Burmas ewige Rebellen

Tänze der Karen: Die Minderheit kämpfte lang mit Waffen für ihre kulturellen und politischen Rechte. Von Suu Kyi erhoffen sie sich nun Freiheit und Autonomie.
Tänze der Karen: Die Minderheit kämpfte lang mit Waffen für ihre kulturellen und politischen Rechte. Von Suu Kyi erhoffen sie sich nun Freiheit und Autonomie.REUTERS/Chaiwat Subprasom (MYANMAR)
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Bereits 1949 begann der Guerillakrieg des zum Teil christlichen Karen-Volks gegen die Generäle. Nun schweigen die Waffen: Aber der neuen Ruhe traut niemand so recht.

„Welcome to Karen Country“ steht in großen Lettern auf dem wackeligen Schild am Rande der löcherigen Straße. Einige Kilometer weiter lehnen zwei Soldaten gelangweilt an ihren Gewehren, ein Kollege döst im hölzernen Wachhäuschen. Unterbrochen wird die Stille dieses schwülen tropischen Nachmittags vom plötzlichen Gerumpel mehrerer Pick-ups, die riesige Staubwolken aufwirbeln. Auf den Fahrzeugen drängen sich bewaffnete Militärs.

Hier, im burmesischen Bundesstaat Karen, fand bis vor Kurzem einer der längsten und blutigsten bewaffneten Konflikte der Region statt. Die an der thailändischen Grenze beheimateten Karen – rund die Hälfte von ihnen sind Christen – hatten ihren Guerillakrieg gegen Burmas Generäle bereits 1949 begonnen. Ziel war die Unabhängigkeit, oder zumindest etwas Autonomie. Der Aufstand wurde brutal niedergeschlagen: Die Armee brannte Dörfer nieder, Menschen wurden zwangsumgesiedelt.


Menschliche Schutzschilde.
Ein Waffenstillstand im Jahr 2012 und eine nationale Feuerpause im vergangenen Herbst beendeten diesen Krieg, der Hunderttausende Tote und mehr als eine Million Vertriebene gefordert hatte. Heute ist die Hoffnung groß, dass mit der Partei von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi an der Macht wirklich Frieden einkehrt. Die Bürgerrechtlerin hat den ethnischen Minderheiten garantiert, sich für deren Autonomie und Rechte einzusetzen. Dieses Versprechen könnte aber zur größten Herausforderung für die blutjunge Demokratie werden: Das Militär zeigt wenig Begeisterung für eine Dezentralisierung. Und die Armee kontrolliert weiterhin wichtige Regierungsposten.

Immerhin – abgesehen von einigen Scharmützeln hält die Feuerpause. „Abraham“, so der Kampfname des jungen Guerillero-Anführers mit dem todernsten Blick, scheint der neuen Ruhe jedoch nicht recht zu trauen. Mit verschränkten Armen sitzt er da, über die Jahre im Dschungel spricht er nicht. „Wir warten jetzt ab“, sagt er knapp. „Wir wollen eine neue Verfassung, einen Föderalstaat, Autonomie. Das muss bald passieren.“ Seine Einheit hat dem Waffenstillstand zugestimmt, im Gegensatz zu Splittergruppen der zerstrittenen Karen-Guerilla, die ihre Unterschrift verweigern. Viele von ihnen sehen ohnehin keine Alternative zur Unabhängigkeit. Die Waffen abgeben will aber keiner der Rebellen. Zumal die Armee immer noch massiv präsent ist.

Auch den Bewohnern der kleinen Dörfer am Rande des Urwalds fällt es schwer, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Zu frisch sind die Erinnerungen, zu tief sitzt die Angst. Der 30-jährige Kyaw denkt nicht gern an seine Kindheit zurück. Er sieht immer noch die Militärs vor sich, wie sie plündernd und mordend durch die Dörfer ziehen. Soldaten, die Alte, Frauen und Kinder als menschliche Schutzschilde gegen die Rebellen verwendeten; die Kinder aus den Dörfern entführten, um sie als Sklaven in Jademinen auszubeuten oder als kleine Soldaten einzusetzen.

