mein Gott! (schlägt sich mit der Hand auf die Stirn, alle lachen). Mein Gott, ist das furchtbar! Ich fühl mich nicht reduziert. Ich bin ja keine Sauce.

Also ein Missverständnis, dass die Clown-Rolle einen Schauspieler quasi abwertet?

Nein, nein, ich liebe es. Das ist alles schön. Welche Rolle spielst du 28 Jahre lang, wenn du sie nicht gern machst? Ich wär blöd, wenn ich mich genieren würd. Ich habe das geliebt, ich habe auch selbst geschrieben, ich konnte kreativ sein als Enrico, weil die Auftritte unglaublich funktioniert haben. Wenn ich auf die Bühne gekommen bin, sind dem Enrico die Herzen zugeflogen.

Das ist noch immer so. Wenn man erzählt, ich treffe den Enrico, da werden viele ganz sentimental. Woran, glauben Sie, liegt das?

Ich weiß! Das ist so schön. Die Idee war, dass Enrico das zu belehrende Kind ist. Einer, der in dieser pädagogischen Sendung vormacht, wie man es nicht macht, wie man sich irrt, Blödsinn anstellt. Es war Absicht, dass er dümmer ist als die Kinder, damit sie intelligenter sein können. Am Ende hat er doch alles verstanden, singt ein Lied, und alles ist gut. Das war mit ein Grund, dass ich „Am dam des“ gemacht habe, reinen Klamauk hätte ich abgelehnt. Es war wichtig, dass Enrico intelligente Menschen als Partner in der Sendung hat, so konnte er verrückt und blöd sein.

Würde die Rolle heute noch funktionieren?

Ja, das weiß ich zu 100 Prozent. Nachdem im Fernsehen mit Enrico Schluss war, hab ich ihn noch fünfmal gespielt. Bei den Kinderfestspielen in Herzogenburg etwa waren Kinder, die mich nicht kannten, und es hat toll funktioniert.

Haben Sie als Kind denn Clowns gemocht?

Nein, überhaupt nicht. Diese Bienchen-gib-mir-Honig-Nummern im Zirkus mit Spucken und so, das fand ich grauslich. Aber ich hab einen Clown gesehen, als Kind, den Grock, den fand ich grandios.

Der Psychiater und Suizid-Forscher Erwin Ringel war ein großer Förderer Enricos. Er soll gesagt haben, Enrico habe mehr für die Kinderseele getan als alle Kinderpsychologen zusammen. Sie kannten Ringel gut, was hat er im Enrico gesehen?

Das ist ein Zitat, auf das ich sehr stolz bin, und alle Psychologen werden sauer sein! (Lacht.) Er hat gesehen, wie ich auf Kinder wirke. „Sie werden ja so geliebt“, hat er mir immer gesagt. Was der Clown auslöst, kann ich nicht sagen. Aber ich glaube, dass da Empathie ist, dass er positiv ist. Ein erwachsener Mann hat mir geschrieben, für ihn, der es als Kind nicht leicht hatte, war der Enrico ein Hoffnungspunkt, einer, der ihm sagte: „Halt aus, wird schon weggehen.“ Ich hab zurückgeschrieben: „So hab ich es gemeint. Keiner hat ein nur schönes Leben. Man darf sich nicht runterziehen lassen. Es geht ums Wiederaufstehen.“

Es gibt das Bild vom traurigen Clown. Trifft das auf Sie zu?

Ja, da ist etwas dahinter. Ein Clown überspielt seine Traurigkeit. Ich erzähle Ihnen eine Geschichte: Bosnien-Krieg, die Zeit des Massakers von Srebrenica. Ich hatte eine bosnische Familie in meinem Haus einquartiert. Die Familie war aus Srebrenica, der Vater war noch dort, und die Kinder haben ein Bild von ihrem Vater auf einem Lastwagen gesehen. Die ganze Familie war in . . . Trauer ist kein Ausdruck, in tiefer Depression. Da gab es einen Buben, Ado, er hat gemerkt, wie traurig alle sind, und hat geblödelt und versucht, sie zum Lachen zu bringen. Und es ist ihm gelungen!

Denken Sie, dass ein Clown in einer wirklich verzweifelten Situation hilfreich sein kann?

Ja, sicher. Die CliniClowns arbeiten auf der Basis. Dann gibt's andere Beispiele: Jerry Lewis hat mit „Der Tag, an dem der Clown weinte“ einen wundervollen, nie veröffentlichten Holocaust-Film gemacht. Er hat gesagt, Benigni habe mit „La vita è bella“ die Idee gestohlen.

Hilft einem die Clownmaske auch selbst?

