Corinne Eckenstein: Wildwuchs im Dschungel

Corinne Eckenstein.
Corinne Eckenstein.(c) Christine Ebenthal
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Corinne Eckenstein plant als neue Intendantin des Dschungel-Theaters einen „wilden Mix“, bei dem Profis und Non-Profis zum Zug kommen sollen.

Die Wette war leicht zu gewinnen. Wenn nicht Corinne Eckenstein, wer dann? So erfahren und gerade heraus, so professionell, durchsetzungsfähig und umtriebig, so gut vernetzt, teamfähig und konsequent, so authentisch, einfühlsam und eigenwillig, so ideenreich, visionär und leidenschaftlich ist nicht so schnell eine zu finden. Eine, die auch mit der Bürokratie und den jeglichem künstlerischen Unternehmen innewohnenden Finanzsorgen umzugehen weiß. Die 1963 in Basel geborene Wahlwienerin Corinne Eckenstein war einfach die ideale Kandidatin, da hat auch der Kulturstadtrat nicht lang nachdenken müssen.

Jetzt ist sie die „Königin des Dschungels“ und es wird wild zugehen. Die Durchmischung von scheinbar homogenen Gruppen jeglicher Art (Ausbildung, Alter, Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft) ist ihr Anliegen. Perfektion ist weniger ihr Ziel als Emotion. Und das Wilde – Wildwuchs, Wildwechsel, wilder Mix. „In der Wildwuchs-Werkstatt werden junge SpielerInnen – bitte das I schreiben! – mit Profis arbeiten. Damit junge TheatermacherInnen Erfahrungen machen können, gibt es den Wildwechsel“, sagt sie. Den „wilden Mix“ pflegt Eckenstein ohnehin schon seit Langem: „Die Durchmischung professioneller und nicht professioneller Gruppen und KünstlerInnen, in denen alle gleichwertig kommunizieren.“

Keine Tabus. Als junge Tänzerin und Schauspielerin kam sie mit der Regisseurin Meret Bartz nach Wien, bekam ein Stipendium von ImPulsTanz für einen Workshop und hatte ihre neue Heimat gefunden. 1991 gründete sie gemeinsam mit der Autorin und Regisseurin Lilly Axtser die Gruppe TheaterFoxfire, die schon damals – allein auf weiter Flur – Theater für junges Publikum offerierte. Dieses kam in Scharen, denn schon mit der ersten Aufführung zeigte TheaterFoxfire, dass den Frauen kein Eisen zu heiß ist und sie mutig jedem Tabu den Schleier wegziehen. Damals, mit „Ich habs satt“, ging es, direkt und deutlich, um Magersucht und Bulimie. Bald folgten alle Themen, über die Heranwachsende mehr wissen wollen, aber niemanden zu fragen wagen: Sex und Gender, Liebe und Gewalt, Queerness und die Suche nach der eigenen Identität. Damit hält es Corinne Eckenstein auch heute noch. Eben will sie von ihren jüngsten Erfolgen, der „Boys Trilogie“ und „Blutschwestern“ (die vier Stücke sind bereits Dschungel-Repertoire, vor mehr als drei Jahren war die Premiere des ersten: „Boys Don’t Cry!“) erzählen, da eilt eine fremde Kaffeehausbesucherin auf sie zu: „Ohne zu lauschen, habe ich gehört, dass Sie von Genderfragen gesprochen haben. Darf ich Ihnen meine Visitenkarte geben, ich lebe in Berlin . . .“ „Das geht mir oft so,“, sagt Eckenstein, „dass mich wildfremde Menschen ansprechen.“ Kommunikation ist nicht nur im Kaffeehaus eine Selbstverständlichkeit, sondern auch ein Grundstein ihrer Bühnenarbeit.