„Meine Mutter hat bei jeder Mahlzeit eine Extra-Reisschüssel aufgetischt“, erzählt der Mann von den Zeiten, als Überfälle regelmäßig vorkamen. „Sobald die Soldaten kamen, nahmen wir den Reis und flohen in den Wald. Dort hatten meine Eltern ein Loch gegraben, in dem wir uns versteckten. Manchmal tagelang. Oft hatten wir nur diesen Reis zum Essen.“ Vor allem in den 1990er-Jahren, als die Kämpfe am heftigsten tobten, wurde der Dschungel zur zweiten Heimat der Dorfbewohner, ihrem sichersten Versteck. Kyaw erzählt, wie die Kinder mit Waffen im Dickicht umherzogen und zwischen den Bäumen das Schießen übten. Von Sechsjährigen, die davon träumten, Soldaten zu ermorden. Einige von ihnen wurden noch als Kinder von Rebellen rekrutiert.

Kyaws Eltern wollten ein anderes Schicksal für ihren Kleinen. Sie schickten ihn in die Stadt zu Verwandten, er ging dort in die Schule. „Mit meinen Eltern habe ich zu wenig Zeit meines Lebens verbracht“, sagt er traurig.

Im kleinen Dorf Khwin Ka Lay zwingt man sich, nach vorne zu blicken. Trotz der großen Armut, trotz der Angst sei „das Leben einfacher geworden“, gibt sich Lehrerin Nan Tan Doo optimistisch. Mit EU-Geldern wurde eine Schule errichtet, hier kann Tan jetzt auch in Karen-Sprache unterrichten. Man sei nicht mehr von der Außenwelt abgeschnitten: Eine neue Straße verbindet das Dorf mit dem Rest des Landes. Die Straße ist zwar nicht asphaltiert und in der Regenzeit überschwemmt, aber immerhin ist Khwin Ka Lay heute in einigen Autostunden von der Provinzhauptstadt zu erreichen. Es ist nicht lang her, dass man hier wegen nicht vorhandener Medikamente und ärztlicher Versorgung an harmlosen Krankheiten wie Durchfall oder Fieber starb.

Über die vielen offenen Fragen wollen sich die vom Krieg erschöpften Dorfbewohner jetzt nicht den Kopf zerbrechen: Unklar ist, wohin zehntausende Flüchtlinge aus thailändischen Flüchtlingslagern sollen, die Bangkok zurückschicken will. Wie man mit den Landminen leben soll, die in Feldern und Wäldern vergraben sind. Und was noch alles von den immer mächtigeren radikalen Buddhisten zu erwarten ist, die die Karen-Christen bedrängen.

Kyaw blickt verstohlen zum massigen General, der wegen der Anwesenheit einer ausländischen Delegation dem Dorf einen Besuch abgestattet hat. Der dekorierte Militär sitzt im Schatten eines Baumes, starrt missmutig vor sich hin, fächelt sich mit einer Broschüre Luft gegen die Hitze zu. „In unserer Geschichte hat das Wort Feuerpause eine etwas andere Bedeutung“, flüstert Kyaw. „Wir kennen das so: Erst Pause – und dann Feuer.“

Fakten

Die Karen. Das Volk der Karen bewohnt das bergige Gebiet an der thailändisch-burmesischen Grenze. Rund die Hälfte von ihnen sind Christen: Sie wurden im frühen 19. Jahrhundert von US-Baptisten missioniert. Im Zweiten Weltkrieg kämpften die Karen an der Seite der Briten gegen die japanische Besetzung, während die Birmanen (die dominierende ethnische Gruppe Burmas) die Japaner unterstützten.

Repression. Die Hoffnungen auf einen eigenen Staat wurden nach 1945 enttäuscht, auch Autonomie-Versprechen wurden nicht eingehalten: 1949 begann der Guerillakrieg, den die Junta brutal unterdrückte. Es kam zu Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen: Mehr als eine Million Karen flüchteten, viele nach Thailand. Seit 2012 herrscht ein Waffenstillstand

Bürgerkrieg.Seit Oktober gilt eine nationale Waffenruhe, die die zahlreichen militärischen Konflikte im Vielvölkerstaat beenden soll. Gegen die ethnische Minderheit der Kachin an der Grenze zu China finden aber immer noch heftige Kämpfe statt.

Hinweis

Die Autorin wurde von der EU nach Burma eingeladen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2016)

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