Der deutsche Altpräsident will eine ehrliche Islamdebatte.
Berlin. Christian Wulffs politisches Erbe lässt sich auf einen Satz komprimieren: dass „der Islam inzwischen auch zu Deutschland gehört“, wie es der damalige deutsche Bundespräsident 2010 formulierte. Daran hält er auch heute fest, gerade mit Blick auf die AfD, die sich als Anti-Islam-Partei etablieren möchte. „Wer sagt, dass er den Islam hier nicht will, steht im Konflikt mit unserer Verfassung“, sagte Wulff vor Vertretern der Auslandspresse. Denn im Grundgesetz stehe, dass niemand wegen seiner Religion diskriminiert werden dürfe.
Eine offizielle politische Funktion hat Wulff heute nicht mehr. Als Altpräsident meldet er sich aber immer wieder zu Wort. Dabei fordert er eine ehrliche Debatte ein, nämlich auch darüber zu reden, wie Deutschland von Zuwanderung profitiert: „Mesut Özil nimmt man mit zur Fußball-WM, aber sonst redet man über die Vorfälle in Köln oder Thilo Sarrazin.“
Manches am Islam sei zwar problematisch, etwa das Frauenbild oder die Machokultur. „Aber Muslime verändern unser Land sehr viel weniger, als wir junge Muslime verändern“, so Wulff. Man wachse zusammen, die Richtung stimme. Dennoch sei klar, dass man Kriminalität oder Radikalismus bekämpfen müsse. Genau das würden Muslime auch wollen, damit wegen Einzelner kein falsches Bild der gesamten Gruppe entstehe.
„Kein Musterschüler“
Wulff warnt aber vor zu viel Selbstgerechtigkeit. Deutschland müsse sich auch bewusst sein, dass es kein Musterschüler sei, der immer alles richtig gemacht habe. Man denke an die Berichterstattung über Griechenland in der Finanzkrise. Oder an die Flüchtlingspolitik – sie sei erst dann zum Thema geworden, „als das Problem zu uns kam“. Davor habe man Italien und Griechenland mit den Flüchtlingen allein gelassen.
Kanzlerin Merkels Entscheidung, die Strafverfolgung von Jan Böhmermann wegen seines Schmähgedichts zu ermöglichen, hält Wulff für richtig. Es sei ein wichtiges Signal an die Türkei gewesen, dass über Beleidigung nicht die Politik, sondern die Justiz urteilen soll. Insgesamt finde er die Debatte aber übertrieben: „Alle Beteiligten sollten von den Bäumen, auf die sie gestiegen sind, wieder herunterkommen.“ (eko)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2016)