Da sich Premier Davutoğlu den Ambitionen des Präsidenten Erdoğan, des starken Mannes in Ankara entgegengestellt hatte, musste er sich beugen. Der Präsident duldet keinen Nebenbuhler.
Istanbul. Jung, modern, dynamisch, westlich gebildet – und auffällig weiblich: So präsentiert sich das Führungspersonal der Zeitung „Sabah“, des Flaggschiffs der gleichnamigen Istanbuler Mediengruppe, im Konferenzraum der Redaktion. Als Motto hat sie sich „Lokale Perspektive, globale Vision“ auf ihre Fahnen geschrieben. Dieser Tage, da der Rücktritt des Premiers, Ahmet Davutoğlu, die türkische Politik durcheinanderwirbelt, geht es in den Fluren des Medienhauses bei aller Hektik recht gedämpft zu.
Die Kolumnistin Meryem Atlas, verantwortlich für die Meinungsseite, und Online-Chef Mehmet Çelik haben sich einen erstaunlichen nüchternen Reim auf die abrupte Rochade an der Regierungsspitze in Ankara gemacht. Dies sei nichts weiter als ein normaler Vorgang, kommentiert Çelik abgeklärt; ein weiterer Schritt bei der Transformation der Türkei in ein Präsidialsystem à la USA, wie Atlas erläutert.
Für rasches Referendum
Dass Präsident Recep Tayyip Erdoğan ein möglichst baldiges Referendum darüber urgiert, dass er die Forderung der EU nach einer Limitierung der Antiterrorgesetze entschieden zurückweist, die ihm weitgehend freie Hand gegen die Opposition gewähren – all das halten die beiden Journalisten für das natürliche Recht eines Präsidenten, der das zeremonielle Gepräge des Amts hinter sich lassen will, um sich durch eine Verfassungsänderung nicht nur pro forma eine Machtposition zurechtzuschneidern. Im Parlament, in dem es zuletzt ziemlich handfest herging, fehlen dem Präsidenten allerdings 13 Stimmen für die für ein Referendum nötige Zweidrittelmehrheit.
Die 32-jährige Atlas trägt ein buntes Kopftuch, und sie vertritt die Linie Erdoğans mit einem Brustton der Überzeugung, wie dies dessen Sprecher nicht besser gelingen könnte. Die Drangsalierung kritischer Journalisten und Korrespondenten, die Übernahme der Zeitung „Zaman“, die die Regierung unter ihre Kuratel gestellt hat, ringt ihr keinerlei kollegiale Solidarität ab.
Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk kritisierte neulich die Klagewelle gegen Intellektuelle, in deren Kreisen zunehmend ein Klima der Angst herrscht. Im Prozess gegen Can Dündar, dem wegen Spionage angeklagten „Cumhüriyet“-Chefredakteurs, fielen am Freitag sogar Schüsse. „Sabah“ muss hingegen nicht mit Druck, Zensur oder gar Verfolgung durch die Justiz rechnen. Auf den Seiten von „Sabah“ spiegelt sich die im klotzigen Präsidentenpalast in Ankara skizzierte Propaganda wider.
Am Donnerstagabend empfing Erdoğan politische Führer im Istanbuler Dolmabahçe-Palast am Bosporus-Ufer. Wenige Tage zuvor hatte die Entmachtung Davutoğlus eingesetzt, des Beraters, außenpolitischen Masterminds, Außenministers und Premiers von Erdoğans Gnaden – und die Revolte ging vom Präsidentenpalast aus. Nach 14 Jahren an der Seite des „starken Mannes“ war der soignierte, ehemalige Politologieprofessor in Ungnade gefallen, er war Erdoğan schlicht zu eigenmächtig geworden. Der Deal in der Flüchtlingsfrage mit der EU und vor allem jüngst die Aufhebung der Visapflicht für Türken gelten als Erfolge Davutoğlus, des berechenbaren Partners Angela Merkels.
„Die Pelikan Akte“, der Blog eines anonymen Insiders mit besten Beziehungen ins Zentrum der Macht, zeichnet die Entfremdung zwischen dem Präsidenten und dem Premier nach. Der Premier drängte auf einen moderateren Kurs im Bürgerkrieg gegen die PKK und bei den Ermittlungen der Justiz gegen Regierungskritiker. Vor allem jedoch leistete er hinhaltenden Widerstand gegen die Umwandlung der Türkei in eine Präsidialrepublik, Erdoğans Wunschtraum.
Nach dem Ex-Präsidenten Abdullah Gül und Bülent Arinç, seinem früheren Vizepremier – beide Mitgründer der Regierungspartei AKP und langjährige Mitstreiter – stellte Erdoğan nun auch Davutoğlu kalt. Niemand soll dem Präsidenten die Führungsposition streitig machen, die er auch noch 2023 innehaben will, dem 100-Jahr-Jubiläum der Gründung der modernen Türkei, der Atatürk-Republik.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2016)