Schweiz: Der längste Tunnel der Welt

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Nach fast 17 Jahren Bau wird am Mittwoch der 57 Kilometer lange Gotthardtunnel eingeweiht. Er stärkt die Kapazitäten für Fracht- und Personenverkehr zwischen Italien und dem Norden enorm.

So immer steigend, kommt Ihr
auf die Höhen des Gotthards.
Wo die ew'gen Seen sind,
die von des Himmels Strömen
selbst sich füllen.
Dort nehmt Ihr Abschied von der
deutschen Erde, und muntern Laufs führt Euch ein andrer Strom ins Land Italien hinab, Euch das gelobte.
(Wilhelm Tell im gleichnamigen Stückvon Friedrich Schiller, 1804)


Das Gotthard-Massiv zwischen den Schweizer Kantonen Tessin und Uri ist seit Ewigkeiten ein Markstein im Nord-Süd-Verkehr zwischen Italien, Deutschland, Ostfrankreich und den Landen am Niederrhein. 709 Jahre nach dem „Apfelschuss“ des legendären Schweizer Freiheitskämpfers Wilhelm Tell wird am Mittwoch die bequemste, schnellste und vor allem eine rekordsetzende Verbindung durch den Gebirgskamm eröffnet: Nach fast 17 Jahren Bauzeit eröffnen die Schweizer mit großen Festivitäten den Gotthard-Basistunnel: Einen zweiröhrigen Eisenbahntunnel, der von Erstfeld in Uri bis Bodio (Tessin) 57,1 Kilometer durch das Gebirge sticht. Samt Verbindungs-, Flucht- und Belüftungsstollen sind es 152 Kilometer. Er ist der längste Tunnel der Erde und löst den Seikan zwischen den japanischen Inseln Honshū und Hokkaido (53,9 km) ab. Der Eurotunnel zwischen Frankreich und England misst „nur“ 50,5 km (s. Grafik auch mit künftigen Projekten). Der längste Straßentunnel ist der Lærdalstunnel (24,5 km) in Norwegen.

Kanzler Kern mit im Zug

Mit einer Überdeckung von bis zu 2300 Metern Gestein gilt der neue auch als am tiefsten liegender Tunnel. Seine Einweihung löst eine Art Mini-EU-Gipfel aus – neben der Schweizer Regierung und Parlamentariern werden Frankreichs Präsident François Hollande, die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, Italiens Premier Matteo Renzi und Österreichs Kanzler Christian Kern im Eröffnungszug sitzen. Kern absolviert dort seinen ersten Auslandsbesuch, trifft auch Merkel zum ersten Mal und wird vielleicht lässig erwähnen, dass die Züge in dem für ganz Europa wichtigen Tunnel auf Schienen und Weichen aus Österreich fahren. Die 43 Weichen und etwa 228 Kilometer Schienen lieferte die Voestalpine mit Sitz in Linz. Überdies waren unter den zeitweise bis zu 2400 Beschäftigten mehr als 400 Österreicher, vor allem Tunnelbauingenieure der Strabag.

Flacher macht schneller

Der Regelbetrieb in den Röhren, wo es bis zu 40 Grad warm ist, wird zwar erst im Dezember starten und der Vollausbau 2020 beendet sein, denn noch fehlen Zusatzbauten. Klar sind aber die Vorteile der besseren Verbindung der Industriegebiete im Norden und Süden sowie der Häfen wie Rotterdam und Genua: Der alte, seit 1882 bestehende Gotthardtunnel (15 km) verkraftet etwa 180 Güterzüge pro Tag, der neue 260, zuzüglich gut 60 Personenzüge. Man wird auch viel schneller fahren können: bis zu 250 km/h mit Personen-, 160 mit Güterzügen. Ein Hauptgrund: Der alte, einröhrige Tunnel führt in etwas über 1100 Metern Höhe durch den Berg, der neue zwischen etwa 300 und 550 Metern. Die Züge müssen sich also nicht mehr mithilfe von mehreren Schlepplokomotiven von den Tälern in die Höhe quälen und können länger sein. Es gibt auch keine nennenswerten Kurven. Der Bau begann Ende 1999; erste Pläne gab es 1947, das Projekt verzögerte sich aber stark. 1992 und 1998 stellten die Schweizer bei Referenden das Signal auf Grün.

13 Arbeiter starben beim Bau, beim alten Tunnel waren es 199 samt dem Bauleiter. Die Schweizerischen Bundesbahnen rechnen mit einer Verdoppelung der Transportleistung auf der Nord-Süd-Achse (plus 40 Millionen Tonnen) und einer Reduktion der Fahrzeit Mailand–Zürich für Personenzüge um eine Stunde auf zwei Stunden 40 Minuten. Der Tunnel soll den Lkw-Verkehr durch die Zentralalpen weitgehend eindämmen. Kosten: umgerechnet elf Milliarden Euro – etwa 21 Mrd., rechnet man bisherige und noch zu bauende Nebentunnel ein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2016)

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