Anfänge im Straßentheater. Ihre Tanz- und Schauspielausbildung absolvierte Eckenstein in New York und San Francisco. „Der straighte, ästhetische Tanz hat mich aber nie interessiert. Als Jugendliche wollte ich eigentlich zum Zirkus. Jonglieren, auf dem Nagelbrett liegen, Feuer schlucken, das wollte ich machen. Später habe ich dann Pina Bauschs Tanztheater kennengelernt und in Wien Wim Vandekeybus gesehen, da wusste ich schon, was ich wirklich wollte“, erzählt sie. Professionell aufgetreten ist sie schon nach nur fünf Tanzstunden. Mit 16 bewies sie Organisationstalent und gründete noch in der Schule eine eigene Gruppe. „Damals war das Straßentheater in Mode. So aus dem Alltag heraus plötzlich aufzutreten, das habe ich großartig gefunden.“

Am Jungen Theater Basel wurde es dann ernst für Eckenstein: „Da wurde auch schon mit einer Mischung aus Jugendlichen und Profis gearbeitet. Das war die Wurzel“, sagt sie. Bald war aber der Punkt erreicht, an dem die junge Corinne „selbst etwas gestalten wollte. Nicht das Detail einer Rolle interessierte mich, sondern das große Ganze.“ Und nun, nach gut 30 Jahren erfolgreicher Theaterarbeit, steht die Mutter zweier Kinder (Lucy ist 20 Jahre alt, Lino 13) wieder an einem Wendepunkt. „Ich wünsche mir etwas Abstand von der Regiearbeit“, sagt sie. „Ich sehe mich als Networkerin in der freien Szene, es interessiert mich auch, wie man sich als Produzentin oder Gruppe über ein festes Haus entwickeln kann.“ Schon denkt sie über längere Spielserien nach und will nicht (mehr) vom Kinder- und Jugendtheater sprechen: „Das weckt falsche Assoziationen. Deshalb gefällt mir der Dschungel-Zusatz ,für junges Publikum‘. Ich produziere für alle Menschen, oft lernen die Eltern genau so viel wie die Jugendlichen.“ Manchmal, so habe sie beobachtet, sitzen mehr Erwachsene in einer ihrer Vorstellungen als deren heranwachsende Kinder. „Wenn die Kinder nichts mehr mit den Eltern unternehmen wollen, kommen die Eltern allein.“

Corinne Eckenstein hat nichts gegen Unterhaltung, kann eine Geschichte dramaturgisch konzise aufbauen und versteht ihr Metier als Choreografin und Regisseurin. Vor allem aber will sie berühren: „Sowohl die auf der Bühne wie auch die im Saal müssen das Gefühl haben: ,He, das geht ja mich an, das kenn ich‘ oder ,So habe ich das noch nie gesehen, das muss ich mir näher anschauen‘“. Damit diese gewünschte Kommunikation auf Augenhöhe nicht falsch verstanden wird, erklärt Eckenstein mit ernstem Blick: „Ich will nicht belehren, keine Botschaften oder Thesen verkünden. Das Thema wird oft gar nicht expressis verbis behandelt, es läuft nebenbei her.“ Man geht aus Eckensteins Produktionen selten bedrückt, sondern meistens beschwingt und mit hüpfendem Herzen hinaus.

Aktion für sozial benachteiligte Kinder. Für ihre erste Saison hat sie den Themenschirm schon aufgespannt: „Räume öffnen – physisch, emotional, intellektuell. Gerade jetzt, da überall Zäune errichtet werden, ist dieses Thema so wichtig.“ Außerdem will Eckenstein als Pendant zu „Hunger auf Kultur“ eine Kulturpatenschaft einführen, die es auch Kindern und Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien ermöglicht, ins Theater zu gehen.

„Kultur ist nichts Elitäres, das ist ein Menschenrecht.“
Soll sie ein Motto nennen, dann ist das: „Partizipation schafft Identifikation“. „Dazu müssen sich aber sowohl die Mitwirkenden wie auch die Zuschauer öffnen. Ich liebe das, wenn die beiden Hälften verschmelzen, wenn alle emotional so hochfahren, das ist echt schön. Und es gibt diesen Moment immer.“

Tipp

Eröffnungsfest. Ihren Einstand im Dschungel feiert Corinne Eckenstein mit einem Fest bei offenen Türen am 23. September 2016: Mit der Premiere von „Running Wild“ (Theater Foxfire).

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