Hurtigruten: Eispanzer mit Avantgarde-Häubchen

Massiger Rumpf, steiler Vorsteven: die neuen Hurtigruten-Expeditionsliner.
Massiger Rumpf, steiler Vorsteven: die neuen Hurtigruten-Expeditionsliner.Rolls Royce
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Aus der Reederei, die bisher vorwiegend den Liniendienst an Norwegens Küste betrieben hat, wird mit der Bestellung vier neuer Expeditionsschiffe ein Kreuzfahrtanbieter, der nebenbei das Liniengeschäft bedient.

Wenn Richard With das wüsste! Der Reeder, der 1893 den Mut und die Erfahrung hatte, eine regelmäßige Linienverbindung von Südnorwegen bis zur russischen Grenze einzurichten, bekäme den Mund nicht mehr zu, sähe er die kompakten, eistauglichen Superliner, mit denen die norwegische Postschifflinie ihre Flotte vergrößern will. Und zwar um gleich vier Neuanschaffungen. Zwei davon sind bereits fest bestellt, zwei weitere auf Option.

Erstmals in der 123-jährigen Unternehmensgeschichte wurde mit einem kleinen Wörtchen das Motto der Reederei auf den Kopf gestellt: „Expeditionsschiffe“, so sagen Werftvertrag und Pressemeldung, sollen es sein, die auch für den Liniendienst eingesetzt werden können, so wie die MS Spitsbergen, die ab Mai für Hurtigruten durch Norwegens Fjorde dampft. Damit wird offiziell, was bislang nur Nebensache schien: der Einsatz der eistauglichen Passagierliner als reine Urlauberschiffe. Mehr und mehr hatte sich das Schwergewicht der Umsätze bei Hurtigruten in Richtung Tourismus verschoben; selbst auf der klassischen Linienroute verzeichnete man 70 Prozent Turn-around-Gäste, solche, die eine komplette Rundreise buchen. Der werbewirksame Slogan von der „schönsten Seereise der Welt“ richtete sich schon lang nicht mehr nur an jene, die an der langen, norwegischen Küste von einem Ort zum andern reisen müssen. Den Passagieren wurde die sagenhafte Schönheit der Fjord- und Inselwelt auf der rund 2700 Kilometer langen Strecke von Bergen bis Kirkenes kostenlos mitgeliefert. Anmutig im Sommer, abenteuerlich im Winter.

Im Sommer 2006 versuchte man, den Gästen aus Kontinentaleuropa ein Stück entgegenzukommen, indem man auf einigen Abfahrten die Strecke nach Süden bis Hamburg verlängerte. Es blieb bei einzelnen Reisen (2017 ab Bremerhaven). 2007 startete die Fram, benannt nach dem Schiff Fridtjof Nansens und Roald Amundsens, zu einer rein touristischen Reise nach Grönland, ein halbes Jahr später wechselte man das Polargebiet und erkundete die Antarktis, ein Zusatzgeschäft zur Stammlinie Bergen–Kirkenes, auf der immerhin ein Dutzend Schiffe Dienst tun, die zwischen 1964 und 2007 gebaut wurden. Mit der neuen Lesart für den bestellten Schiffstyp wird Hurtigruten nunmehr offenbar zum Kreuzfahrtanbieter, der nebenbei auch das Liniengeschäft bedient. Neben den Polargebieten werden künftig auch Südamerika und der Amazonas angesteuert.

Hurtigrutens Klimaambitionen

Unten Volvo, oben Citroën, so könnte man das Outfit der Neuen beschreiben. Im traditionellen schwarz-weiß-roten Kleid präsentiert sich ein massiger, eistauglicher Rumpf, dessen fast senkrecht geschnittener Vordersteven an die Kriegsschiffe zu Kaisers Zeiten erinnert. Darauf sitzen anmutige, weiße Aufbauten, die von der französischen Ponant-Flotte abgeschaut sein könnten. Kein Wunder, war der verantwortliche Schiffsdesigner Espen Øino, der in seinem monegassischen Büro elegante Schiffskörper formt, doch bisher eher auf private Luxusjachten abonniert. Dabei sind die Schiffsjungfern echte Norwegerinnen: Der Bauauftrag geht an die Kleven-Werft auf der Insel Dimnøya, 50 Kilometer vor der südnorwegischen Stadt Ålesund, die bereits drei Hurtigruten-Schiffe geliefert hat. Das Familienunternehmen hat sich vor allem Nachhaltigkeit auf die Fahnen geschrieben. Es gilt als führend beim Einsatz von Flüssiggasantrieben. „Für uns ist es inspirierend, die anspruchsvollen Klimaambitionen von Hurtigruten zu verwirklichen“, so Werftchef Ståle Rasmussen.

Wenn die erste der beiden Botschafterinnen der neuen Hurtig-Philosophie in zwei Jahren in Fahrt kommt, wird sie zwischen einer Vielzahl neuer Expeditionsschiffe schwimmen, denn derzeit hat ein Bauboom eingesetzt, um die Ansprüche exklusiverer Reisender zu bedienen, die ein Schiff von der Größe einer Kleinstadt niemals buchen würden. Obgleich Hurtigruten seiner Linie treu bleibt, aufs große Captain's Diner ebenso verzichtet wie auf Kleidervorschriften, hat man erstmals die Gelegenheit, maßgeschneiderte Schiffe für diese Klientel zu bauen.

Dazu gehören wenige offene Decks, die man in Polarregionen eher nicht braucht, und eine große Panorama-Lounge über der Brücke, wie sie bereits die aktuell für Expeditionsfahrten genutzten Postschiffe haben. „Wir werden die eindrucksvollsten Expeditionsschiffe der Welt bauen“, sagt denn auch Daniel Skjeldam, CEO von Hurtigruten. Übersehen hat er dabei, dass die angepeilte Passagierzahl von 600 Gästen weit vom Expeditions-Feeling entfernt ist; das gab es eher auf den Dampfern von Richard With, die sich mit nur einer Maschine und einer Schraube ins Eis wagten.

Gottlob sind bis heute zwei solcher Nostalgieschiffe für Hurtigruten unterwegs: die Nordstjernen (Bj. 1955) und die Lofoten (1963).

DIE ALTEN UND DIE NEUEN

Hurtigruten-Flotte aktuell. 14 Schiffe, davon zwei historische. hurtigruten.de

Klassische Reisen. Siebentägige Reisen Bergen–Kirkenes mit 35 Häfen bzw. Kirkenes–Bergen mit 33 Häfen. Grönland, Island, Spitzbergen Antarktis. Neue Expeditionsziele 2017/2018: Scoresbysund (Grönland, weltgrößtes Fjordsystem), Neufundland, Amazonas,

2007 bisher letzter Neubau: MS Fram.

Vier Neubauten. Je 600 Passagiere in 300 Kabinen; Länge: 140 m l, 23 m b. Indienststellung: 2018 und 2019.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2016)

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Reise

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