Retrospektive: Schön & Goude

(c) Jean-Paul Goude
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Der Padiglione d’Arte Contemporanea in Mailand richtet in Kooperation mit Tod’s derzeit eine Retrospektive von Jean-Paul Goude aus. Das „Schaufenster“ zeigt exklusive Bilder aus der Schau.

„Break the Internet Kim Kardashian“ hieß es 2014 auf dem Cover der November-Ausgabe des New Yorker Popkulturmagazins „Paper Magazine“. Das Internet ging zwar nicht kaputt, aber mit fünfzig Millionen Zugriffen an einem einzelnen Tag legte das von dem Franzosen Jean-Paul Goude fotografierte Cover jedenfalls für ein paar Stunden die Server des Magazins lahm. Auf dem Titelbild war die berühmt-berüchtigte Reality-Queen und Selfie-Apologetin Kim Kardashian dargestellt: Ekstatisch in die Kamera lachend, ein knallenges, schulterfreies Paillettenkleid tragend, hält Kardashian eine frisch geköpfte Flasche Champagner in den Händen, dessen schäumender Inhalt in hohem Bogen in ein auf ihrem Hintern platziertes Glas fließt und ihren kurvigen Körper wie ein sprudelnder Glorienschein umrahmt. Das virale Coverfoto wurde wochenlang kontrovers
diskutiert und fand binnen kürzester Zeit als sich kaleidoskopisch vervielfältigendes Internet-Mem Eingang in die Popkultur, millionenfach geteilt, kopiert und parodiert. Jean-Paul Goude hatte für das „Paper“-Cover eines seiner eigenen Fotos neu inszeniert. Es handelt sich um eine Aufnahme aus dem Jahr 1976, für die das afroamerikanische Model Carolina Beaumont samt Champagnerflasche und auf dem Steiß balanciertem Glas für Goude nackt vor einer blauen Leinwand posierte. Das Foto wurde in seinem umstrittenen Bildband „Jungle Fever“ veröffentlicht, den Umschlag des Buches zierte ein Bild der Sängerin und Performerin Grace Jones, die hinter den Gitterstäben eines Tierkäfigs den Betrachter wie eine Raubkatze anfaucht. Bis 19. Juni können diese Fotos im Rahmen der 230 Werke umfassenden Ausstellung „So Far So Goude“ im Padiglione d’Arte Contemporanea (PAC) in Mailand betrachtet werden. Sponsor der Schau ist die Modemarke Tod’s.

Traute Eintracht. Die Karriere von Jean-Paul Goude ist in der Tat untrennbar mit dem Namen Grace Jones verbunden. Die beiden lernten sich in den späten Siebzigerjahren in New York kennen, wo Jean-Paul Goude als Art Director für das Magazine „Esquire“ arbeitete. Jones hingegen war schon ein Star in der Schwulenszene von Midtown Manhattan und eine fixe Größe im legendären Nachtclub Studio 54.

Der 1940 in Paris geborene Jean-Paul Goude wiederum hegte seit seiner Kindheit eine Faszination für Tänzerinnen und war sofort in den Bann der radikalen, aus Jamaica stammenden Grace Jones gezogen, um deren Image er sich fortan kümmerte. Die beiden wurden ein Paar und schufen gemeinsam die Bühnen-Persona der glamourösen und entfesselten Discokönigin Grace Jones, die in den Achtzigerjahren ein weltberühmter Popstar wurde. Goude zeichnete für ihr gesamtes mediales Erscheinungsbild verantwortlich: vom Bühnenbild über die Musikvideos und Albumcovers bis zum Styling ihrer Bühnenoutfits.

Künstlich und kunstvoll. Typisch für den fotografischen Stil von Jean-Paul Goude ist die dezidierte und demonstrative Künstlichkeit der Bilder. Der als Illustrator ausgebildete Goude zeichnet für alle Fotostrecken ein bis ins kleinste Detail geplantes Storyboard und überlässt nichts dem Zufall. Schon lang bevor Photoshop erfunden wurde, bediente sich Jean-Paul Goude der Techniken der analogen Bildkorrektur und Retusche. Goude erhob die sichtbare Modifikation und Collage zum stilistischen Prinzip und verlängerte Beine, Hälse, Gesichter oder Arme, um seine Obsession mit makelloser Schönheit und erotisierter Körperlichkeit zum Ausdruck zu bringen. Beispielsweise für das Coverbild des Albums „Island Life“ von Grace Jones (1985, Island), das die bis auf ein paar Streifen roten Stoff nackte und eingeölte Grace Jones in einer statuenhaften Pose zeigt, hat Goude mehrere Aufnahmen geschossen, die er dann zerschnitten und neu zusammengesetzt hat, um sein Ideal von körperlicher Perfektion abzubilden. Jean-Paul Goude lebte mit Grace Jones seinen lebenslangen Fetisch für schwarze Frauen aus, inszenierte sie als animalische Wilde, als außerirdische Maschinenfrau und androgyne Kunstfigur.

Kritiker warfen ihm vor, mit solchen Bildern koloniale Stereotypen zu reproduzieren und Frauen auf sexuelle Objekte zu reduzieren, seine Bewunderer hielten dagegen, es handle sich um ein postmodernes Spiel mit Signifikaten. Die romantische Beziehung zu Jones ging nach kurzer Zeit in die Brüche, ihre professionelle Zusammenarbeit währte noch bis Mitte der Achtzigerjahre. Goude kehrte schließlich nach Europa zurück und arbeitete in den Achtzigern und Neunzigern erfolgreich als Modefotograf und Werbegrafiker, schuf eindringliche Kampagnen und Werbefilme für Marken wie Chanel, Perrier, Citroën und Shiseido.

Noch heute ist Goude aufgrund seiner aufreizenden, glatten Ästhetik ein gefragter Image-Maker bei den großen Luxusmarken und Modemagazinen wie „Harper’s Bazaar“ und „V Magazine“.

Die Ausstellung in Mailand blickt zwar auf drei Jahrzehnte des Schaffens von Jean-Paul Goude zurück, hat aber aufgrund seiner laufend aktualisierten Brisanz (siehe die bereits erwähnte Ausgabe des „Paper Magazine“) eher den Charakter eines Zwischenresümees.

Tipp

„So Far, So Goude“. Der Padiglione d’Arte Contemporanea in Mailand zeigt noch bis 19. Juni 230 Bilder aus dem Werk von Jean-Paul Goude. www.pacmilano.it

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