„Endlich hat man die Signale gehört“

Christian Kern.
Christian Kern.(c) REUTERS (HEINZ-PETER BADER)
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Die Vertreter der Wirtschaft streuen Christian Kern Rosen. Ob Androsch, Kapsch, Leitl oder Raidl: Die Wunschlisten an den neuen Bundeskanzler sind lang, die Hoffnungen groß.

Wien. Der erste Medienauftritt von Christian Kern als Bundeskanzler ließ das ganze Land aufhorchen. Nicht nur wegen seiner schonungslosen Abrechnung mit der bisherigen Politik der Großen Koalition, ihrer „Machtversessen- und Zukunftsvergessenheit“. Der künftige SPÖ-Chef stellte auch klar, wo aus seiner Sicht auf die Zukunft vergessen wurde: fehlendes Vertrauen der Unternehmen in den Standort, steigende Arbeitslosigkeit, Reallohnverluste – lauter Wirtschaftsthemen. Der bisherige Bahnchef ist der erste Kanzler aus der Wirtschaft seit dem Ex-OMV-Manager Viktor Klima. Entsprechend gespannt sind die Erwartungen der heimischen Führungskräfte. Und zumindest der erste Auftritt des einstigen Pressesprechers als Spitzenpolitiker klang wie ein Echo auf ihre Wünsche und Hoffnungen.

Für Hannes Androsch war der Wechsel an der SP-Spitze „überfällig“: „Endlich hat man die Signale gehört“, zeigt sich der AT&S-Miteigentümer und frühere SP-Politiker im Gespräch mit der „Presse“ erleichtert. „Christian Kern verkörpert den Aufbruch, den wir dringend brauchen.“ Viel Zeit bleibe nicht, deshalb solle er Prioritäten setzen – etwa in der Bildungs- und Finanzpolitik. „Die großen Bremser und Verhinderer sitzen bei den Sozialpartnern und in den Ländern.“ Da müsse Kern den Hebel ansetzen. Es gehe auch um die Einstellung: „Mit der Vollkaskomentalität zum Nulltarif ist es vorbei.“

„Wir müssen aufsandeln“

Christoph Leitl begrüßt den neuen Regierungschef sogar mit einer Wortkreation: „Wir sind abgesandelt, jetzt müssen wir wieder aufsandeln.“ Für den Präsidenten der Wirtschaftskammer ist es „eine Schande, wie weit wir zurückgefallen sind“. Nun erwartet er sich „eine Schubumkehr vom Abstieg zum Wiederaufstieg“. Dringlich formuliert sind auch die Erwartungen der Industriellenvereinigung an Kern: „Das Land kann es sich nicht leisten, noch weiter Zeit zu verlieren“, mahnt IV-Präsident Georg Kapsch. Der neue Kanzler müsse nun die „massive Vertrauenskrise“ durch die „langjährigen Reformversäumnisse“ beheben. „Anders werden wir die Trendwende auf dem Arbeitsmarkt nicht schaffen.“

Die Zahlen lassen diese Analyse nicht als zu alarmistisch erscheinen: Die Arbeitslosigkeit ist seit Sommer 2011 um fast die Hälfte gestiegen, von 4,0 auf 5,8 Prozent, während sie in Deutschland Monat für Monat zurückgegangen ist. Die Investitionen erreichen bis heute nicht das Niveau von vor der Krise. Das Wirtschaftswachstum dümpelt seit vier Jahren unter einem Prozent herum. Selbst der für heuer erwartete Aufschwung fällt geringer aus als in 20 von 28 EU-Staaten.

Auch Claus Raidl streut dem SPÖ-Mann Rosen: Kern sei „ein lösungsorientierter Politiker, der die Probleme erkennt“, sagt der Notenbank-Präsident und langjährige wirtschaftspolitische Berater der ÖVP zur „Presse“. Er werde „durch entsprechende Gesetzesänderungen“ das Problem der Arbeitslosigkeit angehen. Die Hürden sieht Raidl bei Firmengründungen, Anlagengenehmigungen und Steuern.

Ein „Genosse der Bosse“?

Wenige Stunden vor Kerns starken Ansagen ließen die Topmanager von vier Leitbetrieben in einer Pressekonferenz wissen, wo für sie der Schuh besonders drückt. „Gut ausgebildete Mitarbeiter“ und weniger Bürokratie stehen für Wolfgang Hesoun ganz oben auf der Wunschliste. Der Chef von Siemens Österreich erinnert an den „jährlichen Kampf um Investitionen“ für die Standorte in seinem weltweit agierenden Konzern. Günter Thumser, der für den Waschmittelhersteller Henkel den Osten verantwortet, liegen flexiblere Arbeitszeiten „besonders am Herzen“: „Unsere Mitarbeiter aus Osteuropa, die zur Ausbildung nach Wien kommen, verstehen nicht, dass wir sie nach knapp zehn Stunden ultimativ auffordern müssen, ihre Arbeit fallen zu lassen“. Die starren Arbeitszeiten seien „ein deutlicher Standortnachteil“.

Angesichts solcher Umarmungen zum Einstand ist es kein Wunder, dass die „FAZ“ Kern schon „Genosse der Bosse“ nennt, wie früher den deutschen Ex-Kanzler Schröder. Kern selbst setzt auf die Aufbruchsstimmung durch den personellen Wechsel. Er will für „mehr Optimismus“ sorgen. Denn: „Die größte Wachstumsbremse ist die schlechte Laune.“ (gau/eid)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2016)

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