Ja, ich hab manchmal auch, wenn mich etwas geärgert hat, das als Clown lustig verarbeitet, mich auch einmal gerächt. Ich konnte Dinge schreiben, mich abreagieren. Ein Beispiel, als der Peter Zadek mir als Kritik sagte: „Mensch, ich versteh dich immer“, da hab ich ein Lied geschrieben: „Deutlich sprechen! Immer klar und deutlich sprechen . . .“

Sie haben die Bosnien-Flüchtlinge angesprochen, Sie sind damals für Flüchtlingskinder aufgetreten. Haben Sie einmal angedacht, den Enrico heute zu reaktivieren?

Das mir den Bosnien-Flüchtlingen war Claus Peymanns Idee. Diese Flüchtlinge haben alle dieselbe Sprache gesprochen, ich hab das Programm phonetisch auf Serbokroatisch gelernt. In welcher Sprache willst du das heute machen? Meiner Meinung nach wäre es aufdringlich, das heute zu machen. Wenn ich sage: Komm, ich mach dir jetzt den Clown, da hätte ich Bedenken.

Im Buch schreiben Sie, dass Sie angesichts des heutigen Flüchtlingselends wieder oft an Ihre eigene Fluchtgeschichte denken.

Es muss eine nicht so angenehme Flucht gewesen sein. 1944 mussten meine Mutter und ich vor den Alliierten flüchten. Ich kann mich erinnern, dass die Leute Angst hatten, an die Bombardements und das Feuer. Wir mussten über eine Straße rennen, die unter Beschuss war. Meine Erinnerung an die Flucht ist aber auch schön. Ich habe in der Schweiz zum ersten Mal Lichter in den Nacht gesehen habe, die Regentropfen haben bunt geleuchtet. Wir sind ja nicht weit, nur 100 Kilometer, geflüchtet, an den Bodensee. Meine Mutter erzählte mir später, dass man uns dort trotzdem „Pack von der Front“ nannte. Wir haben dann am Pfänder gewohnt, das war unglaublich schön. Noch heute geht mir dort das Herz auf.

Vom Bodensee sind Sie u. a. nach Paris, nach Wien, ans Burgtheater, gekommen. Gibt's Rollen, von denen Sie noch träumen?

Nein, ich hab keine Träume mehr. Vor fünf Jahren war das anders, aber jetzt nicht mehr. Ich hab es unfassbar genossen, nach der Pension am Burgtheater Operetten in Baden zu spielen, die sind so wunderbar, man kann so viel Erfolg damit haben. Dort bin ich zum letzten Mal als Enrico aufgetreten, das war ein Jubel, das kann man sich nicht vorstellen. Im Moment spiele ich nicht. Vorigen Sommer habe ich zwei Monate en suite gespielt, da hab ich ein bisserl Probleme mit dem Blutdruck bekommen.

Ist das eine Begleiterscheinung des 75ers, dass man sich zurücknehmen muss?

Na ja, wenn man gesund ist, ist es auch mit 75 schön. Es ist gesund, Theater zu spielen! Gesund fürs Herz, fürs Hirn, für den Körper. Mein Gott, Erni Mangold oder Peter Matić, die sind so toll, die imponieren mir sehr. Aber die sind auch dauernd im Training. Ich hab ja die vergangenen Jahre nur fallweise gespielt.

Im Buch fällt auf, dass Sie viel über Ihr Leben schreiben, Privates aber eher aussparen.

Und das möchte ich weiter tun. Erzählen kann ich alles, auch meine Kollegen kennen mich gut. Aber es hat keinen Sinn, das in die Öffentlichkeit zu tragen. Das Private steht bei Schauspielern oft im Vordergrund, die machen damit PR, das find ich grauenhaft, das hätte ich nie getan. Wenn Sie nicht mitschreiben, erzähl ich mein ganzes Leben!

Erzählen Sie uns, wie Sie Geburtstag feiern?

Vor Kurzem hab ich gesagt, da geh ich mit der Rikki spazieren. Das geht jetzt halt nicht mehr. Große Feiern mochte ich nie. Aber es ist derzeit so viel los, diesen Rummel habe ich ja überhaupt nicht mehr erwartet, und ich muss sagen, ich freu mich sehr darüber.

Steckbrief

1941 wird Heinz Zuber n Lörrach (Baden Württemberg) geboren. 1944 floh er mit seiner Mutter in die Schweiz, dann nach Bregenz. Später wächst er in Weil am Rhein (D) auf.

1960,
nach einer Lehre als Speditionskaufmann, ging er nach Paris, um Schauspieler zu werden, und verdingt sich als Karikaturist in Montmartre.

1963 ging er nach Wien, auf die Ausbildung am Reinhardt-Seminar folgen Auftritte in der Josefstadt, bei den Salzburger Festspielen, 30 Jahre im Ensemble der Burg oder als TV-„Tatort“-Kommissar.

Berühmt wurde Zuber als Enrico Emmanuel Theobaldissimus Fillissi Maximo in der Kindersendung „Am dam des“, den er über 4000-mal verkörperte.

Sein Buch „Soll ich sagen?“ erscheint am 7. April, seinem 75. Geburtstag, im Verlag Amalthea.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2016)

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